Crown Of Creation?

Ja, der Mensch soll wohl die Krone der Schöpfung darstellen. Schaue ich mich in der Realität um und denke ich an all‘ die vielen Begebenheiten, die mich oft ratlos erscheinen lassen, dann wage ich zu bezweifeln, ob das wirklich in vollem Umfange zutrifft. Denn solche Eigenschaften wie Toleranz, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Barmherzigkeit, Bescheidenheit, Empathie, Feinfühligkeit, Hilfsbereitschaft, Güte, Höflichkeit, Rücksichtnahme, Vertrauenswürdigkeit, Warmherzigkeit sind sehr selten anzutreffen. Vielmehr stoße ich verstärkt auf Egoismus, Gedankenlosigkeit, Lügen, Intoleranz, Verschwendung, Protzerei, Unzuverlässigkeit, Boshaftigkeit, kurzum, alles, was eine richtige „Ellenbogengesellschaft“ ausmacht. Erst einmal das „Ich“, und dann kommt erstmal lange nichts anderes.

Betrüblich ist, das viele gute Eigenschaften, auf die lange Geschichte der Menschheit bezogen, erst dann wieder relevant wurden, wenn Katastrophen das Leben bestimmten, zuletzt in großem Ausmaße nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch bevor ich dieses Thema allgemein weiter ausbreite, hier der erste „Link“ zur Musik,zur „Musik An Sich“ sozusagen.

Denn diese oben erwähnten negativen Eigenschaften gelten selbstverständlich auch im Bereich der von uns geliebten Musik, und das nicht nur im Jetzt und Heute. So erinnere ich mich exemplarisch an ein Konzert Mitte der siebziger Jahre, als der Jazzmusiker Tom Van Der Geld mit seinem Quartett hier im Ort auftrat. Ihr Jazz war von viel Ruhe und Sensibilität geprägt, so dass die Musik verlangte, dass zugehört werden musste. Ein Pärchen, ganz vorn an einem Tisch direkt vor der Bühne platziert, ignorierte dieses jedoch permanent und unterhielt sich munter, und das nicht zu leise. Plötzlich, als es nicht aufhörte, stand der Schlagzeuger der Band mitten im Spiel auf und begab sich an den Tisch mit den Worten: “You shouldn’t be here!“. Eine Weile hielten es die Beiden noch aus, verließen aber alsbald das Konzert. Und so ist es leider noch heute, Ignoranz statt Wertschätzung der präsentierten Musik steht oft im Vordergrund. Sind beispielsweise 100 Personen bei einem Konzert in kleinen Clubs anwesend, mögen es vielleicht tatsächlich nur etwa 20 sein, die wirklich da sind, um die Musik zu hören und zu genießen. Dem Rest scheint es offensichtlich egal, ob Livemusik oder solche aus der Konserve ertönt, oder auch gar keine. Besonders auffällig ist dieses natürlich bei Veranstaltungen ohne Eintritt. Sobald ein solcher erhoben wird, kann das Bild schon ein wenig anders ausschauen.

Ich schäme mich oft dafür, dass die Leistung von Künstlern nicht gewürdigt wird. Und da man das offenbar auch bereits großflächiger erkannt hat, gibt es häufig Wohnzimmerkonzerte, in denen es tatsächlich nur um Eines geht, um die Kommunikation zwischen Künstlern und Zuhörern. Auch von sogenannten “Listening Rooms“ habe ich da bereits gehört oder in den Niederlanden gibt es “Music Around The Fireplace“. Davon hat zum Beispiel auch Tom Shed profitiert, mit dem ich jüngst ein Interview führen konnte. Er war einer von bislang nur drei Gesprächspartnern, die uns in diesem Jahr Rede und Antwort standen. Nummer zwei war im Juni Martin Seidel. Das dritte Interview könnt ihr in dieser Ausgabe lesen. Mario Karl sprach mit Peter Langforth, dem Gitarristen der Metal-Band Alpha Tiger.

Wir sind natürlich bestrebt, die Interview-Rubrik in Zukunft wieder stärker zu füttern, denn gerade durch solche Interviews können durchaus auch gewisse Streifzüge durch die Musikgeschichte erfolgen und so manche Anekdote bringt Einblick in das Leben von Musikern, solches, was man in Zeitschriften oft nicht erfahren wird. Norbert hat für die kommende Ausgabe bereits ein Interview mit dem Punk-Urgestein Slime versprochen. Eine Review zu deren aktuellem Album könnt Ihr bereits in dieser Ausgabe lesen.

Viel erfahren konnte man auch hinsichtlich vieler weiterer neuer Veröffentlichungen, die nach der Sommerpause verstärkt ins Haus flattern, und so kann man bereits gespannt sein auf die eine oder andere Neuerscheinung, die uns im Oktober 2017 erwarten wird. Im abgelaufenen September fielen uns Rezensenten verschiedene Platten positiv auf. So konnten gleich drei Alben die Höchstnote von 20 Punkten einstreichen. Da wäre das sephardische Album En El Amor von Nataša Mirkovic, Michel Godard und Jarrod Cagwin, etwas Jazz mit Yesterdays von Enrico Pieranunzi, Mads Vinding und Alex Riel und der Grobschnitt-Klassiker Ballermann aus der Black & White Vinyl-ReRelease-Edition. Der Trend zu derartigen „Perlen“ wird sich hoffentlich noch verstärken.

Und ich hoffe, dass, in Anlehnung an meine obigen Ausführungen, auch verstärkt Musikfreunde den Weg in kleine Clubs finden und dafür sorgen, dass ebenfalls noch nicht so bekannte Bands und Musiker zu ihrem Recht kommen. Der kalifornische Musiker Tom Corbett bemerkte dazu in einem persönlichen Gespräch: „Unterstützt Livemusik, denn Musiker benötigen einen Platz zum Spielen, um ihr Handwerk zu erlernen!“

Einen schönen Herbst wünscht

Wolfgang