Metal Church

From The Vault


Info
Musikrichtung: Metal

VÖ: 10.04.2020

(Reaper Entertainment)

Gesamtspielzeit: 78:28

Internet:

http://www.MetalChurchOfficial.com
http://www.reapermusic.de


Nach dem gutklassigen Album Damned If You Do, dessen Titeltrack sich refrainseitig über die Jahre hinweg zum Ohrwurm entwickelt hat, setzte sich Metal-Church-Chefdenker Kurdt Vanderhoof hin und stellte einen Zwischendurch-Release zusammen, der in der US-Fassung von Rat Pak Records in einer seiner vier Grundkomponenten völlig anders bestückt ist als in der hier rezensierten Europa-Fassung. Dass dieser Release auch die vermutlich letzten Studioaufnahmen des gerade erst zum XI-Album ans Mikrofon zurückgekehrten Mike Howe enthalten würde, konnte zum Releasezeitpunkt noch niemand ahnen – der Vokalist kam 2021 unter nicht restlos geklärten Umständen ums Leben, und die bekanntgewordenen Details sprechen für einen Suizid.

Gehen wir also sein akustisches Studiovermächtnis der Reihe nach durch. Die ersten vier Songs sind als „New Studio Tracks“ überschrieben, und die hätte man einerseits auch gut als EP herausbringen, andererseits ebenso gut fürs nächste Studioalbum aufheben können. Aber so bekommen wir sie halt hier in diesem Kontext zu hören. Überraschenderweise steht mit „Dead On The Vine“ ein geradliniger Speedie an der Spitze – eine Speedband waren Metal Church bekanntlich nie, wenngleich sie gelegentlich unter Beweis stellten, dass sie auch dieses Metier beherrschten. Hier gibt es zudem ein songwriterisch kompaktes und durchaus gut gelungenes Beispiel zu hören. „For No Reason“ hingegen bewegt sich eher im bandgewohnten Midtempo-Power Metal, während „Above The Madness“ temposeitig zwischen diesen beiden Polen angesiedelt ist und durch eine locker über Teile des Hauptriffings und den Refrain gelegte Leadgitarre etwas luftiger wirkt als so mancher andere Riffbrocken, den sich Kurdt Vanderhoof aus den Rippen geleiert hat. Auch das Solo mit seinen Wechseln aus Zügigkeit und Verharrung macht richtig Hörspaß. Vor diesem Song steht mit „Conductor“ allerdings noch eine Nummer, die man in diesem Kontext nicht erwartet hätte, befindet sich ein Song dieses Titels doch schon auf dem Hanging In The Balance-Album, und die Credits hier im Booklet weisen Craig Wells als Co-Komponist aus – also ist bereits vor dem Hören klar, dass es sich um eine Neueinspielung handeln muß, und das macht der Untertitel „(Redux)“ auch schon deutlich. So groß sind die Unterschiede zum Original aber gar nicht, und Hörspaß machen alle beide Versionen.
Die nächsten fünf Songs sind „B-Side Tracks from the ‚Damned If You Do‘ Sessions“. Auf welchen B-Seiten die im einzelnen stehen, muß derjenige ergründen, der sich mit der konkreten Single-Veröffentlichungs-Praxis der Seattler genauer auseinandergesetzt hat. Dass es „Mind Thief“ nicht aufs Album geschafft hat, erscheint erstmal nicht ungewöhnlich, wirkt die Nummer doch in der Schlagzeugarbeit hier und da etwas zu überambitioniert. „Tell Lie Vision“ dagegen hätte das Zeug zum Albumtrack gehabt, obwohl auch hier Stet Howland bisweilen gefühlt ein paar Schläge zuviel setzt – aber der klassische Hardrock-Touch, der hier über dem metallischen Gerüst liegt, macht definitiv Hörspaß, und wenn sich Vanderhoof getraut hätte, das nur phasenweise ganz im Hintergrund herumklimpernde Mellotron akustisch prominenter zu plazieren, wäre hier ein stilistisch zwar ungewöhnlicher, aber doch lohnender Beitrag fürs Album entstanden, den man dann andererseits aber auch auf ein Album seiner Solotruppe hätte packen können. „False Flag“ wiederum hätte in den Schlußblock des MC-Albums gepaßt, wo sich die oldschooligen, exakt eine Songidee durchexerzierenden Songs gruppierten, und wäre mit seinem soliden Midtempo dort zwar nicht auf-, aber auch nicht aus dem Rahmen gefallen. Wie diese beiden Songs sind auch die beiden Instrumentalstücke „Insta Mental“ und „432 Hz“ im Booklet in einer anderen Reihenfolge abgedruckt als in der Tracklist – während man bei den beiden Gesangsnummern aber anhand der Lyrics problemlos feststellen kann, dass die Variante in der Tracklist (die folgerichtig auch hier im Kasten zu lesen ist) stimmt, ist das bei den Instrumentals naturgemäß nicht möglich. Es könnte allenfalls mal jemand mit absolutem Gehör prüfen, ob eines der beiden Stücke tatsächlich in der Grundstimmung mit dem Ton a‘ bei 432 Hz gehalten ist. Das auf der CD zuerst zu hörende ist jedenfalls ein leicht angeproggtes Rockstück, das andere ein hübsches Akustikgitarreninstrumental mit gelegentlichem Mellotronteppich.
