Abbey Road - Das Musikstudio am Zebrastreifen
Es gibt Worte und Begriffe, die lassen vor dem inneren Auge sofort ein bestimmtes Bild aufleuchten. Ein solcher Begriff ist `Abbey Road´. Kaum hat man ihn gedacht, sieht man vier junge Männer, die einen Zebrastreifen vor den Abbey Road Studios in London überqueren: das Cover des (vor)letzten Albums der Beatles. (`Let it be´ ist zwar erst nach `Abbey Road´ erschienen, aber im Wesentlichen bereits vor diesem Album eingespielt worden; Red.) Dieses Cover ist so ikonisch, dass David Hepworth es sich leisten kann, in seinem 375-seitigen Buch auf einen Abdruck zu verzichten, obwohl es explizit und implizit immer wieder im Text auftaucht. Man kann sich sogar fragen, ob das Studio seinen so einzigartig legendären Ruf nicht stärker durch diese Album-Cover, als durch Weltkulturalben wie Dark Side of the Moon, Tales of Mystery and Imagination – Edgar Allen Poe, Star Wars, London calling oder Sergeant Peppers gewonnen hat. David Hepworth hat sich nun daran gemacht die Geschichte dieser Studios zu erzählen. Es ist keine Geschichte der Pop- und Rockmusik, wie man möglicherweise erwarten könnte. Denn die Geschichte der Abbey Road Studios ist deutlich länger als die Geschichte der Pop-Musik. Sie ist im Wesentlichen eine Geschichte der Aufnahmetechnik. Denn es war im Londoner Stadtteil St. John Woods, wo überhaupt die ersten professionellen Aufnahmen in einem Studio gemacht wurden. Klassische Musik und Operngesänge standen am Anfang der aufgenommenen Musik. Erhellend ist wie Hepworth die Wirkung aufgenommener Musik und das Verhalten zu den Aufnahmen beschreibt. Bis zu diesem Moment war Musik etwas für den Augenblick, etwas das im direkten Miteinander von vortragendem Musiker und wahrnehmendem Publikum geschah. Nun konnte Musik unabhängig von ihrem Entstehen mit Distanz und wiederholt wiedergegeben und vor allem gehört werden. Fehler und Schwächen wurden für die Ewigkeit festgehalten. Und, für manche Musiker ein fast erschreckendes Erleben: die Sänger konnten plötzlich ihre eigene Stimme hören. Abenteuerlich klingen die Beschreibungen der ersten Jahre, als die Aufnahmetechnik noch in den Kinderschuhen steckte. Aufgenommen wurde direkt auf Matrizen, die nur eine Spielzeit von wenigen Minuten hatten. Längere Stücke mussten in Abschnitten aufgenommen werden. Aussteuern oder Mixen war unbekannt. Bei Fehlern mussten die Matrizen weggeworfen und von vorne begonnen werden. Es bedurfte einiger Anstrengung populäre Opern-Stars in die Niederungen eines Ton-Studios zu bewegen. Die Stars erwarteten, dass man das Aufnahmeequipment zu ihnen brachte. Es dauerte Jahre bis sich das Studio als der Ort der Tonaufnahme durchsetzte. Mit modernen Pop-Lifestyle hatte die Atmosphäre in den Abbey Road Studios lange Jahre nichts gemein. Die Tontechniker liefen wie Wissenschaftler in weißen Kitteln herum. Die Verwaltung war englisch bürokratisch, konservativ und unbeweglich. Nur langsam eroberten Pop- und Rock-Bands die Studios. Die Lektüre von Abbey Road ist auf der einen Seite spannend, überraschend und aufschlussreich; auf der anderen Seite auch anstrengend, denn dadurch, dass die Studios letztlich eine Service-Einrichtung sind, die von immer anderen KünstlerInnen genutzt wird, die keinen inneren Zusammenhang miteinander haben, wird die Lektüre episodenhaft ohne roten Faden. Norbert von Fransecky |
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