When Electricity Came Back To Altenburg: Circus Electric Open Air beim Jazzklub
So hatte sich das rührige Team des Jazzklubs Altenburg das Jubiläumsjahr zu seinem 40jährigen Bestehen wohl nicht vorgestellt: Die ersten Veranstaltungen konnten noch wie geplant stattfinden, aber ab Mitte März herrschte auch hier coronisierte Ebbe an der Konzertfront. Das sollte sich nun endlich wieder ändern, fanden die Macher, und da das Hygienekonzept für eine Open-Air-Veranstaltung (ein „Festival“, wie es im coronisierten Behördendeutsch tituliert wird) leichter realisierbar erschien als für ein Indoor-Event, stellte Wolfgang Kern seine neben dem Weindepot Priem (das zu den traditionellen Indoor-Spielstätten des Jazzklubs zählt) befindliche Wiese zur Verfügung, woselbst am vermutlich letzten richtig heißen Tag des Sommers 2020 im Schweiße der Angesichter der Helfer eine Bühne aufgebaut und das Gelände davor mit Stehtischen, Sitzgruppen etc. strukturiert wurde, um die Einhaltung von Abstandsregeln etwas einfacher nachvollziehbar zu halten. Im Gegensatz zur sonstigen Anmutung des Terminus „Festival“ spielt an dem immer noch enorm warmen, wenngleich dicht bewölkten Abend „nur“ eine Band, die aber zwei Sets mit jeweils einer zweistelligen Songanzahl bestreitet. Dabei sind Circus Electric trotz ihres erst seit 2019 währenden Banddaseins lokal durchaus keine Unbekannten: Sie haben schon mal im Kuhstall Tanna, einer legendären Location am Westrand des Altenburger Landes gespielt, mancher Anwesende kennt sie möglicherweise auch noch unter ihrem früheren Namen The White Dukes, und es hätte nicht viel gefehlt, dass Sänger/Gitarrist Adrian Dehn im Januar 2018 schon mal im Weindepot aufgetreten wäre – damals spielten dort nämlich East Blues Experience mit seinem Vater Ronny am Schlagzeug, und üblicherweise war Adrian dort als Zweitgitarrist mit dabei, zu jener Zeit allerdings gerade nicht, da er in Panama weilte (wer Details wissen möchte, lese den Konzertbericht auf diesen Seiten nach). Und da East Blues Experience bisher noch kein weiteres Mal in Altenburg waren, kommen jetzt eben sozusagen Circus Electric als „Ersatz“ – aber sie sind weit mehr als nur ein solcher, und sie ziehen durchaus ihr eigenes Ding im Bluesrocksektor durch. Nach einer 2019er EP haben sie 2020 ihr selbstbetiteltes Debütalbum eingespielt, und dieses erblickt justament an jenem Abend das Licht der Welt, so dass der Gig auch gleich noch die Record-Release-Party darstellt, die somit als Treppenwitz der Musikgeschichte nicht im großen Berlin, woselbst die Formation beheimatet ist, sondern im beschaulichen Altenburg stattfindet. Nachdem Jazzklub-Chef Jörg Neumerkel das Publikum ermahnt hat, sich heute mal nur platonisch zu lieben, geht das Konzert mit gewisser Verspätung los – und auch Adrian erweist sich als Meister der leicht schrägen Ansagen, erklärt Berlin für überbewertet (weswegen man die Record-Release-Party hierher nach Altenburg verlegt habe und alle Songs des Albums spielen werde), verkündet, dass es in „Make It Rain“ nicht um Wasser gehe, und setzt trotz der Temperaturen seinen Hut während des gesamten Konzertes nicht ab. Der Bluesrock des Trios gerät eher kompakt und wird dabei durchaus tempovariabel vorgetragen, kratzt im massiven „Looking For Love“ an der Doomgrenze, ohne diese aber nach unten zu durchbrechen (man erinnere sich, dass auch Black Sabbath einstmals aus dem Blues kamen), und überschreitet auch nach oben eine bestimmte Schlagzahl noch ein gutes Stück unterhalb der Speedgrenze