Die Besonderheit des Innehaltens und des Augenblicks im Spiegel der Musik und ihrer Präsentation

In diesem Zusammenhang gibt es viele Erinnerungen, die sich hinziehen bis in das Kindesalter. Blicke eines Dreijährigen in eine Musikbox, eine Wunderwelt, gefüllt mit kleinen runden Dingern, Singles wurden die genannt. Als Teenager dann der erhabene Augenblick des Erwerbs einer eigenen ersten Single, auf den ersten eigenen Plattenspieler drapiert, ein Dual, Mono, mit einem Deckel als Lautsprecher. Der unglaubliche aufregende Augenblick, eine erste Langspielplatte zu besitzen, bei mir waren es die Walker Brothers mit ihrer ersten LP, hier auf Star Club Records erschienen. Ich erinnere mich an die Zeit, an jene Momente, die mit dem Erwerb jeder neuen Schallplatte einher ging, das Lesen der Informationen auf dem Cover, das Betrachten des Covers und oftmaliges Versinken in die Fotos. Ich erinnere mich an das schöne Gefühl, diese Scheibe von 30 cm Durchmesser in den Händen zu halten, hier auch noch einmal alles zu lesen, insbesondere auf der Innenhülle abgedruckte Texte, und dann auf den Plattenspieler zu legen, mittlerweile schon etwas Besseres, in Stereo. Das leichte Absinken des Tonarmes, das Geräusch des Aufsetzens, das dezente Knistern der Platte.

Durch einen Nebenjob in einem Schallplattenladen vertieften sich Wissen und Wertschätzung dieses Mediums, das dann später durch die Einführung der CD litt. Diese einerseits zwar guten Momente, nach 15-20 Minuten aufzustehen, um eine Schallplatte zu wenden, und die daraus resultierende Einteilung, aber andererseits vielleicht auch unbequeme Art dieser Verrichtung wichen einem absolut knisterfreien Klang und der Möglichkeit, auf dem Sofa sitzen zu bleiben, und dazu konnte man mittels der Fernbedienung dirigieren. Doch irgendwie schien mir mit der Einführung der CD etwas verloren gegangen zu sein. Vielleicht so etwas wie Ruhe und Beschaulichkeit, sich gemächlich an die Musik und die Informationen heranzutasten. Zudem war es oft, und ist es noch heute, schwierig, Texte und Informationen zu lesen, weil nun in den Booklets alles so klein war.

Und nun las ich kürzlich, dass das Ende der CD und der kurz wiederaufgelebten Langspielplatte in Sicht sei. Das „Zauberwort“ heißt wohl Streaming. Erst im Juli dieses Jahres wurde verkündet, dass mehr Umsatz mit Musikstreaming als durch den Verkauf von Audio-CDs erzielt wurde. Und das würde für die Zukunft bedeuten, dass „die Besonderheit des Innehaltens und des Augenblicks“, dadurch, dass man sich bisher, durch LP und CD, mit dem Werk des Künstlers auseinandersetzte, ein Werk, dass nach seinen Vorstellungen entstand und auch so sein Abbild auf dem Medium fand, keine Anwendung und Bedeutung mehr finden wird. Der Wunsch einer offensichtlich großen Hörerschar scheint es aktuell zu sein, Musik sofort und überall zu hören, mit Zusammenstellung eigener Playlists. So dürfte zumindest das Erstellen eines Konzeptalbums ebenfalls völlig absurd geworden zu sein, aber auch ansonsten würde es mir als Musiker keine wirkliche Freude mehr bereiten, Musik zu komponieren, die für das Konzept einer einzelnen Platte gedacht wurde, mit einer speziellen Vorstellung darüber, was ich damit aussagen möchte, und dann anschließend gemetzelt wird.

Bestimmt wird dann jeder Künstler vom Konsumenten, dann ist es wie im alten Rom in der Kampfarena, Daumen hoch oder Daumen runter. Musiker dürfen etwas aufnehmen, in einschlägigen Medien vorstellen und darauf warten, welchen Stücken Hörer/innen ihnen nun wohlgesonnen sind. Ein schrecklicher Gedanke. Nun, für das Anwachsen sogenannter „Musiker“, die schnelles Geld machen wollen, und dabei kurzlebige schlecht produzierte Musik vorstellen, mag das ein Lichtblick sein, doch letztlich wird sich das auch auf die Qualität, das Niveau der Musik negativ auswirken.

Darum möchte ich trotz allem guter Dinge bleiben, und darauf hoffen, dass seitens niveauvoller Musiker/innen auch ein Riegel davor geschoben wird und wir als Hörer uns weiter auf gute Musik freuen können, vielleicht auf solche, die von uns bei Musik An Sich in diesem Monat mit ganz besonderem Wohlwollen bedacht wurden. Und darum möchte ich mich in diesem Editorial einmal ausführlich auf Reviews stürzen, obwohl wir mit 14 Live-Berichten in diesem Monat rekordverdächtig sind und zwei Interviews mit Stun und We used to be Tourists am Start sind.

Tom Gaebel bescherte uns einen perfekten Tag.

Snorre Kirk erfreute mit moderner Tradition.

Stefan stellte Bonfire mit Legends vor.

Der Klassiker John Lennon wird uns auf Tonträger hoffentlich auch noch lange erhalten bleiben: Akustisch und optisch.

Talente im deutschen Jazz sind gottlob noch vorhanden, so bewies es Benedikt Koch.

Mario stellte zur Band Sacral Rage fest: „Wer es mal wieder etwas komplizierter und irrer mag, der kann beim dritten Album von Sacral Rage vielleicht fündig werden.“

Colter Wall scheint sich als neuer Stern am Outlaw-Country-Himmel zu etablieren.

Norbert findet sie kurz und bündig einfach Klasse: die Reggae Workers of the World.

Sehr Together musizieren Randy Brecker & Mats Holmquist With Umo Jazz Orchestra auf ihrem gemeinsamen Werk.

Und auch für das Vibrafon, gespielt von Martin Fabricius, habe ich viel Lob übrig.

Wolfgang