Reviews
R.I.P.
Info
Musikrichtung:
Thrash Metal
VÖ: 18.5.2018 (1.6.1987) (Century Media / Sony) Gesamtspielzeit: 45:02 Internet: http://www.coroner-reunion.com |
1983 gründeten der Gitarrist Oliver Amberg und der Drummer Markus Edelmann eine Hardrock-Band namens Coroner und spielten ein Vier-Track-Demo namens Depth Of Hell ein. So richtig vom Fleck kamen sie damit allerdings nicht – erst ein zweiter Versuch zeitigte dauerhaftere Ergebnisse, diesmal aber mit verändertem Personal. Amberg war nicht mehr mit dabei (er tauchte später auf Celtic Frosts umstrittenem Cold Lake-Album wieder auf), statt dessen hatte Edelmann aka Marquis Marky jetzt den Gitarristen Thomas Vetterli aka Tommy T. Baron und den Bassisten und Sänger Ronald Broder aka Ron Royce an seiner Seite. Zudem offenbarte man, obwohl der Bandname und auch das Bandlogo unverändert blieben, einen markanten Stilwechsel, und zwar hin zum Thrash Metal. Auf dem nächsten Demo Death Cult war Thomas Gabriel Fischer als Gastsänger dabei – man kannte ihn weiland natürlich noch als Tom G. Warrior von Celtic Frost, für die einige der Coroner-Mitglieder zeitweise als Roadies gearbeitet hatten. Das Demo erhielt sehr gute Resonanzen, und letztlich nahm Karl-Ulrich Walterbach nach Celtic Frost auch Coroner für Noise Records unter Vertrag. Ein weiteres Demo namens R.I.P. dürfte als Pre-Production-Aufnahme gedacht gewesen sein, denn alle seine neun Songs landeten letztlich auf dem Debütalbum, das konsequenterweise ebenfalls R.I.P. getauft wurde und trotz des Paradoxons, daß es sich ja erst um das Debütalbum handelt und die Combo nicht vorhatte, gleich wieder das Zeitliche zu segnen, mit dieser Titulierung perfekt zum bandnamensgebenden Bestatter paßt.
R.I.P. hat in seiner Albumfassung letztlich 13 Tracks – bei den vier allesamt rein instrumentalen Neuzugängen handelt es sich allerdings um das Intro und das Outro des Albums sowie um zwei weitere Intros, nämlich das zum gleichfalls instrumental bleibenden „Nosferatu“ sowie um das zum ungewöhnlich betitelten „Totentanz“, das den Songtitel im Text tatsächlich nicht übersetzt, sonst allerdings im englischen Idiom verbleibt. Beim „Totentanz“-Intro handelt es sich indes nicht um eine Eigenkomposition von Royce und Baron, die sich grundsätzlich das Songwriting teilten (der Drummer schrieb die meisten Lyrics), sondern um die Adaption eines Stückes von Robert de Visée, einst Hoflautenist beim Sonnenkönig Ludwig XIV.
Schon diese Wahl assoziiert, daß es sich bei Coroner sicherlich nicht um eine ohne Sinn und Verstand geradeaus prügelnde Truppe handelt – die Querverbindung zu Celtic Frost führt allerdings in gleich zweierlei Weise in die Irre, denn Coroner haben weder etwas mit deren polterndem Frühwerk noch etwas mit den avantgardistischen Anflügen zu tun (von Cold Lake mit seinem Haarsprayrock reden wir gar nicht erst). Sie bleiben vom Grundsatz her im Thrash-Lager, allerdings in der deutlich vom klassischen Metal beeinflußten Sparte und dort in der schon auf ihrem Debüt spielkulturell durchaus hochwertigen Abteilung, ohne wiederum gar zu weit in progressive Gefilde vorzustoßen. Am 1987 längst auf Hochtouren tobenden „Schneller und härter“-Wettbewerb beteiligten sich die drei Schweizer also nicht, da selbiger im Thrash sowieso nicht mehr zu gewinnen war, lärmte die Jugend doch längst im Death Metal oder erschuf den Grindcore – auch im eigenen Land waren mit Messiah deutlich Extremere am Start. Marky hält sich also von wüstem Geknüppel ebenso fern wie Royce trotz rauher Artikulation von unverständlichem Gebrüll, und die Gitarrenarbeit von Baron zeigt sich mehr als deutlich im klassischen Metal verankert. Das mit Klavierklängen über düsterem Synthie-Hintergrund aufwartende Intro macht neugierig und verrät dem Uneingeweihten noch nichts über den Stil der Band, was dann erst „Reborn Though Hate“ tut: midtempolastiger, aber vielschichtiger Thrash mit oft „schwingend“ anmutender Schlagzeugarbeit Markys und intelligenter Gitarrenarbeit Barons, während Royce baßseitig eher selten in den Vordergrund tritt (das wird live im Triosound zwangsweise anders gewesen sein, kann vom Rezensenten indes nicht verifiziert werden, da er die Band nie live erlebt hat und auch keine der Live-Tonkonserven besitzt) und gesanglich guten Genrestandard bietet, sich von markanten Gesangsmelodien also markant fernhält. „When Angels Die“ bietet statt dessen gelegentlich eine vermutlich keyboardsimulierte vokalisenartige Passage, und auch aus der Gitarre scheint immer mal eine merkfähige Melodie herüber. Das ist auch im „Nosferatu“-Intro so – aber damit die Schönheit nicht ohne Gegenpol bleibt, wird hier Maschinengewehrfeuer eingesampelt, während „Nosferatu“ selbst mit frenetischer Leadgitarrenarbeit besticht und sich in die große Riege der klassischen Metalinstrumentals mitreißender Prägung einreiht. Wer freilich die Idee hatte, den einen kurzen Synthieschlag, der mehrfach vorkommt, derart dominant einzumixen, daß der erschrockene Hörer fast vom Stuhl fällt, muß sich allermindestens einen eigenartigen Humor gutschreiben lassen. „Suicide Command“ wiederum treibt Marky phasenweise an die Obergrenze des bandeigenen Tempospektrums, wobei Baron aber über das Intro eine derart frenetische Leadgitarrenlinie legt, daß man glauben könnte, hier sei einfach nur eine Fortsetzung des „Nosferatu“-Instrumentals geschrieben worden. Aber schon in „Reborn Through Hate“ hatte es mehr als eine Minute gedauert, bis nach umfangreicher instrumentaler Austobung Royce das Wort ergreift – offensichtlich wußte Baron einerseits nicht, wohin mit seiner Spielfreude, aber andererseits war Coroner offenbar auch klar, daß ihre höchsten Trümpfe eben im instrumentalen Können lagen und nicht im soliden, aber keine Bäume ausreißenden Gesang.
