Hans-Josef Jakobs kommt beim Gang durch Bachs Leben gelegentlich ins Stolpern




Info
Autor: Hans-Josef Jakobs

Titel: Mit Johann Sebastian Bach unterwegs. Ein biografischer Reiseführer

Verlag: SCM Hänssler

ISBN: 978-3-7751-5083-5

Preis: € 14,95

160 Seiten

Internet:
http://www.scm-haenssler.de

Wollte man einen biografischen Reiseführer beispielsweise über Georg Friedrich Händel schreiben, so würde bei einem frühen „Kosmopoliten“ wie ihm ein relativ umfangreiches Werk entstehen, und bei Gustav Mahler ist in Gestalt von Helmut Brenners und Reinhold Kubiks Mahlers Welt gar ein richtig dicker Wälzer draus geworden, den man nicht unbedingt im Rucksack mit sich herumschleppen möchte, sondern eher zur heimischen Vor- oder Nachbereitung nutzen wird, zumal dieses Buch viele Elemente eines klassischen Reiseführers gar nicht erst enthält (siehe die Rezension auf diesen Seiten). Etwas anders liegt die Sache bei Johann Sebastian Bach: Der heute zumindest in Deutschland Bekannteste des großen barocken Triumvirates (zu dem außer ihm und Händel noch Georg Philipp Telemann zählt) verbrachte sein komplettes Berufsleben im heutigen Thüringen sowie den angrenzenden Regionen Sachsens und Sachsen-Anhalts, begab sich zu Aus- bzw. Weiterbildungszwecken zweimal nach Norddeutschland und hielt seine Reiseaktivitäten in eher überschaubarem Rahmen – das letztgenannte Attribut läßt sich also auch auf einen Reiseführer zu seinen hauptsächlichen Lebensstationen anwenden, wie ihn Hans-Josef Jakobs hier auf 160 Seiten im klassischen Längsformat, das man gerade noch in die Tasche des Jacketts bekommt, vorlegt.
Vom Aufbau her bietet sich das chronologische Folgen der Lebensstationen Bachs als Grundstruktur förmlich an, da es nur eine große „Kreuzung“ gibt, nämlich Weimar, wo Bach zweimal tätig war, einmal für nur relativ kurze Zeit anno 1703 und einmal fast ein Jahrzehnt lang, von 1708 bis 1717. Alle anderen Stationen lassen sich problemlos „aufreihen“, wobei Jakobs hier und da noch weitere Untergliederungen vornimmt, also beispielsweise der Hochzeit in Dornheim ebenso ein eigenes Kapitel widmet wie einem kurzen einleitenden Abriß über die Vorfahren Bachs, während wiederum der Studienaufenthalt in Lübeck kein eigenes Kapitel bekommt, so dass der Autor letztlich auf zwölf Komplexe kommt. Die Zahl ist angesichts Bachs bekannter Vorliebe für Zahlensymbolik sicher kein Zufall – und ebenjene Zahlensymbolik findet sich dann auch als Thema von einer der zusätzlichen Infoboxen, die jeweils einen bestimmten Aspekt aus Bachs Leben, Schaffen oder Umfeld etwas genauer beleuchten, also beispielsweise die Prügelei mit dem Primaner Geyersbach in Arnstadt, die Kaffeekantate oder die Methodik bei einer Augenoperation im 18. Jahrhundert, die dem heutigen Leser naturgemäß alle verfügbaren Haare zu Berge stehen läßt – und Bach hatte den gleichen Augenarzt wie Händel, mit in beiden Fällen „überschaubarem“ Erfolg. Solche zusätzlichen Informationen machen das Geschehen interessant, plastisch und lebendig – Jakobs neigt allerdings bisweilen auch im Text der Hauptkapitel dazu, bestimmte Dinge in sehr großer Detaildichte darzustellen, längere Passagen aus historischen Zitaten einzuflechten und so ein wenig zu weit vom Weg abzukommen und sich in für einen grundlegenden und eher kompakt gehaltenen Reiseführer zu großen Ausschweifungen zu verlieren. Wer bestimmte Aspekte vertiefen möchte, wird zu Spezialliteratur greifen, die es ja über Bach in reichhaltiger Menge gibt (obwohl selbst bei ihm immer noch so manches Desiderat in der Forschung zu beklagen ist), während man sich hier im Kontext des Reiseführers bisweilen etwas mehr Konzentration aufs Wesentliche gewünscht hätte. Hier holt den Autor möglicherweise sein persönlicher Background ein: Er hatte, wie er im Vorwort selbst bekennt, keinen näheren Bezug zu Bach, bis er im großen Bach-Jahr anno 2000 im Fernsehen einen Bach-Film sah und daraufhin zum „Fan“ wurde – Musikwissenschaftler ist er offenbar nicht, und so reizvoll ein „Blick von außen“ gelegentlich auch sein kann, um einem bekannten Sujet neue Seiten abzugewinnen, so riskant ist es, wenn