Zwanzig Mal außergewöhnlich starke Musik (ausgewählt von Mario Karl)
Als zur Jubiläumsausgabe von MAS die Idee aufkam, von jedem Redakteur zehn Albumfavoriten wählen zu lassen, war das für mich persönlich, bei einem Fundus von rund 2.000 Stück, gar nicht so einfach. Deshalb habe ich mir erlaubt einfach mal das Doppelte zu nehmen (und das ist natürlich auch noch lange nicht genug). Das sind alles Alben welche mich als Hörer sehr geprägt haben und welchen man als Musikfan einfach sein Ohr leihen sollte. Aufgrund der Begrenzung blieben weitere Favoriten wie Symbol of Salvation (Armored Saint), Digital Dictator (Vicious Rumors), Troublegum (Therapy?), Night of the Stormrider (Iced Earth), Ten (Pearl Jam), Before these crowed streets (Dave Matthews Band), Live Shit (Metallica) oder Blind (C.O.C.) dieses Mal außen vor. Hier meine Wahl in alphabetischer Reihenfolge - bis auf die uneinholbare Nr. 1.
QUEENSRYCHE: Operation: Mindcrime (1988)
Irgendwo gibt es sie für jeden, die absolute Lieblingsplatte, die wie ein Leuchtturm alles überstrahlt und die einen schon viele Jahre begleitet und die man, obwohl man sie schon hunderte Male gehört hat, immer wieder gerne auflegt. In meinem Fall ist das Operation: Mindcrime von Queensryche. Von der ersten bis zur letzten Sekunde ist das für mich ein perfektes Album. Dramatisch im Aufbau, spielerisch und songwriterisch auf absolutem Topniveau und mit zahlreichen Jahrhundertsongs, die man noch im Schlaf mitsingen kann. Mit ihre ersten EP, sowie den ersten beiden Alben The Warning und Rage for Order haben die Seattler noch ihren Stil gesucht, der irgendwo zwischen Iron Maiden, progressiven Höhen und dem aufkommenden US Metal der 80er gesucht. Mit Operation: Mindcrime hatten sie ihn (vorläufig) gefunden.
Das aufbegehrende „Revolution calling“, das rasante „The needle lies“, das intensive „I don’t believe in love“, das epische Halbmusical „Suite sister Mary“ oder die große Abschlussnummer „Eyes of a stranger“ sind nur einige der Highlights dieser schillernden Platte. Dass Sänger Goeff Tate darauf noch eine durchgehende Geschichte erzählt, bekommt fast zur Nebensache, sorgt aber für ein Plus an Atmosphäre. Die Hauptrolle spielt darin ein Drogensüchtiger namens Nicky, der in die Fänge des Revolutionärs Dr. X gerät, welcher in Nicky den richtigen und willenlosen Erfüllungsgehilfen für seine zweifelhaften Terrorakte gefunden hat. Auf seinem Weg in den psychischen Abgrund begegnet Nicky der ehemaligen und zur Nonne gewordenen Prostituierten Mary, welche das Ende des Albums nicht mehr erleben wird.
Queensryche schlachteten ihren Meilenstein im Laufe der Jahre noch öfter aus. 2006 veröffentlichte man auch eine offizielle Fortsetzung von Operation: Mindcrime, die es allerdings weder musikalisch noch von der Geschichte her mit dem 1988 veröffentlichten Original aufnehmen konnte. Etwas dass sich generell durch die Bandgeschichte zieht. Denn ganz konnten Queensryche an die Klasse dieses Albums nie mehr anknüpfen, auch wenn die beiden Nachfolger Empire und Promised Land beide klasse Alben waren.
AYREON: The human equation (2004)
Eigentlich ist dieses Doppel-Album ziemlicher Kitsch. Schon alleine aufgrund der etwas gestelzten Geschichte. Aber die Umsetzung ist einfach schön. Arjen Lucassen nahm sich spielerisch etwas zurück und überlies seinen vielen Gastsängern (u.a. Eric Clayton, Mikael Akerfeldt, James LaBrie) das Feld. Wenn Musicals immer so stark klingen würden wie dieses Doppelalbum, wäre ich ein absoluter Fan davon.
