Coroner
Punishment For Decadence
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Das Coroner-Debütalbum R.I.P. wurde zu einem veritablen Erfolg und soll sich etwa 50.000mal verkauft haben, was für eine schweizerische Newcomerband in den Mittachtzigern an eine Sensation grenzte, zumal die Platte nicht durch eine größere Tour promotet werden konnte. Eine ebensolche mit M.O.D. war zwar angesetzt, fiel aber ins Wasser, weil einige grenzwertige Texte auf deren Debütalbum U.S.A. For M.O.D. auch in rassistischer Hinsicht auslegbar waren, woraufhin es Proteste hagelte und sich wie in solchen Fällen schon damals üblich alle Beteiligten gründlich mißverstanden, aber im Recht fühlten (an die heutigen Shitstorm-Möglichkeiten war seinerzeit ja noch nicht zu denken, aber heiß her ging’s bei solchen Themen auch damals schon).
Jedenfalls hatten Coroner offensichtlich plötzlich viel Zeit und nutzten diese, um binnen eines reichlichen Jahres bereits mit dem Nachfolger für R.I.P. über den Rhein gefahren zu kommen. Der wurde Punishment For Decadence getauft und führte die stilistische Linie des Debüts prinzipiell weiter, allerdings mit diversen Veränderungen im Detail. Augenscheinlich ist gleich das erste: Das Intro besteht aus einer Horror-Geräuschkulisse – aber bevor man es richtig wahrgenommen hat, ist es nach zwölf Sekunden schon wieder vorbei, und der erste richtige Song „Absorbed“ geht los, der wieder den typischen, etwas verschachtelten Thrash bietet, den man vom Debüt her kennt, hier einen flotten Außenteil von einem schleppenden Mittelteil scheidend und zwischendurch Drummer Marky auch mal an die bandinterne Geschwindigkeitsgrenze schickend. Das Ganze macht allerdings einen geringfügig kontrollierteren Eindruck als noch auf dem Debüt, was man als Vor- wie als Nachteil interpretieren kann. Im Falle von Barons Gitarrenarbeit ist’s eher ein Nachteil, was sich aber in „Masked Jackal“ schon wieder ändert, das die midtempolastige Grundidee einerseits mit atmosphärischen Halbakustikparts, andererseits mit einem dieser umwerfend lockeren speedigen Hauptsoli garniert, für die man die Truppe auf dem Debüt so schätzen gelernt hatte. Im Finale wird dann sogar noch Applaus einer ohrenhörlich großen Menschenmasse für den „Titelhelden“ eingesampelt. Mit dem Instrumental „Arc-Lite“, dem Quasi-Nachfolger zu „Nosferatu“, lauert das nächste Highlight gleich dahinter – hier tobt sich der Gitarrist mit neoklassischen Läufen so richtig aus, übrigens ohne jeglichen Keyboardzusatz, den im Gefolge von Blackmore und Malmsteen die meisten anderen Neoklassiker für unabdingbar hielten. „Skeleton On Your Shoulder“, mit fünfeinhalb Minuten der längste Song des Albums, baut sich teilweise mit Akustikelementen bedächtig auf, schaltet dann aber auf Speedtempo um (es fallen wieder ein paar neoklassische Anklänge in der Gitarrenarbeit auf), und nachdem man schon vermutet hatte, es gleich nochmal mit einem Instrumental zu tun zu haben, beginnt Royce nach knapp zwei Minuten doch noch zu singen. Er tut das wie schon in „Absorbed“ und „Masked Jackal“ in seiner typischen, wenig markanten Shouter-Manier, die schon auf dem Debüt als größte Schwäche der Band diagnostiziert worden war – nicht richtig schlecht natürlich, aber dem instrumentalen Einfallsreichtum nichts Adäquates entgegensetzen könnend. Ob Produzent Guy Bidmead oder aber der für das Remastering des vorliegenden Re-Releases verantwortliche Mensch, der im Booklet ungenannt bleibt, das auch so gesehen hat und die Stimme daher extrem weit in den Hintergrund gemischt hat, kann nicht mit letzter Sicherheit analysiert werden.
Die B-Seite der einstigen LP ist gegenüber der A-Seite viel konventioneller strukturiert. Zunächst folgen vier typische Coroner-Komplex-Thrash-Nummern aufeinander. Auffällig ist generell, dass man auf diesem Album weniger an die technischeren Destruction-Nummern denkt als noch beim Vorgänger, obwohl sich die Band wie erwähnt nur graduell verändert hat. Trotzdem bleiben solche Momente nicht aus, etwa in „Shadow Of A Lost Dream“. „Sudden Fall“ spielt auch wieder mit einem plötzlichen, aber nach etlichen Durchläufen problemlos als dazugehörig erkennbaren Akustikbreak. „The New Breed“ und „Voyage To Eternity“ wiederum bereiten deutlich mehr Erschließungsarbeit, ohne dass man das freilich irgendwie rational begründen könnte. So richtig vom Hocker reißen sie den Hörer aber auch nach etlichen Durchläufen nicht.
Das Finale des Albums bildet eine Fremdkomposition, diesmal kein Stück eines französischen Barocklautenisten, sondern eine für eine Thrash-Band auch nicht ganz gewöhnliche Wahl: „Purple Haze“ von, natürlich, The Jimi Hendrix Experience. Wie man sich bereits denken konnte, verzichten Coroner darauf, die Nummer einfach runterzuknüppeln, sondern passen sie gekonnt an ihren komplexen Stil an, auch Baron kopiert Hendrix keinesfalls, und Royce tritt mit der Zeile „Excuse me while I kiss the sky“ bzw. der analogen Stelle in der zweiten Strophe mal in den Vordergrund, weil er dort a cappella zu agieren hat. Dass nach dem eigentlichen Songende das Gitarrenmotiv nochmal kommt, nun aber mit schnellen Doublebassdrums unterlegt, geht als simpler Scherz durch, der nach wenigen Sekunden dann auch ausgeblendet wird.
Der vorliegende Re-Release ist wie erwähnt remastert worden, enthält aber keine Bonustracks oder sonstigen Extra-Features. Im Booklet kann man diesmal die Texte lesen. Bei „Sudden Fall“ fehlt interessanterweise das Entstehungsjahr, das bei den anderen eigenbetexteten Nummern angegeben ist – allerdings findet sich zumindest unter den auf Demos konservierten Tracks keiner dieses Titels, so dass die Theorie, es könnte vielleicht ein älterer Song, weder bewiesen noch ad absurdum geführt werden kann. Die Thankslisten sind allerdings auf der Bookletrückseite in derart winziger Schrift abgedruckt, dass die Verwendung eines Monokels nutzbringend ist. Nach oben hin ist auf der Seite noch reichlich Platz, so dass es für diese Mini-Schrift keine nachvollziehbaren Gründe gibt.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Intro | 0:12 |
2 | Absorbed | 3:43 |
3 | Masked Jackal | 4:46 |
4 | Arc-Lite | 3:20 |
5 | Skeleton On Your Shoulder | 5:35 |
6 | Sudden Fall | 4:50 |
7 | Shadow Of A Lost Dream | 4:31 |
8 | The New Breed | 4:52 |
9 | Voyage To Eternity | 3:45 |
10 | Purple Haze | 3:20 |
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Besetzung |
Ron Royce (Voc, B)
Tommy T. Baron (Git)
Marquis Marky (Dr)
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