man die Tiefen und Untiefen des Sujets nicht genau kennt und daher gelegentlich ins Stolpern gerät, was hier der Fall zu sein scheint. Jakobs hat mit immensem Fleiß Daten und Fakten zusammengetragen (auch wenn er einige teils wortgetreu aus Wikipedia übernommen hat, ohne das nachzuweisen), scheitert hier und da aber an der Frage, wieviel Vertrauen bestimmten Quellen und Publikationen entgegenzubringen ist bzw. wie der aktuelle Stand der Bachforschung ist. Die Unzuverlässigkeit von Esther Meynells Die kleine Chronik der Anna Magdalena Bach (ein Roman ohne praktischen Quellenwert) beispielsweise war auch schon vor den jüngsten bahnbrechenden Untersuchungen von Eberhard Spree zur Verteilung des Nachlasses Bachs (die Jakobs zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Buches noch nicht kennen konnte) bekannt, nämlich spätestens seit Maria Hübners grundlegender Publikation zu Bachs zweiter Frau aus dem Jahr 2005, und in der Frage, ob Bach die Celler Hofkapelle wirklich in Celle gehört hat (und daher von Lüneburg aus dorthin gereist sein muß) oder aber bei einem Auftritt in der damaligen Zweitresidenz Lüneburg (wo die Kapelle gleichfalls ihre Pflichten zu erfüllen hatte, so dass Bach also nicht nach Celle gereist ist), schlägt sich Jakobs auf die erstere Seite, während die Bachforschung eher letzteres annimmt (konkrete Beweise gibt es bisher für keine der beiden Ansichten, aber die Indizien sprechen für letzteres, und selbst die im Buch als Quelle angegebene Homepage der Michaeliskirche Lüneburg erwähnt zum Rezensionszeitpunkt nur den „Abstecher“ nach Hamburg, aber keinen nach Celle). Dass der Autor den Komponisten, wenn er nicht den vollen, sondern nur den Vornamen nennen möchte, mit Johann Sebastian tituliert, spricht dafür, dass er nicht weiß, dass Sebastian der Rufname war. Auch andere Terminologie wackelt bisweilen: Bach trug beispielsweise zu Schemellis Gesangbuch keineswegs 69 „Kantaten“ bei, wie S. 109 behauptet. Im Extrakasten über Bach als Orgelprüfer erwähnt Jakobs, dass sich der Orgelbau zu Bachs Zeiten auf einem Höhepunkt befunden habe, und führt als Beispiel die Familie Silbermann an – ein unglückliches Beispiel, denn gerade mit Gottfried Silbermanns spezifischem Orgelklang konnte Bach wenig anfangen (wenngleich ihn das freilich trotzdem nicht hinderte, 1736 an der neuen Silbermann-Orgel der Dresdner Frauenkirche ein Konzert zu geben). Ähnlich unglücklich ist auch ein eigentlich reizvolles Zusatzfeature ausgestaltet worden: Extra-Kästen liefern an etlichen Stellen Hörtips (zu dreien gab es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sogar kostenlose Downloads), aber als Symbol, das diese Hörtips einleitet, wählte man eine Zeile aus einer der Arien der Kantate Alles nur nach Gottes Willen BWV 72 – und zwar nicht in Sebastians Handschrift, sondern in der seiner zweiten Frau ...
So beschleicht einen trotz allem Fleiß des Autors und trotz seiner Fähigkeit zum Formulieren eines gut lesbaren Textes ein ungutes Gefühl, in welchem Maße man sich auf das Geschriebene verlassen kann, auch wenn die Faktenlage über weite Strecken dann doch stimmt (was allerdings auch erwartbar war). Die Kapitel werden jeweils mit kurzen praktischen Teilen abgeschlossen, bestehend aus einer Kartenskizze und kurzen Texten, was man sich in der jeweils behandelten Stadt heute noch mit Bach-Bezug anschauen kann (das sind dann auch die „wikipedialastigsten“ Stellen des Buches), und dazu tritt neben einem Adreßanhang und einer Zeittafel noch eine relativ umfangreiche Bebilderung, wenngleich formatbedingt naturgemäß hier und da mit Grenzen in der erkennbaren Detailfülle. So macht das Werk nach außen hin einen professionellen Eindruck und wird für die Ansprüche so manches Bach-Neulings zum Einarbeiten ins Sujet erstmal genügen, womit sozusagen quasi der Autor eine Dekade vor dem Erscheinen des Buches selbst zur Zielgruppe gehört hätte. Aktuell ist der Reiseführer nur antiquarisch erhältlich; ob eine Neuauflage in Planung ist, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten.


Roland Ludwig



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