Dark Tranquillity

The Gallery


Info
Musikrichtung: Melodic Death Metal

VÖ: 16.7.21 (27.11.95)

(Century Media)

Gesamtspielzeit: 48:00

Internet:

http://www.darktranquillity.com


In den Frühneunzigern war Death Metal zum Trend geworden und hatte sich in seiner klassischen Spielart mehr oder weniger totgelaufen. So verwundert es nicht, dass sich zahlreiche Bands auf den Weg machten, Randbereiche dieses Stils zu erkunden oder Verknüpfungen zu anderen metallischen oder nonmetallischen Stilistika zu erzeugen. Einige Bands fanden diesen Verknüpfungspartner im traditionellen Metal der Achtziger, an den man Riffs und Melodien anlehnte, und da gleich mehrere dieser Formationen im südwestschwedischen Göteborg ihren Proberaum hatten, ging der neue Sound als Göteborg Death ins Schrifttum ein, bevor sich langfristig jedoch der Terminus Melodic Death Metal durchsetzte. Keimzelle dieses Sounds war ein Musikerstamm, aus dem sich mit Dark Tranquillity und In Flames die beiden zentralen Protagonisten des neuen Stils herauskristallisierten, die kurioserweise nach ihren jeweiligen Debütalben die Sänger tauschten. Anders Fridén, der das Dark-Tranquillity-Debütalbum Skydancer eingesungen hatte, wechselte danach zu In Flames, auf deren Debütalbum Lunar Strain wiederum der hauptamtliche Dark-Tranquillity-Gitarrist Mikael Stanne gasthalber seine Stimmbänder strapaziert hatte. Der wiederum übernahm ab dem zweiten Album The Gallery die Lead Vocals bei Dark Tranquillity und gab dafür seinen dortigen Gitarristenposten an Fredrik Johansson ab.
Besagtes The Gallery sollte zu einem der Signaturwerke des noch relativ jungen Stils werden, ähnlich wie auch der In-Flames-Zweitling The Jester Race. Beide erschienen bei größeren Labels (ersteres bei Osmose, letzteres bei Nuclear Blast) mit mehr Popularisierungsmöglichkeiten als die jeweiligen Labels der Erstlinge, und beide gingen auch in gewisser Weise eigene Wege. Während In Flames der Strategie treu blieben, Stilelemente von Iron Maiden in relativ kompakte Melodic-Death-Metal-Nummern umzusetzen und hier und da mit einem Schuß schwedischer Folklore zu garnieren, hörten Stanne und seine Kollegen seinerzeit u.a. viel Progrock und reicherten ihren Melodic Death um Ideengut aus dieser Ecke an, ohne freilich das in einem Ausmaß zu tun wie später die Landsleute Opeth. Aber wenn man sich die Rhythmik von Stücken wie „Silence, And The Firmament Withdrew“ oder „The Dividing Line“ mal genauer anhört, findet sich da so manche Taktverschiebung, die auch diverse Proggies nicht wesentlich anders gestaltet hätten, und der Titeltrack verwebt (Halb-)Akustikelemente mit weiblichen Gesangspassagen und ebenfalls einem latenten Folkeinschlag. Maiden-kompatible Passagen und Stannes Kreischgesang finden sich natürlich gleichfalls, und hier und da knüppelt Drummer Anders Jivarp auch fröhlich drauflos. Schon im Opener „Punish My Heaven“ begrüßt Stanne die Hörer mit einem intensiven „Ihaaaarghhh“, als wolle er klarmachen, dass das, was in den 48 Minuten zu hören ist, nach wie vor nichts für „Weicheier“ sei. Aber schon im Mittelteil dieses Songs setzt der Vokalist erstmalig auf Klargesang, was auf The Gallery hier noch ein Einzelfall bleibt und erst auf späteren Scheiben markant ausgebaut wurde. Einen festen Keyboarder besaßen Dark Tranquillity 1995 noch nicht – die wenigen diesbezüglichen Parts spielte Produzent Fredrik Nordström ein, wobei das Klavier schon dem Finale von „Punish My Heaven“ noch einen Extra-Pfiff verleiht.
