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Info
Zeit: 26.03.2017
Ort: Lido, Berlin
Fotograf: Norbert von Fransecky
Internet:
http://www.nealmorseband.com
Zwei Mal habe ich Neal Morse bereits live gegenüber gestanden. 2001 war er mit Transatlantic unterwegs, um die ersten beiden grandiosen Alben der Prog-Supergroup vorzustellen. Ein Jahr später war damit Schluss. Der Kopf von Transatlantic und Spock’s Beard hatte zu Gott gefunden und begriffen, dass dieser andere Pläne mit ihm hatte. Er zog sich aus beiden Bands zurück und für einige Zeit erschien es so, als habe er seine Musikerkarriere generell an den Nagel gehängt. Bereits 2003 erschien dann allerdings recht überraschend das Solo-Album Testimony, das musikalisch das Erbe von Spock’s Beard antrat (authentischer als es der ohne ihn weiter machenden Band gelingen sollte). Inhaltlich bot Morse hier einen autobiographischen Abriss seiner bisherigen Karriere, in der die Bekehrung zu Gott den roten Faden darstellt. Aus dem in die Irre Gegangenen, wird ein Verunsicherter, ein Suchender, ein Strauchelnder, dem es dann aber gelingt sich in die Arme Gottes fallen zu lassen.
Parallel zu seinen Prog-Solo-Alben, die bei InsideOut erschienen, dem Label, bei dem auch Spock’s Beard zuhause sind, veröffentlichte er nun aber auch auf seinem eigenen Label Radiant Records. Dort erscheint schlichteres Material, Anbetungsmusik, die oft eher Songwriter Qualität hat und noch deutlich missionarischer ist, als es die „großen“ Alben selbst schon sind. (Drei Soloalben, die ich nicht kenne, hatte er bereits vor 2002 veröffentlicht. Inwieweit sie bereits seine geistliche Suche reflektieren, weiß ich nicht.)
Meine zweite Begegnung mit Neal Morse fand eher in diesem Rahmen statt. Nur mit E-Piano und einer akustischen Gitarre bewaffnet und von einem Percussionisten begleitet trat er Anfang 2005 bei freiem Eintritt in der Christus Gemeinde, einer Freikirche an der Landsberger Allee, auf – eine Veranstaltung schon vom Ambiente her mehr Gottesdienst als (Rock)Konzert.
Mike Portnoy, mit dem Morse schon bei Transatlantic zusammen gearbeitet hat |
Auf Stücke seiner InsideOut Alben Testimony und One musste man lange warten. Kurzpredigten (icl. deutscher Übersetzung), Bibelrezitationen, missionarische Ansprachen und ergriffene Lobpreislieder, bei denen die Gemeinde selig die Hände in die Höhe hielten, prägten den Abend.
Etwas von diesem euphorisierten Prediger Neal Morse war nun auch 2017 an diesem ersten wirklich frühlingshaften Tag des Jahres zu spüren. Näher war das Konzert aber an dem Transatlantic Auftritt. Mit einer viertelstündigen Pause präsentierte er mit seiner fantastischen Band das komplette aktuelle Doppelalbum The Similitude of a Dream. Wie bereits auf Testimony und One wird hier in einem durchgehenden Konzept der (Irr)weg eines Menschen durch die Welt beschrieben. Anders als Testimony ist das aktuelle Album allerdings nicht – oder nicht direkt – autobiographisch, sondern folgt Motiven des Literatur-Klassikers Die Pilgerreise, den der Baptistenprediger John Bunyan wohl 1675 verfasste, als er wegen der Missachtung eines Predigtverbots, das die anglikanische Staatskirche gegen ihn verhängt hatte, für sechs Monate im Gefängnis saß.
Das Böse gegen das Gute ist dabei ein Leitthema. Und darauf stimmt schon der Beginn der Video-Begleitung ein, die das gesamte Konzert – quasi als Substitut für ein Backdrop – im Hintergrund begleiten wird. Eine viktorianische Gartenkulisse, die an Genesis‘ Nursery Cryme erinnernd Teil des Artworks von The Similitude of a Dream ist, wird begleitet von rauchenden Schloten im Hintergrund und einem eisernen Torbogen, der an den Eingang zum Konzentrationslager Ausschwitz erinnert.
Dieses inszenierte Nebeneinander von industrieller Härte und pastoralem Frieden prägte das Konzert noch deutlicher, als das Album selber. Stücke wie „The City of Destruction“, „Back to the City“ und „The Man in the iron Cage” stehen für das Böse, das Verführerische, das Gewalttätige. Stadt und Land gewinnen bei Morse dabei fast die symbolische Qualität von Babylon und Zion in klassischen Reggae-Songs. Und in der Stadt lässt er es so richtig krachen. Der hammerharte Punch von Mike Portnoy setzt das trocken knallend in Szene. Eric Gilette zerschneidet dabei mit rasiermesserscharfen (Gilette you know?) Riffs die Luft, in die Neal Morse eine zerstörerische Synthie-Salve nach der anderen jagt. Ein Feuerwerk par excellence. So muss Prog-Metal klingen! Lediglich der Mixer meint es hier an manch einer Stelle doch etwas zu gut. Der Sound war allezeit kristallklar. Der Bass ging gelegentlich etwas unter. Aber Neals Stimme war jederzeit brillant zu hören. Nur hätten es – vor allem – zum Ende der regulären Spielzeit gerne ein paar Dezibel weniger sein können. Die Band hatte genug Power um sich mehr als durchzusetzen. Den zusätzlichen Schub mit dem Lautstärkeregler sollte man sich für Bands aufheben, die das nötig haben. The Neal Morse Band konnte sich auch ohne das bis zum Ende hin weiter steigern.
Der Protagonist der Geschichte hört zu Beginn des Albums – ähnlich wie Abraham – den Ruf aufzubrechen und in ein neues Leben mit Gott einzutreten. Auf diesem Weg gibt es neben Momenten des Rückfalls auch immer wieder Abschnitte, in dem ihm das gelingt und er die Nähe Gottes spürt. Dann wird die Musik weicher. Morse schwelgt in Harmonie. Hymnen steigen in den Himmel empor. Weiß gekleidet hebt er dann die Hände, wie zum Segen ausgestreckt, über sein Publikum. Hier kommt der Prediger, der Missionar zum Vorschein. Aber das ist unaufdringlich, setzt auch ein wenig die Kenntnis der Texte voraus. Die ist allerdings bei mindestens der Hälfte des Publikums vorauszusetzen. Denn immer wieder werden auch längere Passagen lauthals mitgesungen.
Gut zwei Stunden braucht die Band, um das Album durchzuspielen – eine Viertelstunde Pause inclusive. Das wird zu keiner Sekunde langweilig. Es gibt nicht einen einzigen Durchhänger. Große Kommunikation mit dem Publikum in Form von Ansagen gibt es nicht. Aber es gelingt dem geborenen Entertainer allein mit seiner Musik und seinen Blicken mit der Menge in Kontakt zu sein – zumal es bei dem kleinen Club keine Trennung durch Fotograben oder Absperrungen gibt. Der Sänger steht direkt vor seinem Publikum.
Einige Gimmicks lockern auf. Mehrfach verkleidet sich Morse mit einfachen Mitteln. Peter Gabriel lässt grüßen. Bill Hubauer wird gelegentlich ins Spotlight gestellt. Mal greift er zum Saxofon, mal zum Mini-Keyboard. Was das komische Tier am Bass von Randy George bedeutet, wissen Eingeweihte wahrscheinlich. Jedenfalls ist es keine Eintagsfliege, wie ein Blick auf die Bandhomepage verrät.
Aus dem Rahmen fällt der „Freedom Song“. Hier scheint eine wilde Countryband am Werk zu sein. Mike Portnoy verlässt dazu sein Drumkit. Ihm wurde eine Standtrommel an den Bühnenrand gestellt, die er mit dem Fuß betätigen kann. So steht die ganze Band in einer Reihe am Bühnenrand. Morse hat sich eine Mandoline geschnappt; Hubauer eine Gitarre. Jetzt ist absolute Fun-Stimmung angesagt. So als habe der Pilger sich mal eine Auszeit auf dem anstrengenden Weg zu Gott nehmen können, die nicht gleich wieder als Rückfall in das alte Leben gewertet wird.
Eric Gilette |
Kurz nach 22 Uhr ist Schicht im Schacht. Aber nur für ganz kurze Zeit. Dann steht das Quintett noch mal etwa eine Viertelstunde zur Zugabe, bestehend aus „Agenda" und „The Call", auf der Bühne. Damit werden noch zwei fette Ausrufezeichen hinter ein grandioses Konzert gesetzt.
Im Aufbau ähnelte der Abend damit den beiden Abenden des Morsefest 2015. Dort wurden an je einem Abend die Alben ? (2005) und Sola Scriptura (2007) komplett mit einigem Bonusmaterial (darunter auch Titel von Spock’s Beard und Transatlantic) aufgeführt. Die Mitschnitte sind gerade in einer üppigen Box mit 4 CDs und 2 DVDs erschienen. Review in der kommenden Ausgabe.
Line up
Neal Morse (Lead Voc, Keys, Git, Mandoline)
Bill Hubauer (Keys, Voc, Sax)
Eric Gilette (Git, Voc)
Randy George (B, Voc)
Mike Portnoy (Dr)
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