Mit einem Akustikintro über waberndem Mellotron geht auch der nächste Block los – aber daraus entwickelt sich die erste von drei Coverversionen. Dass Kurdt Vanderhoof in den Siebzigern musiksozialisiert worden ist, weiß man ja anhand der Ausrichtung seiner erwähnten Soloband Vanderhoof, die knackigen Siebziger-Hardrock spielte. So ist die Auswahl der Coverversionen auch nicht weiter verwunderlich, und sie zeigt zudem, dass Vanderhoof durchaus intimere Szenekenntnisse besitzt. Will man Nazareth covern, fällt die Wahl nur bei Spezialisten auf „Please Don’t Judas Me“ vom Hair Of The Dog-Album, eine interessante Halbballade, die den zurückhaltenden Gestus des Intros noch bis jenseits der Dreiminutenmarke beibehält, ehe sich rockende, aber temposeitig überschaubar bleibende Härte breitmacht und Howe unter Beweis stellt, dass er Dan McCafferty durchaus das Wasser reichen kann. „Green Eyed Lady“ ergänzt trotz gesteigerten Tempos den Siebziger-Touch noch mit einem ganz leichten historischen Wave-Touch, und die Riffs schwingen hier ganz weit aus, wobei der klassische Metal-Church-Metal aber auch gar nicht so weit entfernt lagert, vor allem im Solo nach hinten heraus, wenn sich ein fast galoppierender Touch entwickelt. Sugarloaf, von denen diese Nummer stammt, stellen jedenfalls auch nicht gerade eine Wahl von der Stange dar, wenn es an die Wahl einer Coverversion geht. Im Direktvergleich mutet die Wahl des durch Ram Jam popularisierten „Black Betty“ fast konventionell an, aber Spaß macht natürlich auch diese Version, der einerseits einiges vom ramjammigen südstaatenassoziierendem Charme belassen und andererseits eine metallische Aufpolierung verpaßt wurde.
Bis hierher sind die US- und die Euro-Version identisch, der letzte Block unterscheidet sich aber komplett. Die US-Version enthält noch zwei Livemitschnitte aus Japan, nämlich „Agent Green“ und „Anthem To The Estranged“. Die Euro-Version fährt hingegen vier völlig andere Songs auf, die ersten beiden in der Tracklist wieder mal in anderer Reihenfolge als im Booklet. Es geht auf der CD mit „Fake Healer“ los, und zwar in einer Duettversion mit Todd la Torre, der bei den Ortsnachbarn Queensrÿche am Mikrofon steht und hier die zweite Strophe sowie einige weitere Zeilen singt, allerdings in der Strophe irgendwie angestrengt oder aber leicht verzerrt klingt, während das Refrainduett besser zu gefallen weiß. „Badlands“, ein weiterer Song aus Howes Mark-I-Ära bei Metal Church, kommt als 2015er Neueinspielung, die das Original nicht übertrifft, aber wohl als Testballon diente, was Howes Stimme zum Zeitpunkt seines Wiedereinstiegs noch zu leisten imstande war, und unter Beweis stellt, dass er durchaus noch singen und shouten kann, wobei er hier ungewöhnlicherweise in sehr melodischen Gefilden agiert. Aus der gleichen Ära stammen auch „The Enemy Mind“ und „The Coward“, die das Album abschließen – das waren die Bonustracks der US-Fassung von Howes Wiedereinstiegsalbum XI, und mit dieser Struktur ist auch klar, wieso sie auf der US-Pressung von From The Vault nicht sinnvoll gewesen wären, aber auf der Euro-Pressung Sinn ergeben. „The Enemy Mind“ bietet gutklassigen Power Metal mit leicht schrammeliger Gitarrenarbeit und einem Wechsel zwischen mehreren treibenden Tempolagen, „The Coward“ hingegen setzt im Hauptteil auf nur eine Lage und agiert sowohl im Unterbau klassischer als auch bezüglich der darüberliegenden Leadgitarre luftiger, zumal auch Howland hier fast federnd spielt, während er sonst auch mal ganz enge Doppelschläge setzt und im Solo die zu ziehenden Register viel breiter gelagert sind. Der Song hätte jedenfalls auch die Euro-Version aufgewertet – aber so bekommen wir ihn halt wenigstens hier noch zu hören. Nur die einfallslose Ausblendung zieht ihn wie auch seinen Vorgänger unnötig weiter herunter, zumal Howland gerade in diese Ausblendungen hinein nochmal zu großen intensiven Stakkati ansetzt, die dann aber verpuffen.

Zusammenfassend bleibt eine gutklassige „Resteverwertung“ als ungeplanter Grabstein für Howe, der zwar die Geschlossenheit eines Albums bzw. dessen Dramaturgie abgeht, die das aber mit durchaus interessanten Einzeltracks kompensiert, auch wenn nicht jeder Findling nach Aufpolierung so hell strahlt wie so mancher Diamant der Vergangenheit. Aber das war ja auch nicht zu erwarten, und Hörspaß für den Metal-Church-Anhänger machen die über 78 Minuten Musik allemal.



Roland Ludwig



Trackliste
1Dead On The Vine3:57
2For No Reason4:44
3Conductor (Redux)4:09
4Above The Madness5:41
5Mind Thief4:29
6Tell Lie Vision4:13
7False Flag4:28
8Insta Mental4:03
9432 Hz3:56
10Please Don’t Judas Me6:52
11Green Eyed Lady6:41
12Black Betty3:58
13Fake Healer (Duet With Todd la Torre)5:56
14Badlands (2015)7:22
15The Enemy Mind3:08
16The Coward4:12
Besetzung

Mike Howe (Voc)
Kurdt Vanderhoof (Git, Mellotron)
Rick van Zandt (Git)
Steve Unger (B)
Stet Howland (Dr)



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