Zahlenspiele: Der Raleigh Youth Choir singt in verschiedenen Aufspaltungen in Leipzig




Info
Künstler: Raleigh Youth Choir

Zeit: 20.07.2024

Ort: Leipzig, Nikolaikirche

Fotograf: Jeremy Tucker

Internet:
http://www.music-celebrations.de
http://www.raleighyouthchoir.org

Ein gemischter Chor agiert üblicherweise als ein (in Zahlen: 1) Ensemble – im Falle des Raleigh Youth Choir zeigt sich die Lage aber ein wenig anders. Die zehn Damen führen nämlich unter dem Namen Page Singers genauso eine Parallelexistenz wie die vierzehn Herren als Sibley Singers, und die 24köpfige Summe arbeitet dann als Raleigh Youth Choir (es gibt in diesem Chorprojekt zusätzlich auch noch vier Nachwuchschöre für verschiedene Altersstufen, allerdings allesamt gemischtgeschlechtlich) und geht unter diesem Namen auf Europatour, geleitet von Jeremy Tucker als Oberhäuptling und Verantwortlicher für die Sibleys sowie Emily Turner als Verantwortliche für die Pages – in die Dirigate der Gesamtnummern teilen sich beide hinein. Nach dem Konzert in der Friedenskirche in Potsdam-Sanssouci am Vorabend ist der Auftritt in der Leipziger Nikolaikirche der zweite der Tour.
Den ersten Programmblock bestreitet der komplette Chor. „Bonse Aba“ zeigt sich im Arrangement von Andrew Fisher als klassisch afrikanisch beeinflußte Call-and-response-Nummer, als Vorsänger agieren wechselnd männliche und weibliche Solisten, und in knackiger Kürze kommt diese A-Cappella-Nummer zum Finale. Eine kurze Ansage in Englisch mit Übersetzung folgt – im Gegensatz zum Konzert des North Western Oklahoma State University Chorale dreieinhalb Wochen zuvor an gleicher Stelle bleibt sie auch die einzige während der gesamten Dauer des Auftritts. Ab „Ubi Caritas“ (nicht die in Europa von vielen Chören geschätzte Version von Ola Gjeilo, sondern eine von Michael John Trotta) greift auch Pianistin Jennifer Wolfe ins Geschehen ein. Der Song gestaltet sich relativ höhenlastig, bleibt aber lange ruhig und gewinnt erst allmählich an Dynamik, während der Ausklang wieder leise und spannend rüberkommt. Skandinavisch verwurzeltes Repertoire pflegt man in North Carolina aber auch: „Ad Astra“ von Jacob Narverud gebärdet sich als Mix aus dramatischen und vorwärtsdrängenden Teilen, die Strophen teilen sich jeweils die Damen und die Herren, und trotz einiger Akkordreibungen bleibt das Stück immer in zugänglicher althergebrachter Tonwelt.
Die in diesem Stück bereits angedeutete Teilung des Chores wird danach vollzogen – die nächsten drei Nummern übernehmen die Herren, also die Sibley Singers, während die Damen den Altarraum verlassen. Das tempovariable, aber flotte Tendenzen präferierende „Alle Alleluia“ von Bruce Tippette fließt stimmenseitig ein wenig zu stark ineinander, aber vielleicht muß sich auch das Ohr erst an die gegenüber der vollen Besetzung veränderten Soundverhältnisse gewöhnen. In „Canst Thou Love My Lady“ von Andrea Ramsey hat es das jedenfalls geschafft, wobei hier auch die Einzelteile überzeugen: Aus dem Klavier kommt ein entrücktes Intro, der Tenor übernimmt diesen Gestus, aber bald folgt eine Erdung in ultratiefe Regionen – in der teils fast choralartig strukturierten Fortspinnung gewinnt aber die Ätherik, wenngleich die Ultratiefe das letzte Wort bekommt, nämlich aus dem Klavier. Leider kann sich die Spannung hier wie in diversen anderen Stücken nur bedingt entfalten, weil einige Besucher quasi schon ins Verklingen des Schlußtones hinein applaudieren. „Swing Down Chariot“ von André J. Thomas ist nicht mit dem hierzulande deutlich bekannteren „Swing Low Sweet Chariot“ zu verwechseln, lagert aber auch im klassischen Black Gospel, a cappella von vier wechselnden Solisten, je zwei aus Tenor und Baß, über einem leicht zu diffusen Unterbau der anderen zehn Sänger dargeboten. Zwar hätten die Solisten durchaus noch expressiver agieren können, aber gute Stimmen haben sie allemal, und auch ihre Interpretation sorgt für viel Jubel im Publikum.
