Mega ist megawichtig!
Michael hatte im letzten Editorial unter anderem den "Megastar" Taylor Swift erwähnt. "Megastar", ach, oder einfach "Star": laut Wikipedia „eine prominente Persönlichkeit mit überragenden Leistungen auf einem bestimmten Gebiet, in der Regel der Unterhaltung oder des Sports, und einer herausgehobenen medialen Präsenz."
Überragende Leistungen, wer will das wirklich beurteilen? Hierzu weiter Wikipedia: „Der personifizierte Star ist Untersuchungsgegenstand der Medien-, Film- und Sozialwissenschaften.“ Stars sind eine „relativ kleine Anzahl von Personen, die enormes Geld verdienen und die den Bereich dominieren, in dem sie tätig sind."
Michael schrieb hierzu: „Taylor Swift ist DER Megastar überhaupt und als Folge davon eine der mächtigsten, sprich einflussreichsten, Persönlichkeiten unserer Zeit."
Kurz auf den Punkt gebracht: Für einen Megastar halte ich Taylor Swift nun überhaupt nicht. Die Tatsache, dass sie wahrscheinlich mehr eingängige Hits als andere Popstars in den Charts platzieren konnte, mag zwar eine "überragende Leistung" sein, doch definiere ich einen solchen Begriff eher damit, was Künstler*innen wirklich an Talent und Können einbringen. Unbestritten ist es positiv anzumerken, dass sie fast alle Songs ihrer Alben selbst oder mit Co-Writern zusammen schreibt. Doch meines Erachtens nach sind diese nicht unbedingt von solcher Qualität, dass sie in der ersten Liga spielen. Einiges betrachte ich auch als Durchschnitt, als Massenware. "Massenware", genau, denn woher stammt dieser Erfolg doch in erster Linie? Das sind die Massen von Fans, die von der Dame bestens bedient werden. Klar, ich gönne ihnen Allen diese damit zusammenhängende Zufriedenheit und das sicher von Taylor Swift gezeigte gute Verhalten ihren Fans gegenüber.
Doch greife ich zunächst auf den obigen Satz zurück: „Stars sind eine relativ kleine Anzahl von Personen, die enormes Geld verdienen und die den Bereich dominieren, in dem sie tätig sind." Auch das will ich ihr gönnen, doch ist sie doch mit Sicherheit nicht die Einzige, die damit enormes Geld verdient. Und hier sehe ich den Knackpunkt. Einmal ist es die „relativ kleine Anzahl von Personen", die die "Elite" darstellen, und andererseits sind es all Jene, denen dieses Gehör unverdientermaßen nicht gegeben wird, und die sich abstrampeln müssen, oft dergestalt, dass es finanziell nicht einmal reicht, CDs pressen zu lassen.
Und schließlich muss man zu einem großen Teil auch davon ausgehen, dass hier der Begriff "HYPE" nicht außer acht gelassen werden sollte. Laut Oxford Languages definiert sich das Wort wie folgt: „besonders spektakuläre, mitreißende Werbung (die eine euphorische Begeisterung für ein Produkt bewirkt)" und „aus Gründen der Publicity inszenierte Täuschung".
Das trifft meines Erachtens sicher auch auf Taylor Swift zu. Denn die "inszenierte Täuschung" sehe ich besonders darin, dass es - in diesem Fall Künstlerinnen - gibt, die sich solchen Inszenierungen nicht hingeben, und die, wie ich meine, mehr Potential in ihrer Ausstrahlung und in ihren Vorträgen haben, die sich aber vordergründig präsentieren müssen, weil sie nicht in diesen Prozess eingebunden sind und es vielleicht auch gar nicht sein wollen, und sicher bei weitem nicht den Erfolg wie ihre Kollegin "Megastar" haben. Dabei ist deren Musik doch gar nicht so sehr individuell und auch ihre Stimme nicht, die es in dieser oder ähnlicher Art mehrfach zu hören gibt.
Entscheidend ist hier natürlich der Massengeschmack. Für junge Leute hat die Musik eindeutig nicht mehr den Stellenwert wie für Jugendliche der Fifties oder der Sixties und die Szene wird eher oberflächig betrachtet. Die Tatsache, wie man heute am ehesten Musik konsumiert, immer weniger auf CDs, sondern eher im Radio, deren Sender zu Hauptsendezeiten auch nur noch Massenware spielen, aber in der Regel per Streaming, YouTube und anderen gängigen Medien. Und somit wächst die Oberflächlichkeit ständig. Zumal junge Leute mittlerweile ein ganz anderes Hörverhalten haben, als wir "Alten" es kennen. Hierzu habe ich auch mit mehreren Jugendlichen gesprochen und erfahren, dass sich die Meisten gar nicht mehr die Zeit nehmen, die es bräuchte, nur um eine CD einmal ganz durchzuhören.
So las ich kürzlich über etablierte wie auch aufstrebenden Popstars, die internationalen Ruhm ernten, nur weil sie über mindestens zwei Millionen Streams verfügen, und wahrscheinlich noch viel mehr. Kann das denn eine Grundlage für Qualität sein? Ich denke nicht, und darum werden es wirklich ernst zu nehmende Künstler*innen sehr schwer haben, Fuß zu fassen in dieser sich ständig verändernden und sich verschlechternder Konsumwelt, und auf der Strecke bleiben, trotz hochwertiger Musik, die eigentlich dort ganz oben an erster Stelle stehen sollte!
Als traurigen Umstand empfinde ich es, wie sich mir gegenüber kürzlich Jemand äußerte. Wenn ein Song fünf Millionen Streams hat, kann er ja nicht schlecht sein. Hier wird offensichtlich Quantität mit Qualität verwechselt und somit der Quantität der höhere Stellenwert zugemessen. Sind denn Produktionen, wie nachfolgend aufgelistet, von Musikerinnen schlechter, weil sie nicht dem Massengeschmack entsprechen?
Kristin Asbjørnsen, Lolly Lee, Vanessa Peters, Wendy Webb, Kate McDonnell, Ashley E Norton ...
In diesem Sinne wünsche ich Allen einen guten musikalischen Herbst und gute Musik von "Nicht-Megastars"!
Euer Wolfgang Giese