The (International) Noise Conspiracy - Optimismus verändert die Welt
Info |
Gesprächspartner: Lars Strömberg (The (International) Noise Conspiracy)
Zeit: 04.11.2004
Ort: Strasbourg, La Laiterie
Interview: Face 2 Face
Stil: 60's-Garage-Punk
Internet: http://www.internationalnoise.com
| |
|
Es ist schon wieder beinahe ein halbes Jahr her, dass The (International) Noise Conspiracy Armed Love veröffentlicht haben. Jetzt kamen die Politrocker endlich auch auf Europatour, wo sich Gitarrist und Gründungsmitglied Lars Stromberg den Fragen stellte. Er präsentierte sich hier als wahnsinnig gesprächiger und freundlicher Interviewpartner, der mit scheinbar grenzenlosem Optimismus und positiver Energie seine politischen Ideen darstellt. Spätestens nachdem man in den Staaten über Rick Rubins eigenes Label veröffentlicht wird und man im Dezember sogar als Support der Toten Hosen in Deutschland sein wird, ist jegliche Independantromantik dahin. Den Vorwurf von Ausverkauf würde man aber spätestens nach einem persönlichen Gespräch guten Gewissens entkräften können. MAS: Wie läuft die Tour diesesmal so? Lars Strömberg: Super! Heute ist die erste Show, bei der wir nicht so recht wissen, wie es sein wird, weil wir jetzt ja in Frankreich sind. Und Frankreich ist anders. Doch die Shows in Deutschland und die eine in Österreich waren alle unglaublich. Es ist die erste Tour, die wir in Europa machen, seit die neue Platte draußen ist. Das ist wirklich toll, hier überall hinkommen zu können, dass immer so viele Leute da sind und man sieht wie bei den neuen Liedern schon mitgesungen wird. MAS: Gerade heute scheint Bush wiedergewählt worden zu sein. Fühlt ihr jetzt eine Art Drang noch mehr in Amerika zu spielen? Lars Strömberg: Nein, obwohl ich es natürlich verabscheue, dass er wiedergewählt worden ist - er ist ein Drecksack - auch wenn Kerry gewählt worden wäre, wäre es nicht so viel besser gewesen. Ich denke, der Drang dort zu spielen ist vom Wahlausgang unabhängig. Wir müssen dort spielen und die Verhältnisse kritisieren, kritisieren wie gewählt wird. Das ganze System ist ja total fehlerhaft, wenn a) George Bush einmal gewählt und b) noch mal gewählt werden kann. MAS: Sogar viele junge Wähler stimmen für Bush. Das kann man eigentlich kaum glauben. Wie ist deine Idee von Veränderung? Strebst du eher die gesamtgesellschaftliche Veränderung oder eher eine ausgegliederte Parallelgesellschaft an? Lars Strömberg: Wir haben ja all diese sozialistischen Ideen und ich glaube, du kannst nicht wirklich außerhalb der Gesellschaft leben. Man muss sich eher als Teil davon betrachten und versuchen, das System zu verändern. Wenn du dich wirklich außerhalb aufhalten willst, musst du in den Wald ziehen und kannst nur Briefbomben schicken. Man sollte einfach alles tun, was man kann, um Veränderungen zu bewirken und Leute zu inspirieren. MAS: Inwiefern versteht ihr eure Musik nur als Medium für eure Botschaften? Lars Strömberg: Im Grunde ist es das schon. Wir kommen alle vom Punkrock und haben selbst ja auch dadurch Einflüsse bekommen über Politik nachzudenken. Was wir jetzt mit unserer Musik versuchen ist eigentlich die Leute so anzuregen wie wir damals angeregt wurden, von Bands wie den Dead Kennedys oder Public Enemy. Wir haben das damals als ganz neue Erfahrung empfunden. Wenn wir das für andere Leute heute bedeuten können ist das der Wahnsinn. Musik wird nicht die Welt verändern, aber zumindest Leute inspirieren oder deren Meinung über ein bestimmtes Thema ändern. Wir sind was das angeht also schon eher textfixiert was unsere Musik angeht. MAS: Auf Armed Love ist nicht nur die Sprache, sondern auch die Musik um einiges direkter. Hat das mehr mit dem Bestreben zu tun so viele Leute wir möglich zu erreichen als den befriedigendsten musikalischen Ausdruck zu finden? Lars Strömberg: Eher das Letztere. Wir spielen die Songs, die wir wollen, mit denen wir glücklich sind. Bevor wir das Album aufgenommen haben, haben wir eine lange Pause gemacht. Wir haben anderthalb Jahre nicht live gespielt. Wir haben einfach Pause gemacht und als wir wieder zusammenkamen haben wir uns sehr gut gefühlt wieder Musik zusammen zu machen und das