Saxon

Carpe Diem


Info
Musikrichtung: NWoBHM

VÖ: 04.02.2022

(Silver Lining)

Gesamtspielzeit: 44:20

Internet:

http://www.saxon747.com
http://www.sl-music.net


Kollege Michael hat dieses Jahr das neue Saxon-Album Hell, Fire And Damnation rezensiert und mit 17 Punkten geadelt. Dem hier tippenden Rezensenten ist besagtes Werk noch unbekannt, aber unlängst fiel ihm der bei MAS noch nicht vorgestellte Vorgänger Carpe Diem in die Hände – daher hier also ein paar Worte über selbigen ohne die Option, Querverweise zum ganz aktuellen Werk zu ziehen. Zwar ist bei einer Band wie Saxon nicht mit stilistischen Bocksprüngen zu rechnen, aber die seit nunmehr mehr als 30 Jahren andauernde Verfeinerung des „Spätstils“ (der strenggenommen mit Solid Ball Of Rock einsetzt) kann natürlich trotzdem von Album zu Album in durchaus unterschiedlicher Weise gehandhabt worden sein.
Carpe Diem, ein loses Konzeptalbum über kriegerische Thematiken mit passendem, wenn auch etwas kitschig wirkendem Coveraquarell (zwei Römer auf dem Hadrianswall), eröffnet mit dem Titeltrack, der den Hörer zwiegespalten zurückläßt: Das atmosphärische Intro geht etwas harsch und zusammenhanglos in den Hauptteil über, der sich als mitreißender tempolastiger Banger entpuppt, wobei die Zwiespältigkeit im Refrain besonders hohe Maße annimmt – er wirkt einerseits ein bißchen einfallslos, eignet sich im gleichen Zuge aber trotzdem hervorragend, um das Publikum die Titelworte enthusiastisch mitformulieren zu lassen. Die hier und da über das Hauptriff getupften Melodiegitarren üben allerdings einen ganz besonderen Reiz aus, und der Text bezieht sich dann tatsächlich auf den Hadrianswall und die Kämpfe der Römer auf der britischen Insel. „Age Of Steam“ täuscht mit den Drumstakkati von Nigel Glockler eine größere Härte vor, landet letztlich aber im vielschichtigen Midtempo. „The Pilgrimage“ wiederum bedient ein von den altgedienten Briten schon mehrfach und fast immer in grandioser Weise gepflegtes Genre, nämlich das große schleppende Epos – und auch diesmal versagt das Quintett nicht, sondern stellt den Song in die würdige Reihe von Highlights, in der sich beispielsweise auch „Crusader“, „The Eagle Has Landed“ oder „Broken Heroes“ aufhalten.
Mit diesen drei Nummern ist der Saxon-Kosmos auch auf Carpe Diem praktisch umrissen, die restlichen sieben Songs variieren das bisher Gehörte nur noch, wobei „The Pilgrimage“ sich im Rückblick als der Glanzpunkt der 23. Saxon-Scheibe darstellt. Der Rest bietet natürlich auch weiterhin guten Stoff mit noch etlichen richtig starken Nummern, etwa gleich dem folgenden „Dambusters“ mit einem ungewohnt beschwingt anmutenden Drumming im Intro, das im Hauptteil dann aber geradlinig nach vorne treibt. Dass die Melodielinien von Biff Byfords Gesang keinen allzugroßen Tonumfang mehr abdecken, hat man bis dahin auch registriert – aber das taten sie auch früher nicht immer, und dass der alte Fuchs das neue Material so anlegt, dass er es auch jetzt mit über 70 noch auf ausgedehnteren Touren problemlos rüberbringen kann, versteht sich irgendwie von selbst. Die Stimmfarbe ist jedenfalls nach wie vor so prägnant, dass man sofort erkennt, wer hier am Mikrofon steht, und in einigen Songs wie „Remember The Fallen“ (kein Sodom-Cover natürlich, allerdings auch kein zweites Epos, wie man aus dem Titel schließen könnte, sondern abermals treibendes Midtempo kurz unter der Speedgrenze mit interessantem Exzelsior-Effekt am Ende des Solos – und textlich ein Song über, ja, das Corona-Virus, obwohl es nicht namentlich genannt wird) wagt er sich auch tatsächlich noch ein bißchen weiter in die Höhe, gestützt übrigens von einer Backing-Vokallinie seines Sohnes Seb Byford – da würde man doch durchaus gerne mal hören, was der Filius für Leadqualitäten besitzt.
