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Hilde Domin und der Regenbogen von Jericho: Der Northwestern Oklahoma State University Chorale singt in Leipzig

Info

Künstler: Northwestern Oklahoma State University Chorale

Zeit: 27.06.2024

Ort: Leipzig, Nikolaikirche

Fotograf: Karsten Longhurst

Internet:
http://www.music-celebrations.de
http://www.nwosu.edu/university-chorale

Karsten Longhurst, Leiter aller chorischen Aktivitäten an der Northwestern Oklahoma State University in Alva, „ist als Dirigent, Musiker und Juror aktiv und bereits mit zahlreichen Künstlern wie den Rolling Stones, Barry Manilow und Elton John aufgetreten“, liest man auf dem Programmzettel für dieses Konzert im Rahmen der aktuellen Europatournee des Northwestern Oklahoma State University Chorale. Sind also außer dem dort abgedruckten Programm auch noch Chorfassungen von „Angie“, „Mandy“ oder „Nikita“ zu erwarten? Eine durchaus ansehnliche Zahl von Besuchern stellt sich in der Leipziger Nikolakirche die gleiche Frage und bekommt zunächst eine sympathische Ansage des Dirigenten in Deutsch, der kurz über den Background des in seiner Tourbesetzung 24 Köpfe zählenden Chores aufklärt: Es sind alles Studenten der Universität, aber nicht alle studieren Musik.
Mit „I Believe This Is Jesus“ eröffnet klassischer „Kunst-Gospel“ das Programm, geschrieben von Undine Smith Moore und a cappella dargeboten – oder sollte das Ohr hier noch nicht gelernt haben, an welcher Stelle im Klanggebäude man das Piano von Eduardo Moreira zu suchen hat? Wie nicht selten in der Nikolaikirche braucht der Rezensent ein wenig Anlaufzeit, um seinen Hörsinn auf die jeweiligen Platzverhältnisse einzustellen – diesmal sitzt er links und schaut so zwischen zwei Säulen hindurch, dass er den Dirigenten und die mittig und aus seiner Sicht rechts stehenden Sänger sieht, während die linken hinter der linken Säule verborgen bleiben, was aber keine Auswirkungen auf die interne Klangbalance hat, wie sich im Laufe der Zeit herausstellt. Dass die Soprane gleich im Eröffnungsstück in sehr großen Höhen agieren müssen, hört man jedenfalls auch so deutlich genug und kann auch die interne Dynamik des eher kurzen Stückes gut nachvollziehen. Etwas schwerer nachzuvollziehen ist die Entscheidung, Joseph Gabriel Rheinbergers „Abendlied“ schon so früh, an Position 2, zu singen, besitzt es doch eher Potential als besinnliches Schlußstück. Aber Longhurst wählt eine sehr flüssige Herangehensweise, die über die schwierige Textverständlichkeit hinwegsehen läßt, zumal dann im Ausklang auch tatsächlich eine bezaubernde Ruhe entsteht. Dafür, dass hinten irgendwelche Leute durch die Kirche gehen und die Dielen knarren, kann ja keiner der Musiker was.
Das Programm ist auf dem Zettel immer in Blöcke aus je zwei Stücken gegliedert, und auffälligerweise sind nur von einigen Komponisten Lebensdaten angegeben – eine kurze Recherche ergibt, dass die ohne Lebensdaten Genannten alle noch am Leben sind, also offenbar auch ihr Geburtsjahr nicht kommuniziert werden soll, selbst wenn es zumindest in einigen Fällen offiziell im Netz nachzulesen ist. Jake Runestad, geboren 1986, ist der erste dieser Komponisten und zugleich auch einer der jüngsten. „Let My Love Be Heard“ atmet viel Ruhe und besticht durch eine dunkel leuchtende Atmosphäre und ein „per aspera ad astra“ führendes Exzelsior. „As The Rain Hides The Stars“ von Elaine Hagenberg wird von Moreira mit einer perlenden Überleitung direkt angehängt und ist quasi Pop im Chorgewand, allerdings durchaus geschickt arrangiert und ohne gar zu viele Plattitüden.
„O Vos Omnes“ stellt das mit Abstand älteste Stück des Sets dar – Tomas Luis de Victoria ist schon mehr als 400 Jahre tot. Aus dem leicht spröde wirkenden Beginn entwickelt sich ein doch noch recht farbiges Geschehen. „The Eyes Of All“ von Richard Feliciano mischt hingegen geschickt neue und alte Strukturen – die Nummer kommt im Gewand klassischen Black Gospels daher, schreitet aber u.a. in Form einer Fuge fort, und dann hängt da wieder so eine wunderbar fragile Coda dran.
