Händel, G. F. (Christie)
Hercules
GLÜCKLICHE FÜGUNG
G. F. Händels „Hercules“ ist ein seltsamer Zwitter. Die mythologische Handlung erscheint in einem musikalischen Format, das ansonsten für religiöse Erbauungsmusiken vorgesehen war: dem Oratorium. Es handelt sich um einen späten Versuch Händels, nach dem Scheitern der italienischen Oper eine englische Oper sozusagen konzertant durch die Hintertür einzuführen. Erfolg war diesem Unternehmen seinerzeit nicht beschieden. Heute dagegen bringt man das Werk gleich auf die Opernbühne. Dort bricht sich der dramaturgische Wille des Regisseurs allerdings nicht selten am langsamen Rhythmus der Arien, Chöre und Rezitative. So waren denn 2004 auch die Kritiken an Luc Bondys ungekürzter, szenisch behutsam modernisierender Einrichtung des Werks eher durchwachsen. Aber durch eine geschickte Kameraregie kann man offenbar so manchen Durchhänger der Live-Inszenierung auf der DVD vergessen machen. Und plötzlich fügt sich alles …
Händel hat mit diesem Werk eine seiner faszinierendsten Frauenporträts geschaffen: Dejanira, die Frau des Hercules, ist die heimliche Heldin. Ihre krankhafte Eifersucht, die in einer großen, musikalisch unerhörten Wahnsinnsszene gipfelt, ist der dramatische Motor des Werks. Die entfesselten Emotionen erlauben dem Komponisten, gleichsam frei zu auszukomponieren, was im Herzen der verwirrten Frau vorgeht und die Konventionen der Dacapo-Arie und des orchsterbegleiteten Rezitativs abzustreifen. Joyce Didonato singt Dejanira mit schier grenzenloser Virtuosität und einer darstellerischen Wucht, die am Ende bis an die Grenzen der Karikatur geht. Diese Dejanira wird vom Chaos ihrer Leidenschaften verschlungen, sie wahrt im Wahn keine noble Größe, wie sie z. B. Anne Sophie von Otter in ihre Darstellung hat einfließen lassen (Minkowski / DG Archiv). William Shimell gibt einen virilen, überpotenten Hercules. Stimmlich wirkt die Interpretation – wohl gewollt - etwas grobschlächtig. Bei der musikalisch ebenfalls spektakulären finalen Agonie des Hercules gelingt es Shimell trotzdem überzeugend, die barocken Ausdrucksmöglichkeiten jenseits aller Stilisierung „naturalistisch“ zu erweitern. Objekt der fatalen Begierde ist die schöne, vom Hercules mit Gewalt geraubte Prinzessin Iole. Inga Bohlin singt sie mit glockenhellem Timbre, mädchenhaft unschuldig und im Leid bewegend, aber auch kokett und verspielt. In der Vergleichsaufnahme unter Minkowski bot Lynne Dawson eine stimmlich weniger charmante, dafür insgesamt tiefgründigere Interpretation. Hercules’ Sohn Hylus, der mit seiner Liebe zu der jungen Frau zwischen die Fronten von Mutter und Vater und gerät, wird durch den jungenhaften Toby Spence sehr differenziert und glaubwürdig verkörpert. Dejaniras Vertrauter Lichas, bei Minkowski ein Altus (David Daniels), ist hier wie zu Händels Zeiten ein Mezzosopran. Malena Ernman hat zwar ein etwas gepresst klingendes Mittelregister, verleiht der „Stimme der Vernunft“ aber sehr viel mehr Facetten und wirkt insgesamt menschlicher, engagierter.
Am Pult William Christie, der Chor und Orchester von Les Arts Florissants zu einer großartigen Leistung inspiriert. Bietet Minkowski mit brüsken Tempowechseln und kräftigen Strichen die opernhaftere Version des Werkes, so überzeugt Christie durch eine klangsinnlich-dramatische, in den Details ungemein verfeinerte Interpretation. Es ist die pure Lust zuzuhören. Überragend der Chor, dessen Englisch sogar besser zu verstehen ist als das der Solisten. So virtuos, so unangestrengt, so sensibel und doch klangintensiv möchte man die oft so marmorkühl wirkenden Händelchöre immer hören.
Mag sein, dass die Opernbühne im Palais Garnier für das eigentlich intime psychologische Kammerspiel zu groß geraten ist. Die schlicht modernisierende Regie Bondys entfaltet ihre suggestive Spannung aber auf dem Bildschirm in jedem Augenblick. Insgesamt eine weitere Sternstunde der Händelinterpretation auf DVD.
Georg Henkel
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Besetzung |
William Shimell: Hercules Joyce Didonato: Dejanira Toby Spence: Hyllus Ingela Bohlin: Iole Malena Ernman: Lichas Simon Kirkbride: Priest of Jupiter
Orchester und Chor „Les Arts Florissants” Ltg. William Christie
Regie: Luc Bondy
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