“Live at the Great American Music Hall, 1975” in: The Vinyl Collection, Vol. 1 (9-LP-Box) (Review-Serie, Teil 1)
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Billy Joel-Vinyl-Review-Serie 2022, Teil 1: Live at the Great American Music Hall, 1975
Sony wollen mit dem Material, das sie in ihren Archiven haben, mal wieder Geld verdienen. Wenn dabei so eine Box, wie The Vinyl Collection, Vol. 1 herauskommt, dürfte es viele Fans freuen. Lediglich diejenigen, die den Billy Joel-Backkatalog halbwegs vollständig (im Vinyl-Format) im Regal stehen haben, dürften sich etwas gebissen fühlen. Denn neben den ersten sieben Alben des amerikanischen Singer Songwriters enthält das Boxset ein bislang unveröffentlichtes Konzert von 1975 als Doppelalbum, das es wohl nicht separat geben wird.
Wie angekündigt werden wir das Boxset zum Anlass nehmen, die sieben enthaltenen Billy Joel-Alben in einer Review-Serie vorzustellen. In dieser ersten Review werden wir daher die Musik dieser Alben erst einmal außen vor lassen und uns auf die Box als solche und das 75er Konzert konzentrieren, auf das sich auch alle Angaben, wie Spielzeit und Besetzung, beziehen.
A: Die Box
Edel! und stabil!
Die sieben Einzel- und die eine Doppel-CD sind in einer wirklich stabilen Box verpackt, die die Chance bietet, dass sie auch bei regelmäßiger Benutzung in einigen Jahren noch einen halbwegs repräsentativen Eindruck hinterlassen wird.
Die Box erscheint in edler metallic-blau-silbrigen Optik. Auf der Vorderseite ist ein Vinylplattenspieler zu sehen, auf dem einen LP mit dem Aufdruck The Vinyl Collection, Vol. 1 aufliegt. (Anm.: So eine LP gibt es in der Box nicht.) Alle anderen Seite sind ohne weiteren Aufdruck. Die Vorderseite der Box ist offen, so dass die Rücken der einzelnen Vinyl-LPs und des 60-seitigen LP-großen Booklets zu sehen sind.
So eine Box möchte natürlich gerne auch ein Blickfang im Regal sein. Von daher ist es etwas schade, dass der Rücken nicht entsprechend gestaltet ist. So bleibt dem Fan nur die Möglichkeit die Box mit den erwähnten LP-Rücken oder einer unbedruckten blaumetallische Fläche zu präsentieren.
B: Das Booklet
Das reich und in der Regel großformatig bebilderte Booklet enthält ein einleitendes Essay von Anthony de Curtis (Bilder abgezogen etwa 3 Druckseiten netto) mit einem Abriss der Billy Joel-Karriere in den 70ern.
Danach sind Album für Album sämtliche Texte abgedruckt, inclusive einer kurzen Einleitung zu dem jeweiligen Album. Ausnahme: das Live-Album Songs in the Attic. Hier gibt es statt der Texte kurze Anmerkungen zur jeweiligen Aufnahmesituation der Titel und Kurzvorstellungen von gut zwanzig an der Produktion beteiligten Personen – bis hin zum Lichtmann und einem Truck Driver.
Dabei ergibt sich ein Fragezeichen. Ist der Platz so sinnvoll genutzt? Denn bei mehreren Alben sind die Texte bereits im LP-Booklet abgedruckt, genau wie die genannten Anmerkungen zu Songs in the Attic. Das bringt natürlich eine Menge an Doubletten mit sich. Dafür gibt es nicht eine einzige nähere Information zu der erstmals veröffentlichten Live-LP.
Auf der einen Seite ist das Booklet so eine runde Sache in sich.
C: Die Alben
Es gibt keine Standard-Ausstattungen der einzelnen Alben. So kommt Songs in the Attic z.B. im aufklappbaren Gatefold-Cover mit bedrucktem Innencover und zusätzlicher Textheft-Beilage; während bei Streetlife Serenade das Vinyl im weißen Innencover in einem einfachen Steckcover steckt. Ich vermute mal, dass man sich hier konsequent an der Ausstattung der Original-Alben orientiert hat.
Ich bin ein großer Freund des Denkmalschutzes – hätte mir hier angesichts der Wertigkeit des Produkts aber durchaus gefütterte Innenhüllen vorstellen können. (Die habe ich mir schon in den 70ern für jedes neu gekaufte Album besorgt.)
D: Live at the Great American Music Hall, 1975
Live at the Great American Music Hall, 1975 deckt nicht das Gesamtspektrum der Box ab. Aufgenommen im Juni 1975 hat es bereits vor der Veröffentlichung von Turnstiles stattgefunden. Billy Joel hatte zu diesem Zeitpunkt also erst drei Alben veröffentlicht. Und da das Debüt mit einem einzelnen Titel eher stiefmütterlich behandelt wird, repräsentiert Live at the Great American Music Hall, 1975 im Wesentlichen die Alben Piano Man und Streetlife Serenade, die mit jeweils fünf Titeln vertreten sind. Dazu kommen zwei Balladen aus dem kommenden Turnstiles, die nur die extrem ruhige Seite dieses zum Teil sehr bombastischen Albums repräsentieren. In drei Interludes arbeitet sich Billy Joel verbeugend bzw. karikierend an Joe Cocker und Elton John ab.
Diese zeitliche Reduktion ist alles andere als ein Nachteil. In seiner musikalischen Entwicklung hat Joel sich von Cold Spring Harbour bis Turnstiles zu seinem Höhepunkt entwickelt. Auf dieser Basis kann er dann mit The Stranger, etwas jazziger mit 52nd Street und recht rockig mit Glasshouses seine Stärken ausarbeiten. Danach geht es musikalisch auf erst einmal sehr hohem Niveau bergab, während er gleichzeitig an die Spitzen der Charts und in die großen Arenen vorstößt.
Wie oft wünscht man sich bei Bands, die nach ihrem großen Durchbruch das erste Live-Album vorlegen, frühere Aufnahmen. Hier bekommen wir ein solches Album. Hier haben wir noch den jungen hungrigen Musiker, der durch Clubs und kleine Hallen tourt und dort die Luft brennen lässt. Ja, Billy Joel zählt zu den Songwritern. Und angesichts der Geschichten, die er in seinen Texten erzählt, passt er besser in dieses Genre als 90% dessen, was dort sonst verortet wird.
Aber dieser Songwriter kann rocken wie Sau. Das erste Mal auf diesem Album geht das Publikum bei dem instrumentalen „Root Beer Rag“ absolut steil. Kein Wunder, wenn man erlebt, wie hier die Tasten brennen. Zu DIESEM Programm hätte der „Angry young Man“ bestens gepasst, aber der erscheint ja erst auf Turnstiles.
Ich kenne kein offizielles Billy Joel-Live-Album, das mit Live at the Great American Music Hall, 1975 auch nur im Ansatz mithalten kann. Ob das für Fans, die schon alle Alben haben, ein Grund ist, derzeit gut 160 € auf den Tisch zu legen, ist eine andere Frage.
Norbert von Fransecky
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