Der nächste Block enthält zwei Nummern, die direkt für den Chor geschrieben wurden und auf dieser Tour ihre europäische Erstaufführung erleben. Kira Zeeman Rugen hat mit „To The Wonder“ ein Gedicht von Hilde Domin vertont, und die Klangwirkungen sind hochinteressant, etwa als der ultratief agierende Baß von einem leicht entrückt wirkenden Sopran abgelöst wird. Das eher ruhige Stück wird von Pianoakkorden gestützt, enthält auch deutsche Zeilen und wird im Finale richtig spannend. Stacey V. Gibbs legt „Take My Hand“ erstmal klassisch gospelit an, betont aber mit einigen harmonischen Reibungen, dass wir mittlerweile im 21. Jahrhundert angekommen sind. Das sehr kräftige Altsolo macht richtig Hörspaß, das folgende Sopransolo wirkt in den Höhenlagen leicht zu angestrengt, aber die schöne Stimmfarbe paßt auch hier prima ins Gesamtbild.
Der auf dem Programmzettel nun ausgewiesene Dreierblock wird umstrukturiert. Das Kyrie aus „The Liturgy“ von Houston Bright (1916–1970) entpuppt sich als sehr dramatisch, greift zu einer großen Fuge und gebärdet sich im Regerschen Sinne spätromantisch. „Fire“, der dritte Satz aus „Elements“ der 1993 geborenen Katerina Gimon, hängt attacca an, ist enorm theatralisch angelegt, baut Zischgeräusche, gellende Vokalisen und Schreie ein – und dann endet der Block. Das dritte Stück wird aber später nachgeholt.
Zunächst gibt es aber zwei Sätze aus dem Requiem von John Rutter, einem der aktuell beliebtesten Chorkomponisten. Das Agnus Dei beginnt sehr ruhig, in düsteren und fahlen Farben, und auch nach dem Anschwellen bleibt die Farbgebung so. Das ändert sich erst nach einem Klavier-Zwischenspiel – im dann nicht mehr lateinisch, sondern englisch besetzten Teil geht es harmonisch viel farbiger zu. Das Lux Aeterna hängt fast attacca an, wobei das einleitende Sopran-Solo oben wieder mal an Grenzen stößt. Der Gestus bleibt zurückhaltend, die Farbigkeit ist aber insgesamt intensiver als im Agnus Dei – und sprühenden Optimismus, wie er hier im „Requiem eternam“-Vers zutagetritt, erwartet man in einer Requiem-Komposition eigentlich eher nicht. Nach dem betörenden Ausklang gibt es den bisher stärksten Applaus.
Der letzte Block besteht aus nur einem Stück, nämlich „Smile“ in einem Arrangement von Ben Bram. Musicalartig anmutend, wirkt das Stück ein wenig spröde und distanziert – gekonnt arrangiert und gut gesungen ist’s freilich allemal.
Den Chor zu Zugaben zu überreden fällt dem Publikum nicht schwer, und so erklingt zunächst eine dramatische Version von „Joshua Fit The Battle Of Jericho“ im Arrangement von Rollo Dilworth, in der auch Moreira markante Arbeit verrichtet und wo besonders der Finalteil richtig viel Hörspaß macht. Das nun folgende Alleluia dürfte das von Elaine Hagenberg sein, das im Hauptteil weggefallen war und das einen äußerst eigenartigen Mix aus Statik und Dynamik an den Tag legt: Die Strophen kommen im streng klassischen Chorsatz, der Refrain dagegen ist enorm rhythmusverschoben. „Somewhere Over The Rainbow“ im Arrangement von Kirby Shaw hebt mit einem fast zu zurückhaltenden Solo-Sopran an, woraus sich schrittweise das Chorarrangement entfaltet, harmonisch etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch gewöhnungsfähig und insgesamt eher bedächtig anmutend.
Tja, und dann – ist Schluß. „Deep River“ von Gwyneth Walker weist der Programmzettel in dem Teil, der sich als der etwas umstrukturierte Zugabenteil entpuppt, noch aus, aber das erklingt aus unerfindlichen Gründen nicht. Macht nichts – der Chor, sein solider Pianist und sein souveräner Leiter erhalten auch so viel verdienten Applaus, und mit knapp anderthalb Stunden braucht sich auch niemand über etwaige übermäßige Kürze des Konzerts zu beschweren, zumal das Wettermanagement genau gepaßt hat: Die von Süden heranziehende Gewitterfront schickt kurz vor Konzertbeginn die ersten Tropfen, und nach Konzertende hat sie sich schon wieder verzogen. Ach ja, und „Angie“, „Mandy“ oder „Nikita“ vermißt letzten Endes auch niemand.

Roland Ludwig


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