war dann einfach was dabei rausgekommen ist. Das Album ist sehr positiv, aus dem Bauch heraus. Es ist genau das, was wir machen wollten zu der Zeit bzw. was wir noch immer machen wollen. Wir mögen es, die Songs live zu spielen, weil sie sich sehr nach uns anfühlen. Wenn es dann die Leute gleichzeitig noch mögen ist das eben der Bonus. Wir machen Musik, weil wir es lieben. Das ist auch die einzige Motivation, die wir brauchen. MAS: Also denkt ihr nicht bewusst darüber nach wie ihr die meisten Leute erreichen könnt? Lars Strömberg: Nein, wir versuchen einfach die besten Songs zu schreiben, die wir schreiben können und hoffen, dass es die Leute mögen. Sicher sind wir auch ein Produkt, wir sind auf einem Label und brauchen Menschen, die auf unsere Shows kommen, aber es gibt beim Songwriting keine Kompromisse. Wir machen schon genug Kompromisse, wie zum Beispiel bei einem größeren Label unterschrieben zu haben, aber wenn's um die Musik geht, gibt's da nichts. MAS: Abhängig von den Orten, an denen ihr spielt, gibt es unterschiedliche Reaktionen. Ich habe euch in Mailand gesehen und dort eine große Sprachbarriere bemerkt, insofern dass die Leute eure Ansagen nicht ganz verstanden haben. Und ich denke, dass in Amerika aufgrund kultureller und historischer Unterschiede zumindest auch eure Texte anders aufgenommen werden. Ist das irgendwie frustrierend für euch? Lars Strömberg: Hmm, ja, manchmal ist es das schon. Wenn Leute in Amerika sauer werden, ist das gut, weil es dann oft bedeutet, dass wir irgendeine heilige Kuh geschlachtet haben. Aber das mit der Sprache ist schon immer ein großes Problem. Wir verwenden aber auch viele Symbole wie unsere Kleidung, die Fäuste, die roten Sterne usw. Und speziell in Italien und Spanien - oder allgemein in Europa - gibt es eine gewisse Tradition in den Dingen, dass die Leute auch wissen worum es geht, selbst wenn sie uns nicht ganz verstehen. Deshalb hoffen wir, dass die Leute zumindest das Gefühl erfassen. Wie hier in Frankreich, wo die Leute generell nicht so gut Englisch sprechen, ist es schon schwer. Aber man muss es versuchen, sie sind immerhin viel besser in Englisch als wir in Französisch. MAS: Wenn wir in Deutschland Debatten über Erziehung oder auch andere soziale Systeme haben dient Schweden oft als Paradebeispiel. Was waren die Umstände, die euch politisch interessiert und aktiv werden ließen? Lars Strömberg: Hauptsächlich vielleicht daraus, dass man die Welt verstehen wollte. Schweden hat und vor allem hatte einen großen Lebensstandard. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist es aber um einiges schlechter geworden. Die neuliberalen Strömungen sind sehr stark und alles wird privatisiert. Ich habe also eine Art Verfall sehen können. Man ist aber einfach interessiert an der Welt um einen herum. Als ich angefangen habe Punkrock zu spielen fing es dann auch an, dass ich etwas in Europa rumgekommen bin, man sieht dann all diese Unterschiede und man wird eher ein Internationalist. Es wird einem klar, dass es nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch zwischen den Ländern Klassenunterschiede gibt. Schweden zum Beispiel ist ein viel reicheres Land als Italien oder Griechenland. Dann bemerkt man, dass das alles aber dem gleichen Muster folgt und es frustriert einen, dass es anderen Leuten schlechter geht. Es ist dann eine Solidaritätsfrage. Es ist sicher einfacher, diese Erfahrungen zu machen, wenn man aus einem Land kommt, in dem es den Leuten besser geht, aber daraus muss man das Beste machen. Ich denke, wenn man die Welt sieht, öffnet einem das die Augen. MAS: Vielleicht sollten dann einfach mehr Leute reisen. Lars Strömberg: Wenn man es kann natürlich. Ich kam vor allem über die Musik viel raus. Das geht seit neun oder zehn Jahren so, deshalb kann ich mir mein Leben nur schwer ohne Reisen vorstellen. Ich kann kaum verstehen, dass viele Leute lieber daheim bleiben. Ich kann das Reisen nur empfehlen, denn die kulturellen Unterschiede erweitern auf jeden Fall deinen Horizont. MAS: Ist dann aber der Protest aus Industrieländern nicht oft auch ein Luxusprodukt? Lars Strömberg: Nicht nur. Ich denke es geht schon darum