Liebe Leser,

Die Musiklandschaft erfährt durch "Künstliche Intelligenz" (früher noch als Maschinenlernen bezeichnet, wohingegen KI für eine allgemeine Intelligenz reserviert war) gerade einen tiefgreifenden Wandel. Auch wenn aktuelle Systeme zu echter Kreativität nicht in der Lage sind, ist das Ergebnis für beiläufige Musikhörer zum Teil gar nicht mehr so einfach davon zu unterscheiden.

KI-generierte Musik wirkt in der Regel zwar künstlicher und maschinenhafter - das wird die Mainstream-Musik mit starker Bearbeitung durch Autotune, Rhythmuskorrektur und Co. aber seit Langem ohnehin bereits, ohne dass das ihrem Breitenerfolg Abbruch getan hätte. KI-Musik kann im Gegensatz zu vorproduzierter Musik jeodch zusätzlich persönlich sein - auf den Plattformen Suno.ai und Udio kann man sich kostenlos mit wenigen Klicks einen Song zu einem gewünschten Thema im Stil der eigenen Lieblingsbands schreiben und produzieren zu lassen. Eine Siegeshymne für den favorisierten Sportverein? Ein Liebessong für die Angebetete? Ein Trauerlied als Trost für einen Freund? Was vorher für die meisten kaum denkbar war, ist nun geradezu trivial, erfordert weder Können noch Kosten, verliert aber auch das Besondere.

Das Verdienen von Geld mit dem Schreiben und Produzieren von Musik wird sich absehbar weiter erschweren. Künstler müssen sich stärker auf Live-Erlebnisse konzentrieren und Labels, die noch menschengemachte Musik produzieren, werden noch mehr als bisher auf einen Starkult setzen, da diese Aspekte schwerer von KI zu replizieren sind. Spotify dagegen steht bereits im Verdacht, die eigene Plattform mit KI-generierten Playlists zu fluten, für welche keine Lizenzgebühren mehr errichtet werden müssen. Ob dies nun so ist oder nicht, KI-Musik ist dort mittlerweile en masse zu finden, von wem diese nun auch stammt.

In der Alltagsmusik wird die KI mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter an Bedeutung gewinnen, während Musik als Kunst weiter in die Nische rückt und wahrscheinlich öfter als bisher ein brotloses Hobby oder bestenfalls ein Zuverdienst sein wird. Einzelne Künstler und Werke - zumal solche, die auf den Einsatz von KI verzichten - werdem es um ein vielfaches schwerer haben, nicht in der Masse unterzugehen. Neue Generationen werden es gar nicht mehr anderes kennen lernen.

Vieles davon klingt nicht sehr ermutigend für Musikliebhaber, denen die Musik mehr als nur Berieselung oder Beiwerk ist und für welche der menschliche Faktor hinter der Musik absolut essenziell ist. Aber noch immer kann ich mir nicht vorstellen, dass die Nachfrage nach ebendiesem ganz versagen wird. Wie sich die Musikszene insgesamt unter diesen Einflüssen in der nächsten Zeit neu sortieren wird und welche Träume und Albträume dadurch zur Realität werden, wird sich schon bald zeigen.

Doch zur aktuellen Ausgabe: Ingo und Norbert setzen ihre Kolumnen Lieblingslieder und 25 Years After fort - je zu Of Monsters and Men und Jethro Tull. Roland berichtet an der Konzertfront unter anderem von Freedom Call, dem Gewandhausorchester, dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera und dem Shemesh Quartet. Schließlich haben wir noch zwei Besprechungen von Norbert zu Büchern über das Abbey Road Studio und Genesis.

Euer Linus