nicht, bewegt sich in diesem Spektrum aber gekonnt und weiß durchaus gute Ideen zu evozieren, etwa das spannende Vokal-Gitarren-Duett im Mittelteil von „Magic Medicine“, das hier besonders skurril wirkt, weil Dehn sozusagen mit sich selber duettiert. „All The Way“, das er zusammen mit Steve Diamond in Nashville geschrieben hat, erlebt an diesem Abend seine Livepremiere, und so um diesen Song herum, der an Position 5 des ersten Sets steht, hat auch der Soundmann langsam die besten Einstellungen gefunden und Oskar Pursches Baß besser in den klaren und weder zu lauten noch zu leisen Sound eingebunden, und nur dessen Backing Vocals gehen immer noch etwas unter, was sich dann erst im zweiten Set ändert. Stimmlich steht Dehn allerdings im Mittelpunkt, klingt deutlich älter, als er biologisch ist, und weiß mit dem schnoddrigen, leicht nasal anmutenden Vortrag durchaus zu überzeugen, wenngleich da noch durchaus Potential für mehr lauert. Das ist auch ein gutes Stichwort für die gesamte Herangehensweise von Circus Electric: Wie viele ihrer mutmaßlichen Vorbilder (Glyder oder Rival Sons seien als jüngere Exempel angeführt) setzen sie eher auf kompakte Nummern, und man erwartet, dass sie es auch so handhaben wie so manche von jenen, also die Vorlagen live aufbrechen und durch wildes Instrumentalsolieren doppelt so intensiv und dreimal so lang machen – genau das traut sich das Trio zumindest an diesem Abend aber noch zu selten, obwohl etwa die alte White-Dukes-Nummer „Take It Slow“ beweist, dass sie das können und auch noch richtig gut. Da darf die Band in Zukunft also gerne wieder mehr Mut beweisen, um aus einer soliden Darbietung ein richtig begeisterndes Ergebnis zu zaubern, denn das, wofür an diesem Abend erste Ansätze erkennbar sind, das hatten sie zu White-Dukes-Zeiten in geringfügig anderer Besetzung schon deutlich ausgeprägter kultiviert, wovon sich der Rezensent anno 2016 beim Magnificent Music Festival in Jena hatte überzeugen können (es lese das Review auf www.crossover-netzwerk.de/16090910.htm nach, wer Genaueres wissen möchte). Interessante Ideen bringen sie freilich auch an diesem Abend allemal zu Gehör, sei es das Baßlead in „Black Robber“, das knackige Riff unter dem Refrain von „Rolling On“, die spannenden Rhythmusfiguren in „To The Horizon And Back“ oder das sich mit einem langen Instrumentalpart aufbauende (allerdings auch aus alten White-Dukes-Zeiten stammende) „Monday Child“ – wenn sie es jetzt noch schaffen, all das auch nutzbringend einzusetzen (das gelingt aktuell noch nicht immer, verpufft z.B. die Wirkung mancher ekstatischer Soli Adrians, weil der Song danach plötzlich ausklingt), könnten sie noch etliche Schritte nach vorn kommen, denn Potential ist hier offenkundig jede Menge da. „Let Me In“ mit seinem überraschenden Tonartwechsel zum Solo hin schließt den zweiten Set hochkarätig ab, aber das Trio wird selbstverständlich noch zu einer Zugabe überredet, die es mit einem Cover von „Purple Haze“ ebenso selbstverständlich gewährt – und hier klappt das mit der geschickten Einbindung eines ausladenden Solos auch ganz hervorragend. Kurz vor 23 Uhr endet somit ein denkwürdiger Gig, der hoffentlich einen ersten Schritt auf dem Weg zu so etwas Ähnlichem wie Normalität markiert, auf dass das restliche Jubiläumsjahr des Jazzklubs noch weitere Highlights bereithalten kann (Pläne gibt es auf alle Fälle, beginnend mit einem weiteren Open Air von Meniak an gleicher Stelle am 18.9.). Roland Ludwig |
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