BIG COUNTRY: The Crossing (1983)
Zweifelsohne eines der besten Rockalben der 80er Jahre von einer der unterbewertesten Bands überhaupt. Heute würde man die Musik von Big Country vielleicht Folk Rock nennen. Allerdings verwendeten die Schotten (von denen keiner in Schottland geboren wurde) allerdings nur das klassische Rockinstrumentarium, ließen ihre Gitarren aber fast wie Dudelsäcke singen. Ein einzigartiger Sound und dazu zehn Songs, von den mindestens sieben Stück Klassiker sind.
BLACK SABBATH: Master of reality (1971)
Mit dem selbst betitelten Debüt erfanden Black Sabbath laut Legende das was später einmal Heavy Metal genannte werden sollte. Mit dem Nachfolger Paranoid haben die Birminghamer sich aus dem Stand heraus in die Hall of Fame gespielt. Und mit Master of reality schufen sie ein weiteres dunkles und hartes Meisterwerk, welches in den 70ern seinesgleichen suchte. Children of the grave, yeah!
DEVIN TOWNSEND: Ocean Machine – Biomech (1997)
Metal, Ambient und Progressive Rock. Irgendwo zwischen diesen Polen pendelt dieses Gesellenstück des ehemals verrückten Kanadiers. Harte und damals auch futuristisch klingende Musik auf der man sich wie von massiven Wellen davon treiben lassen kann, bis ... ja, das findet man ganz am Schluss heraus.
FAITH NO MORE: Angel Dust (1992)
In den 90ern gab es dank öffentlichem Hype kein Vorbeikommen an den Crossover-Pionieren. Aber auch mit Abstand betrachtet ist dieses Album, genauso wie sein Vorgänger The real thing, eine absolute Sternstunde der Rockmusik. Dass es aufgrund des Commodores-Covers „I’m easy“ auch noch das erfolgreichste der Band ist, ist dabei nur Nebensache.
LED ZEPPELIN: III (1970)
Eine solche Liste ohne Led Zeppelin geht für mich nicht. Sie werden immer die größte Rockband für mich sein. Statt III hätte hier genauso Houses of the Holy stehen können. Wenn auch das unbetitelte vierte Album das erfolgreichste und beliebteste ist, sind dessen Vorgänger und Nachfolger doch wesentlich spannender. An III gefällt mir besonders die folkig leichte Stimmung.
LIVE: Throwing Copper (1994)
Anfangs als schlichter R.E.M.-Klon abgetan, hatte es die US-Band live in unseren Breitengraden nicht einfach, trotz des Radiohits „Selling the drama“. Throwing copper ist ein absolutes Glanzstück des Alternative Rocks der frühen 90er. „Pillar of davidson“, „Lightning crashes“ oder „All over you“ bleiben unvergessen.
NEIL YOUNG: Live Rust (1979)
Neil Young ist der Beweis, dass man auch grandiose Musik ohne spielerische und gesangliche Höchstleistungen erschaffen kann. Viel wichtiger sind gute Songs und vor allem Seele. Und davon hat der gebürtige Kanadier jede Menge. Auf Live Rust zeigt er seine beiden Seiten, akustisch und krachend mit seiner Begleitband Crazy Horse. Ein unsterblicher Klassiker!
NEUROSIS: Given to the rising (2007)
Neurosis sind wie eine Ton gewordene Katharsis und ersetzen dabei jeden Psychotherapeuten. Ihr harter Sound geht tief und bringt Gefühle zutage, die man von sich selbst vielleicht noch nicht mal kannte. Given to the rising ist der perfekte Einstieg in die Welt der Band.
NEVERMORE: Dead heart in a dead world (2000)
Nur wenige Bands haben es geschafft traditionelle Metaltugenden so ins neue Jahrtausend zu verfrachten. Nebenbei hat man sogar noch einen recht einzigartigen und unverwechselbaren Sound geschaffen. Mit den Jahren wurde man immer komplexer. Auf Dead heart in a dead world war die Mischung aus Anspruch und Eingängigkeit so ansteckend wie vorher und nachher nicht mehr.