solidarisch zu sein mit anderen Leuten. Man möchte ja auch in der direkten Umgebung, dass der Reichtum ausgeglichener und besser verteilt ist. MAS: Doch ohne die Bildung wäre alles schwieriger. Lars Strömberg: Ja, das auf jeden Fall. Aber gerade das bedeutet auch eine gewisse Verantwortung. Man hat all diese Privilege und die kann man in einer guten, konstruktiven Weise einsetzen. Ich denke, daraus folgt eine Pflicht, sich nicht auszuruhen, sondern diese Mittel kreativ und positiv einzusetzen. MAS: Wie war das in deiner Jugend, als du politisch wurdest? Waren deine Eltern auch schon links oder war der ging Ursprung des Protests auch von einer konservativen Dominanz daheim aus? Lars Strömberg: Ich bin in einer sehr traditionellen schwedischen Arbeiterfamilie aufgewachsen. Sie waren nicht unbedingt konservativ, aber auch nicht gerade Teil eines politischen Kampfes. Schon Menschen, die eher links der Mitte wählen. Aber es war auch normal als Arbeiter eben die Sozialdemokraten zu wählen. Sehr analytisch waren sie jedoch nicht. Für mich war es dann eher so, dass ich die Strukturen besser verstehen wollte. Die Sozialdemokraten in Schweden haben ihre Arbeiterwurzeln schon in den 70ern verkauft. Ich habe also gesehen wie es auch für meine Eltern finanziell immer ein kleines Stück schlechter wurde. Das war auch ein Punkt, der mich angestoßen hat, politisch bewusster zu werden. MAS: Wie genau stellt du dir eine bessere Gesellschaft vor, wie sollte die Revolution aussehen? Lars Strömberg: Das ist sehr schwierig. Die Revolution ist so ein abstrakter Begriff. Man muss auch schon ziemlich naiv sein, daran zu glauben. Wenn man die Geschichte anschaut, sieht man ja, dass es nie zu einem Stopp kam, nach einer großen gesellschaftlichen Veränderung. Es wäre schon mal ein Anfang, wenn die Leute ihr Leben mehr in die eigene Hand nehmen würden und die Macht dorthin zurücknehmen würden, wo sie hingehört. So dass die Menschen Einfluss auf ihren Arbeitsplatz und auf ihre Gemeinde haben. Im Moment ist die Tendenz eher, die Macht zu zentralisieren, so wie bei der EU in Brüssel. Das macht mir ein bisschen Angst, denn auch bei den ganzen Vorteilen, die einem vorgehalten werden, ist es nicht möglich, dass die Leute dort wissen, was das Beste für die Menschen im Süden Spaniens oder im Norden Schwedens ist. Das ist so eine riesige Fläche, dass die Macht dezentralisierter sein müsste. Ich finde, dass man unten anfangen muss, den Leuten mehr Macht zu geben. Von da an kann man dann positive Fortschritte angehen, aber das darf nicht von oben herabbestimmt werden. MAS: Wie stellst du dir vor, dass eine Bewegung etwas erreichen kann ohne von Mitläufern überflutet zu sein? Lars Strömberg: Das ist auch immer sehr schwierig. Die Leute sind gewohnt in einer Position zu sein, in der sie nur folgen müssen. Das geht seit hunderten von Jahren so. Es gibt immer einen oder mehrere Führer. Vielleicht brauchen wir das aber gar nicht. Wie mit dem Zweiparteiensystem in Amerika. So etwas ist unglaublich. Zwei Parteien haben so einen großen Einfluss auf die Welt. Ich glaube, dass aus Frustration über solche Dinge die Massenbewegungen immer stärker werden. Ich hoffe, dass die Leute etwas sauer werden und daran Anlass nehmen, etwas zu ändern. Es gab ja auch jetzt so viele Anstrengungen Bush aus dem Amt zu jagen und dennoch hat Bush sogar mehr Stimmen als letzten Mal bekommen. Hoffentlich verlieren die Menschen da den Glauben nicht daran, etwas bewegen zu können. MAS: Wie du schon gesagt hast, sind die Menschen seit Ewigkeiten gewohnt zu folgen. Denkst du, dass der Mensch überhaupt frei sein kann? Lars Strömberg: Ja, auf jeden Fall! Es gibt ja auch in jüngerer Geschichte Beispiele dafür. Spanien nach dem Bürgerkrieg, als über eine halbe Million Leute in einer Kommune gelebt haben zum Beispiel. Bis eben Franco, Mussolini und Hitler eigentlich europaweit alles kaputt gemacht haben. Aber ich denke, dass der Mensch das Streben danach hat, selbst über sich zu entscheiden. Man muss nur den Mut dazu aufbringen. Wenn die Bewegungen stärker werden, werden sich auch die Leute unabhängiger fühlen. Ich habe große Hoffnungen.
Kevin Kirchenbauer
|