Damit ist das grundsätzliche Spektrum der Band bis einschließlich Track 6 bereits umrissen. Track 7, „Spiral Dream“ (so jedenfalls in den diversen Nachschlagewerken verzeichnet, während das Backcover der vorliegenden Ausgabe „Spiral Dreams“ ausweist), war original nur auf der CD, nicht aber auf der LP enthalten – hier handelt es sich um eine Neueinspielung des kürzesten Tracks vom Death Cult-Demo, dessen drei andere Nummern (allesamt die Sechs-Minuten-Marke knackend) keine Berücksichtigung fanden. Textdichter ist hier kein Geringerer als Tom G. Warrior, die Gesangslinie aber auch nicht auffälliger als im Rest des Materials. Wer die Demofassung kennt, kann Direktvergleiche anstellen – zumindest die Neueinspielung reiht sich musikstilistisch exakt ins umstehende Material ein. Der Titeltrack ist mit fünfeinhalb Minuten der längste Song der Scheibe, beginnt mit düsteren Akustikgitarren und läßt Royce dann doch mal in eine andere vokale Stilistik verfallen, nämlich eine Art dunklen Sprechgesang, bevor im Hauptteil dann wieder alles beim Gewohnten ist, wobei kurz vorm ersten regulären Gesangseinsatz Royce dann auch mal kurz mit dem Baß in den Vordergrund treten darf, was sich in diversen Zwischenspielen auch fortsetzt. „Coma“ und „Fried Alive“ setzen den eingeschlagenen Kurs fort, obwohl man bei letzterem thematisch statt der speedigen Anflüge durchaus auch doomige Klänge hätte erwarten können. Statt dessen legt der refrainartige Ausruf „Sentenced To Death“ endgültig den Schalter im Hirn des Hörers um – das könnten auch Destruction in ihrer technischen Phase sein, die man hier hört, wobei Coroner eine Eleganz in ihr Spiel legten, die Destruction nie erreichten. Und sowas wie das „Totentanz“-Intro (sehr dunkel abgemischte Akustikgitarre über Synthieteppich – also nix für Alte-Musik-Puristen) wäre von den Süddeutschen nie zu erwarten gewesen; der Song selbst, betextet übrigens nicht von Marky, sondern vom Manager Andy M. Siegrist, gehört dann nochmal zur speedlastigen Sorte, während das abermals instrumentale Outro eher unauffällig daherkommt.
So legten die drei Schweizer mit R.I.P. einen Auftakt nach Maß hin, der nicht nur Appetit auf künftige Großtaten machte, sondern auch selbst schon eine solche darstellte. Wer die Scheibe seinerzeit verpaßt hat, kann zu dem 2018 veröffentlichten remasterten Re-Release greifen, der hier im Player liegt und soundtechnisch ohne Wenn und Aber zu überzeugen weiß, wobei aber auch das bei Harris Johns eingespielte Original schon nicht von schlechten Eltern war. Wer selbiges besitzt, braucht den Erwerb des Re-Releases allerdings eher nicht in Erwägung zu ziehen – Bonustracks, Liner Notes und ähnliche Zugaben sucht man vergeblich, nicht mal die Lyrics sind abgedruckt, und das gerade mal vierseitige Booklet enthält neben Fotos der drei Bandmitglieder partiell nochmal den gleichen Textblock mit dem Produktionsinformationen, der auch schon hinten auf der CD-Rückseite zu lesen ist.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Intro | 1:23 |
2 | Reborn Through Hate | 4:53 |
3 | When Angels Die | 4:41 |
4 | Intro (Nosferatu) | 1:12 |
5 | Nosferatu | 3:34 |
6 | Suicide Command | 4:20 |
7 | Spiral Dream | 4:03 |
8 | R.I.P. | 5:36 |
9 | Coma | 4:15 |
10 | Fried Alive | 4:40 |
11 | Intro (Totentanz) | 0:52 |
12 | Totentanz | 4:13 |
13 | Outro | 1:15 |
Besetzung
Tommy T. Baron (Git)
Marquis Marky (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |