Berlin, Music Hall, 17.11.2001
Punkt 21.30 Uhr ging das Saallicht aus und auf der linken Bühnenseite
wurde - in grünes Licht getaucht - ein konzentrierter Neal Morse sichtbar.
Hinter seinen Keyboards stehend entlockte er selbigen das Cello-Intro
zu "Duel with the Devil". Damit war der Fahrplan für die nächste halbe
Stunde vorgegeben. Der grandiose Opener des aktuellen Transatlantic-Albums
wurde mit einem glasklaren Sound in die Music Hall abgefeuert.
Großes Lob an Mixer Ian. Der Mann hat offenkundig begriffen, dass man die
Qualität eines Rockkonzertes nicht an der Phonstärke misst. Das
differenzierte Klangbild des Transatlantic-Sounds war von der ersten
Sekunde an optimal. Die Vocals und Lyrics kamen so deutlich rüber, dass
selbst Neulinge die Texte hätten mithören können. Der Großteil des
Publikums war aber offenkundig mit dem Material vertraut und unterstützte
Morse von Anfang an beim Gesang.
"Endlich einmal voll der Laden," hörte ich kurz vor Konzertbeginn. Und
tatsächlich: Auch Berlin reiht sich ein in die Liste einer - soweit ich
es bisher gehört habe - fast immer ausverkauften Tour. Nur vor dem
Merchandise-Stand blieben ein paar Quadratmeter Platz für diejenigen, die
den Transatlantic-Rhythmen mit einem Bierglas (bzw -plastik) bewaffnet
mitwippend folgen wollten, statt sich ins Gedränge zu stürzen.
Auf der Bühne hatte sich das Bild schon wenige Sekunden nach dem Start
vollständig gewandelt. Mit Einsatz von Portnoys ersten Drum-Sounds
erstrahlte die gesamte Bühne im hellen Glanz. Sein Drumset bildete auf
der rechten Bühnenseite das optische Gegenstück zu Morses Keyboardburg. Beide
zusammen beherrschten für das gesamte erste Stück das Bild; dazwischen
Pete Trewawas am Bass und zwei(!) Gitarristen. Denn zusätzlich zum
etatmäßigen Saitenquäler Ronnie Stolt, der sich mit Morse im Gesang
abwechselte, hatte man Daniel Gildenlöw von Pain of Salvation mit auf
Tour genommen.
Nach "Duel with the Devil" wurde erst einmal das Debutalbum mit "My
new World" und "We all need some Light" berücksichtigt. Für Stolt die
Gelegenheit sich etwas stärker in der Vordergrund zu spielen. Danach kam
wohl der Höhepunkt des Konzertes. Die "Suite Charlotte Pike" wurde mit
etlichen Zitaten aus den 60´s und 70´s auf 30 Minuten verlängert. Erkannt
habe ich irgendwas von den Wings, an die das Stück in dieser
Live-Präsentation auch in seiner Gesamtheit erinnerte. Danach ging
mit "Stranger in your Soul" der reguläre Set nach knapp 2 Stunden zu Ende.
Die Band ließ sich aber nicht lange bitten, um mit "All of the Above" noch
eine Zugabe nachzulegen.
Damit verlängerte sich das Konzert deutlich über meine persönliche Deadline
von 24 Uhr. Da nach "Aota" aber auf allen Konzerten, von denen ich gehört
habe, Schluss war, nehme ich selbiges auch für Berlin an. In diesem
Zusammenhang mein einziger Kritikpunkt - der verzögerte Konzertbeginn, der
allerdings nicht Schuld der Band war, sondern durch einen quälend langsamen
Einlass hervorgerufen wurde, der sich auch durch den Sicherheitscheck nicht
begründen lässt.
Das Bild von introvertierten Prog-Kontroll-Freaks, das Morse in den ersten
Sekunden bot, ließ das Quintett schnell vergessen. Morse, mit Headset zu
Beginn noch seriös wie ein Nachrichtensprecher, tobte bald hinter den
Keyboards, sprang aus dem Jackett, um ein herrlich geblümtes Oberhemd zu
enthüllen, das Erinnerungen an US-Krimis der 70er á la Magnum wachrief.
Portnoy, von einer äußerst merkwürdigen Mütze mehr oder weniger geschmückt,
hockte wie ein vergnügter ständig grinsender Kobold hoch über dem Geschehen.
Trewawas bangte am Bass was das Zeug hielt. Lediglich Ronnie Stolt zeigte
eine gewisse vornehme Zurückhaltung (wirkte mit dem weichen langen blonden
Haar auch wie ein blaublütiger Zögling eines Eliteinternats), legte dafür
aber um so mehr Gefühl in die Stimme. Selbst dem Gast, der sich in der Regel
im Hintergrund hielt, wurde Gelegenheit für ein kurzes Solo gegeben.
Fazit: Meine Befürchtungen, mit denen ich in fast jedes proggige Konzert
gehe, wurden nicht einmal im Ansatz bedient - weder unidentifizierbarer
Soundbrei, noch gefühlloses Nachspielen der CDs. In meiner Comic-Zeit
liebte ich Mick Tangy. Es versetzte mir regelmäßig einen Erregungsschauer,
wenn der französische Jet-Pilot den Nachbrenner seiner Maschine zündete,
um sie auf Höchstgeschwindigkeit zu bringen. Ich muss mir wohl vorgestellt
haben, dass sich das erregende Gefühl des Fliegens (das ich damals noch
nicht kannte) in diesem Moment noch einmal ungeahnt steigern würde. Ähnlich
ging es mir bei Transatlantic. Ihre fantastischen Nummern wurden von einer
Band, die mit unbeschreiblicher Spielfreude, Fröhlichkeit und Begeisterung
ans Werk ging, noch einmal auf ein neues Niveau gehoben. Die Live-Scheibe
von Transatlantic, die mir bislang noch fehlt, ist nach diesem
Konzert-Highlight unverrückbar auf die Pole-Position meiner
Weihnachtswunschliste gerückt.
Norbert von Fransecky