Noch hat man hier und da das Gefühl, die junge Band nutze ihre Chancen noch nicht mit allerletzter Konsequenz. Unter „Lethe“ beispielsweise liegt ein durchgehendes dunkles Akustik-Ostinato, das im Intro und kurz vorm Finale hervortritt, aber irgendwie in der Gesamtsituation des Songs eher unterrepräsentiert wirkt. Dass man die erwähnten angeproggten Nummern öfter hören muß als so manche andere, um bestimmte Zusammenhänge zu erkennen, liegt hingegen in der Natur der Sache – der refrainartige Part in „The Emptiness From Which I Fed“ prägt sich halt deutlich schneller ein als so manche komplexer verwobene Passage. Und von letzteren gibt es im Material etliche, wozu der eingangs erwähnte Personalwechsel maßgeblich beitrug. Stanne war laut eigener Aussage ein Gitarrist mit eher überschaubaren Fähigkeiten – mit Johansson an Bord ergaben sich für diesen sowie die anderen Songwriter in der Band ganz neue Möglichkeiten, was oftmals dazu führte, dass die Rhythmusgitarren zugunsten von einem kunstvoll gewobenen Leadgitarrengeflecht weit in den Hintergrund rückten, wenngleich man natürlich auch auf The Gallery noch so manches lustvoll durchgeriffte Maiden-Motiv findet. Auffällig ist, dass bis zum Titeltrack an Position 5 überwiegend ungewöhnlicher strukturierte Songs zu finden sind, dann eine gewisse „Normalisierung“ eintritt, die erst mit dem erwähnten etwas unter Wert verkauften Akustik-Thema in „Lethe“ an Position 8 und gleich danach mit dem wieder recht komplexen „The Emptiness From Which I Fed“ endet. Darauf folgt nämlich noch das Instrumental „Mine Is The Grandeur...“, wieder mit angefolkten Gitarren, zusätzlich aber auch noch einem interessanten Paukenarrangement (Frasse Franzén) ausgestattet, bevor im längsten Song, dem sechseinhalbminütigen „...Of Melancholy Burning“, nochmal alles kulminiert, auch Sängerin Eva-Marie Larsson nochmal ins Geschehen eingreift und Stanne mit einem weiteren Urschrei klarmacht, dass sich Dark Tranquillity zu diesem Zeitpunkt immer noch als Death-Metal-Band verstanden. Dass sie (wie auch In Flames) das später nicht mehr in dieser Weise tun würden, während es umgekehrt zahllose Bands gäbe, die den von ihnen maßgeblich geprägten Stil in seiner Urform pflegen (auch solche mit einem Hardcore-Background, was zu einer neuen Metalcore-Welle führte), konnte er zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht ahnen. Im Booklet des vorliegenden remasterten Re-Releases gibt der Sänger einen Kurzüberblick, was in der Bandgeschichte direkt vor The Gallery geschah – ansonsten enthält die Scheibe keine Extras, auch nicht die fünf Coverversionen von Singles und Samplern, die früheren Re-Releases beigegeben worden waren. Wer das Original bereits besitzt, kann sich eine erneute Investition also sparen, während eine Sammlungslücke bei diesem Genreklassiker natürlich nach Schließung schreit. Außerdem ruft das Frontcover von Kristian Wahlin zu genauerer Betrachtung auf: Hängt in der Galerie links etwa auch ein farblicher wie motivischer Verwandter von Tiamats Wildhoney-Cover, das bekanntlich auch von ihm gestaltet wurde?



Roland Ludwig



Trackliste
1Punish My Heaven4:46
2Silence, And The Firmament Withdrew2:36
3Edenspring4:30
4The Dividing Line5:01
5The Gallery4:07
6The One Brooding Warning4:14
7Midway Through Infinity3:30
8Lethe4:42
9The Emptiness From Which I Fed5:43
10Mine Is The Grandeur...2:26
11...Of Melancholy Burning6:16
Besetzung

Mikael Stanne (Voc)
Fredrik Johansson (Git)
Niklas Sundin (Git)
Martin Henriksson (B)
Anders Jivarp (Dr)



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