NICK CAVE & THE BAD SEEDS: No more shall we part (2001)
Dass Nick Cave einer der bedeutendsten und besten Songwriter und Lyriker unserer Zeit ist, wird wahrscheinlich keiner bezweifeln. No more shall we part ist trotz seiner ruhigen Ausrichtung sehr schwer und vor allem absolut intensiv. Die gospelartigen Songs können einen tief berühren. „Fifteen feet of pure white snow“, „As I sat sadly by your side”, „God is in the house” oder „Oh my lord” geben einen guten Einblick in das Seelenleben des Australiers.
PORCUPINE TREE: In absentia (2002)
Mit In absentia definierten sich Porcupine Tree neu. Metallische Gitarren hielten erstmals Einzug in den Bandsound und drängten die starken Pink Floy-Einflüsse zur Seite, was zu zahlreichen spannenden Songs führte. Aber dieses Album wirkt vor allem als Ganzes. Kein Wunder, dass Steven Wilsen es selbst für seine Sternstunde hält.
RUSH: Different stages (1998)
Ein Album aus dem Oeuvre von Rush heraus zu picken ist gar nicht so einfach. Ein guter Griff ist allerdings Different stages. Ein Zusammenschnitt aus den Konzerten der 90er, mit dem kompletten Breitbandstück „2112“, sowie als Bonus Aufnahmen aus dem Jahre 1978. Was will Fan mehr?!
QUEEN: Queen II (1974)
Wenn man von den herausragenden Queen-Alben spricht, bleibt Queen II oft außen vor. Dabei ist der Band damit ein kleines Glanzstück geworden, das aufgrund seiner inneren Geschlossenheit fast als eine Art Konzeptalbum bezeichnet werden kann. Große Musik gab es von den Briten noch viel, doch selten klang übertriebene Opulenz so treffend wie hier.
SOCIAL DISTORTION: Sex, Love and Rock ‘n Roll (2004)
Mike Ness ist einer der coolsten und authentischsten Musiker überhaupt, Punkt! Und die Alben seiner Band Social Distortion (wie auch seine beiden countrylastigen Soloalben) sind durch die Bank empfehlenswert. Die meisten hätten wahrscheinlich White light, white heat, white trash für diese Liste gewählt. Die positive und abgeklärte Ausstrahlung von Sex, Love and Rock ‘n Roll hat es mir aber ein bisschen mehr angetan.
STRAPPING YOUNG LAD: City (1997)
Die andere Seite von Devin Townsend. City von Strapping Yound Lad, die sich hier erstmals als Band präsentierten, ist ein absolut intensiver Hassbatzen, wie ihn nur wenig Extrembands in ihrer Karriere erreichen werden – auch Devin wohl selbst nicht mehr. Hat man dieses Trip überlebt, bleibt einem nur noch „Oh my fucking God“ zu sagen.
THE TEA PARTY: Triptych (1999)
Vielleicht nicht das beste Album des kanadischen Trios (das wären The edges of twilight und Interzone mantras), aber der erste Eindruck ist ja meist der prägnanteste. Mit „Heaven coming down“ und „The halcyon days“ befinden sich zwei absolute Jahrhundertsongs darauf.
U2: Achtung baby (1991)
Nach dem Erfolg von Joshua Tree und dessen Anhängsel Rattle & Hum war für U2 die Zeit für eine Umorientierung gekommen. Schließlich hatte man so ziemlich alles damit erreicht. Mit einem hippen Album zwischen Alternative Rock und Madchester-Sound hatten allerdings die wenigstens gerechnet. Und genau das machte die CD so spannend - auch heute noch.
WARRIOR SOUL: Last decade dead century (1990)
Kory Clarkes Warrior Soul waren ihrer Zeit mit der kraftstrotzenden Mischung aus Punk, Metal, Glam und Psychedelic, sowie deftigen sozialkritischen Texten ein ganzes Stück voraus. Ihre ersten drei Platten gehören in jedes gut sortierte Plattenregal. Das Debüt Last decade dead century hat es mir mit seinem grandiosen Eröffnungshattrick und der Hymne aller Unterprivilegierten, „Loser“, am meisten angetan.
Mario Karl
|