Toundra

Hex


Info
Musikrichtung: Postrock

VÖ: 14.01.2022

(InsideOut)

Gesamtspielzeit: 45:25

Internet:

http://www.toundra.es


Im Frühjahr 2022 gingen Toundra auf Tour, um ihr Hex-Album zu promoten, und sie sollten eigentlich am 11.6. auch in Jena im KuBa spielen. Der Rezensent war da – aber die Band nicht: Ihr fahrbarer Untersatz war auf dem Weg vom Vortagesgig in München nach Jena liegengeblieben, dämlicherweise auch noch mitten im Stau auf der Autobahn, so dass keine Chance bestand, irgendwie rechtzeitig von der Isar an die Saale zu gelangen. Ergo mußte der Supportact jeffk den Gig im Alleingang bestreiten, und dem Rezensenten entging seine erste akustische Begegnung mit dem iberischen Quartett, so dass diese nunmehr per Konservenkontakt mit dem besagten Album Hex stattfindet.
Zunächst fallen formale Dinge ins Auge. Toundra hatten ihre ersten vier Alben alle selbstbetitelt gelassen, die praktische Unterscheidung findet nur mittels römischer Ziffern statt – Led Zeppelin lassen freundlich grüßen. Wie Page, Plant, Jones und Bonham gaben auch die Spanier erstmals ihrem Fünftling einen eigenständigen Titel, in diesem Fall Vortex, während das sechste Album seltsamerweise sogar einen deutschen Titel erhielt, nämlich „Das Cabinet des Dr. Caligari. Versteht man Hex lateinisch, wäre eigentlich das der passende Titel fürs sechste Album gewesen, aber da nun erst das siebente Werk so heißt (und nicht etwa „Hept“), wird auch hier wieder eine Abweichung vom numeralen System zu erwarten sein, und wenn in der Band schon Anhänger der deutschen Sprache am Werk sind, könnte tatsächlich abermals in diese Richtung zu denken sein. Mit einem Titeltrack in die Karten schauen lassen sich die Madrilenen nicht, aber der hätte eh wenig genützt, schließlich agiert die Formation rein instrumental, und Geräuschkulissen wie die von brennenden Scheiterhaufen gibt es weder akustisch noch optisch – die Gestaltung des Albums mutet eher futuristisch an, aber auch solche Gedanken finden musikalisch keine Entsprechung. Vielmehr hören wir hier klassischen Postrock, wie er klassischer nicht sein könnte. Die mal voll verzerrten, mal halbcleanen Gitarren spielen ganz klar die Hauptrolle – im Nebenjob bearbeiten zwar gleich drei der vier Mitglieder auch mal die Tasten, aber diese Passagen beschränken sich weitgehend auf einige Verzierungen und gehen nur selten in konkrete Themenarbeit über. Eine der markanten Ausnahmen ist der dritte Teil von „El Odio“, in dessen Mittelteil ein historisches Piano klimpert, dessen Thema dann später auch von den Gitarren weiterverarbeitet wird. Im Intro dieses dritten Teils hört man auch noch ein tief knarzendes Instrument, bei dem man zunächst an ein Didgeridoo denkt, bei dem es sich aber wohl um Adrià Bauzo mit ihrem Saxophon handelt, die im Inneren des Digipacks als Gastmusikerin angegeben ist, und zwar auch noch für „Watt“, wo das Saxophon im Mittelteil dann eindeutig als ein solches zu erkennen ist und gleichfalls Themenarbeit mit verrichtet. Ansonsten gibt es noch drei weitere Gäste, nämlich einen zusätzlichen Percussionisten und zwei Menschen, die in „Ruinas“ und „Fin“ für „Programming“ sorgen, wobei zumindest im erstgenannten Song die Programmierung von was auch immer so in den Song integriert ist, dass man ihr Vorhandensein praktisch kaum bemerkt.
Aber auch die vier hauptamtlichen Toundra-Mitglieder verstehen nicht nur ihr Handwerk, sondern auch die Kunst des dynamischen und spannenden Songwritings, ohne dass das Publikum etwa wegen des fehlenden Gesangs zu gähnen beginnen würde. Eingängige Hooks kommen immer wieder aus den Gitarren, unterschreiten die Penetranzschwelle allerdings ein gutes Stück, die stückimmanente Dramatik weiß auch zu überzeugen, und in einer Szene wie dem Übergang ins große Finale von „El Odio II“ zieht man den imaginären Hut vor der Größe dieses Moments. Zudem liefern Toundra einige Denksportaufgaben für den Rezensenten, etwa an wen ihn der markante Keyboardsound in „Watt“ erinnert. Sieben Songs in einer Dreiviertelstunde machen klar, dass die Spanier durchaus für ausladendere Arrangements zu haben sind, zumal drei der sieben Nummern ja auch noch für die drei Teile von „El Odio“ draufgehen, die es damit summiert auf knapp 22 Minuten bringen und somit eine LP-Seite allein füllen, falls es Hex denn auch auf Vinyl geben sollte. Diese drei Stücke sind seit 2021 übrigens schrittweise auch als Vorab-Singles veröffentlicht worden, in diesem Fall allerdings in ihrer regulären Reihenfolge, was bei den Akt I bis III-Singles des Vorgängeralbums genau anders herum gehandhabt worden war. Das Soundgewand ist schön klar und läßt den Ideen akustischen Raum zum Atmen – wüster Lärm oder Bombast mit Spurenoverkill ist die Sache von Toundra nicht, auch die bombastischeren Passagen bleiben stets klar strukturiert. Stilistisch ein wenig aus dem Rahmen fällt lediglich „Fin“, naturgemäß am Ende des Albums plaziert, mit knapp fünf Minuten der kürzeste der sieben Songs und durchgehend halbballadesk bleibend, wobei die programmierte Soundlandschaft im Hintergrund den eskapistischen Eindruck dankenswerterweise nicht stört. Neues oder im Postrockbereich Ungehörtes bieten Toundra nicht, aber da sie schon seit 2007 am Start sind, also zu den Vätern der Renaissance dieses Stils zählen, erwartet das von ihnen wohl auch niemand. Hex dürfte jedenfalls keinen Freund klassischen Postrocks enttäuschen.



Roland Ludwig



Trackliste
1El Odio. Parte I8:05
2El Odio. Parte II6:44
3El Odio. Parte III6:54
4Ruinas5:02
5La Larga Marcha5:50
6Watt7:51
7Fin4:58
Besetzung

Esteban Girón (Git)
David López (Git, Keys)
Alberto Tocados (B, Keys)
Alex Pérez (Dr, Keys)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>