Die Herren verlassen daraufhin den Altarraum, und die Damen, also die Page Singers, kommen für ihre drei alleinigen Nummern zurück. „Creo en Dios“ aus der „Misa Pequena“ von Francisco J. Nuñez weitet das Repertoire ins Spanische aus und hebt mit einem markanten Sopran-Solo an, das durch sehr höhenlastig bleibende Chorpassagen ergänzt wird, wobei der Ätherikfaktor aber überschaubar bleibt. „Feed The Birds“ stammt aus dem Musical „Disney’s Mary Poppins“ und macht seine Herkunft auch in der Gesamtanlage klar, wobei man das Gefühl hat, der Chor würde hier etwas zu sehr schleppen, und Emily Turner müsse ihn spürbar antreiben – andererseits gelingen exzellente Momente der Verharrung hin zu den Refrains. Die Publikumsunsitte, schon ins Klavier-Nachspiel hinein zu applaudieren, tritt leider auch hier auf. „I Will Be Earth“ von Gwyneth Walker hätte man anfangs in die Schublade „Neues Geistliches Lied“ schieben können, aber dann wird die Nummer immer expressiver, packt eine Schippe nach der anderen drauf, was die Gestaltungswucht angeht, und das Exzelsior im Klavier, das zum Finale leitet, ist ganz großes Kino.
Für den Schlußblock steht wieder der gesamte Raleigh Youth Choir im Altarraum. „Going Home“ von Paul Langford beinhaltet eine bekannte und eingängige Melodie, nämlich ein Thema aus dem Largo von Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“, die aus dem gänsehautkompatiblen Klavierintro herausführt und auch die Strophen prägt, aber schrittweise expressiver verarbeitet wird, bevor die Schlußspannung diesmal steht. „Until I Reach My Home“ von Brandon A. Boyd setzt wieder auf klassischen Black Gospel mit wechselnden Solo-Teilchören, im Unterbau wieder ein wenig zu matschig, aber im Ausdruck allemal begeisterungsfähig und im Bombast landend, vor allem der abgesetzte Schlußton soll nochmal in strahlende Höhen gehen, auch wenn er die an diesem Abend nicht ganz so strahlend schafft wie angepeilt – hörenswert ist das zweifellos. „I Dream A World“ von André J. Thomas wechselt wieder in den Musicalpop und lebt von markanten Sopranpassagen, wobei der Schluß hier bedenklich wackelt, wenngleich er definitiv klangschön daherkommt. „Lamentations Of Jeremiah“ von Z. Randall Stroope bietet eine eindringliche langsame Einleitung mit Vokalisen, bevor ab „Opus Omnes“ nicht nur Sprache, also Latein, hinzutritt, sondern auch der Expressivitätsfaktor immer weiter gesteigert wird und das Konzert somit ein dramatisches Finale bekommt.
Der Applaus führt zur Zugabe „Where The Light Begins“ von Susan LaBarr, ruhig, aber schwingend und von den Damen dominiert anhebend, während die Herren auch lange Zeit nach ihrem Hinzutreten nur Hintergrundrollen spielen. Dass der spannende Ausklang zwei Reihen vor dem Rezensenten zerhustet wird, dafür kann natürlich keiner was – der Chor bekommt jedenfalls erneut viel Applaus, und so mancher Anwesende hätte sich durchaus über ein längeres Konzert gefreut: Nach knapp über einer Stunde ist bereits Schluß, obwohl der Programmzettel das komplette Tourrepertoire ausweist, aus dem dann für jeden Abend ausgewählt wird, und da wäre noch einiges mehr drin gewesen, während umgekehrt sogar ein paar Nummern erklungen sind, die gar nicht auf dem Zettel standen. Der Rezensent hat diesmal einen Platz, an dem er alle Sänger sieht, aber dafür stellt sich der Klang als nicht optimal und bisweilen zu sehr zusammenlaufend heraus, was hier und da manche Linie sogar ein wenig lieblicher ausfallen läßt, aber andere Passagen auch ein wenig zu mulmbeladen. An anderen Stellen in der Kirche war die Akustik offenbar klarer, wie beim Hinausgehen einige Besucher anmerken. So entscheiden letztlich wieder mal die Details, was aber dem grundsätzlich positiven Urteil über die Fähigkeiten und die Sangesfreude der jungen Ostküstler keinen Abbruch tut.


Roland Ludwig



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