Bei der LP-Edition müßte man jetzt die Platte drehen und bekäme als B-Seiten-Opener „Super Nova“ vorgesetzt, der im Intro einen sehr harten Kurs andeutet, im Hauptteil dann doch nicht ganz so schroff ausfällt, im Mittelteil aber mit atmosphärischer Zurückhaltung überrascht, so als ob der Beobachter von der Himmelserscheinung quasi gebannt ist, ehe er im Schlußteil zwangsweise dann doch noch zu exotischem Plasma pulverisiert wird. Das schleppende „Lady In Gray“ verkörpert einen etwas anderen Epos-Typ als „The Pilgrimage“, besitzt phasenweise einen leicht düsteren Unterton, zu dem die geflüsterten Backing Vocals passen, und setzt an ausgewählten Stellen auf eine Untermalung aus wenigen Keyboardtupfern und einigen vermutlich ebenfalls der Konserve entsprungenen Streichern, deren konkrete Quelle im Booklet anonym bleibt. Genannt werden hingegen die drei verschiedenen Aufnahmeorte der Scheibe, wobei man mit Interesse liest, dass die Drums im Studio des alten Pharao-Kämpen Jacky Lehmann aufgenommen wurden. An andere alte Kämpen denkt man bei „All For One“, aber auch dieser Song ist keine Raven-Coverversion, sondern eine Eigenkomposition, deren Titel natürlich trotzdem kein Zufall ist – und die Nummer könnte man sich mit John Gallaghers Gesang und ein wenig unkontrolliert-wilderem Drumming auch im Repertoire dieser anderen NWoBHM-Legende vorstellen. „Black Is The Night“, ein eher unauffälliger Midtemposong, gewinnt durch das abermalige Einflechten eines sanften melodieseligen Mittelteils enorm an Wirkung. Beschrieben wird hier eine Polarnacht, kein nuklearer Winter, und der Mittelteil erschließt sich thematisch daher nicht auf den ersten Gedanken hin, aber auch hier könnte das lyrische Ich staunend draußen unter dem Sternenhimmel stehen, bevor es dann doch einen geschützten Raum aufsuchen sollte, um dem Erfrierungstod zu entgehen. Das speedige „Living On The Limit“, das Carpe Diem abschließt, besitzt anfangs fast punkige Züge, ehe auch hier ein überraschender Mittelteil eingebaut wird, zunächst zwei verzerrte Vokaleinwürfe und dann nochmal so ein Anflug von epischer Melodieseligkeit. Wie das zusammenpaßt, ist dem Rezensenten auch nach etlichen Durchläufen noch schleierhaft, auch wenn’s zweifellos gut gemacht ist.
So haben wir mit Carpe Diem unterm Strich eine weitere richtig gute Saxon-Scheibe, selbst wenn letztlich nicht jeder Einfall als Geniestreich durchgeht. Aber im Direktvergleich mit vielen anderen „alten“ Bands zeigen die Briten, dass es möglich ist, auch im fortgeschrittenen Alter noch kompromißlosen Metal zu erschaffen, der qualitativ keinen Vergleich mit früheren Werken zu scheuen braucht. Die knappe Dreiviertelstunde ist daher zwar kein alles überstrahlendes Meisterwerk, aber zweifellos hochgradig hörenswert. Die Copyright-Angaben auf der Rückseite des Digipacks zu lesen und die Logos daneben zuzuordnen ist allerdings nicht nur für Rot-Grün-Blinde nahezu unmöglich ...



Roland Ludwig



Trackliste
1Carpe Diem (Seize The Day)4:42
2Age Of Steam4:09
3The Pilgrimage6:29
4Dambusters3:20
5Remember The Fallen5:15
6Super Nova4:21
7Lady In Gray5:13
8All For One3:43
9Black Is The Night4:12
10Living On The Limit2:55
Besetzung

Biff Byford (Voc)
Paul Quinn (Git)
Doug Scarratt (Git)
Nibbs Carter (B)
Nigel Glockler (Dr)



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