Berlin war für David Bowie eine gesunde Sache
Die „Berliner Trilogie“ ist ein stehender Begriff für die drei Alben, Low, “Heroes“ und Lodger, die David Bowie in der zweiten Hälfte der 70er aufgenommen und veröffentlicht hat. Dabei ist die Kennzeichnung eigentlich nicht ganz sachgemäß. Streng genommen kann man von diesen drei Alben nur “Heroes“ (VÖ: Oktober 1977) wirklich als Berliner Album bezeichnen. Als die Aufnahmen zu Lodger (VÖ: Mai 1979) begannen, hatte Bowie Berlin längst wieder verlassen. Und Low (VÖ: Januar 1977) war im Wesentlichen bereits im Kasten, als Bowie nach Berlin kam. In den legendären Berliner Hansa Studios mit Blick auf die Mauer wurde nur noch der letzte Schliff angelegt. Die Klammer, die diese drei Alben zusammenhält, ist eigentlich das Kern-Team der Musiker, die bei ihnen zusammengearbeitet haben – neben Bowie selbst waren das in erster Line Brian Eno und Tony Visconti. Dennoch gibt es tatsächlich drei Berliner Alben, für die Bowie prägend verantwortlich waren. Neben “Heroes“ sind das die beiden Alben The Idiot (VÖ: März 1977) und Lust for Life (VÖ: September 1977) von Iggy Pop. Insbesondere zu ersterem hat Bowie wohl deutlich mehr beigesteuert, als Iggy Pop. Seabrook macht dies bereits in der Grundkonzeption seines Busches deutlich. Die zehn Kapitel sind in drei Teile aufgeteilt. Der zweite, Part 2 – New Music: Night and Day, ist der Teil, der Bowies Berliner Zeit zentral im Blick hat. Jedes der vier seiner Kapitel endet mit einer ausführlichen Song-für-Song-Analyse eines Albums. Lodger fällt hier völlig raus. Berücksichtigt werden – in der Reihenfolge ihres Erscheinens die beiden Iggy Pop Alben, Low und “Heroes“. Vor dem zweiten steht aber noch der erste Teil. Und der ist so ausführlich, dass er den Buchtitel Bowie in Berlin Lügen straft; gleichzeitig aber deutlich macht, welche Bedeutung Berlin für Bowie hatte. Wir werden mit einem Künstler bekannt gemacht, der als Ziggy Stardust und The thin white Duke zu Weltruhm gekommen ist und wie viele Stars in einen Strudel von Exzessen, Drogen und Alkohol geraten ist. Insbesondere seine Zeit in Los Angeles steht für diese (selbst)zerstörerische Phase seines Lebens. Im Zentrum dieses Teils steht das Album Station to Station (VÖ: Januar 1976). Der David Bowie, der uns in diesem Kapitel gezeigt wird, ist ein Künstler, der an seinem Ruhm gescheitert ist. Mich erinnerte das Kapitel in Teilen an Oliver Stones Film über die Doors, in dem der Absturz des sensiblen Jim Morrison sehr beeindruckend geschildert wird. Bowie entscheidet sich dann sehr bewusst dazu, das ihn zerstörende LA zu verlassen. Und während er seinen Familiensitz in die Schweiz verlegt, ist Berlin seine Wahl für sich selbst. Berlin verändert Bowie. Im dritten Teil schildert Seabrook dann bereits in Ansätzen den elder statesman of Pop Music, eine Rolle, in die Bowie bis zu seinem Tod immer mehr hineinwuchs. Dass etwas Neues beginnt macht der Untertitel des neunten Kapitels deutlich. Es ist betitelt: Lodger: Completing the Trilogy or making a new Start?. Kommen wir noch einmal zurück auf den zentralen zweiten Teil, der Bowies Jahre, oder vielleicht besser: Monate, in Berlin in den Blick nimmt. Hier muss deutlich gesagt werden: Es handelt sich um ein Bowie- und kein Berlin-Buch. Berlin taucht in Seabrooks Buch nur am Rande auf. Es sind im Wesentlichen zwei Berliner Orte, die konkret erwähnt werden - Bowies Wohnung in der Schöneberger Hauptstraße und das bereits erwähnte legendäre Hansa Studio. Ansonsten wird von Besuchen in Bars, Ausstellungen etc. berichtet. Aber das ist alles so unspezifisch, dass man an diesen Stellen problemlos auch Hamburg, München, Hannover; London, Paris, Stockholm; Sydney, Montreal oder Moskau hätte einfügen können, ohne das Verständnis des Textes zu tangieren. Berlin ist für Bowie mehr eine Therapie, als ein Lebensort. So jedenfalls ist der Eindruck, den Seabrooks exzellentes Buch hinterlässt. In der Anonymität der Stadt gelingt es dem Künstler zu heilen. Er kann sich auf sich konzentrieren, auf seine Musik und hat eine Umgebung, in der er sich unerkannt bewegen kann. Man sagt das Berlin ja bis heute nach, dass gerade Prominente sich in dieser Stadt relativ normal bewegen können und dass die Berliner sich nicht gleich auf sie stürzen, wenn sie in einem Club, einem Restaurant oder auf einem Flohmarkt auftauchen. Berlin als Stadt mit seiner Geschichte, seiner Kultur, seine Eigenheit, scheint Bowie wenig beeinflusst zu haben – vielleicht mit Ausnahme einiger türkischer Melodien, die auf “Heroes“ zu finden sind, insbesondere, wenn man den 1991er Re-Release mit seinem Bonus-Track „Abdulmajid“ in der Hand hat. Berlin als Lebensphase war dagegen offenbar der entscheidende Wendepunkt, der verhindert hat, dass er sich (fast) mit Kurt Cobain, Jimi Hendrix, Jim Morrison im Club 27 eingefunden hätte - etwas verspätet zwar, denn er war schon 29, als er nach Berlin kam. Im Gegensatz zu anderen Bowie-Biographien ist Bowie in Berlin keine Hagiographie. Es wird durchaus zugestanden, dass einiges von dem, was er auf den besprochenen legendären Alben veröffentlicht, eher schwer genießbar ist. Die Erstauflage von Bowie in Berlin erschien 2008. Im Juni 2020 ist die fünfte Auflage völlig unverändert erschienen, die den zwischenzeitlichen Tod Bowies daher mit keinem Wort erwähnt. Norbert von Fransecky |
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