Sieben Brücken zu 7600 Inseln: Acapellago als erste philippinische Formation beim A-Cappella-Festival Leipzig




Info
Künstler: Acapellago

Zeit: 10.05.2024

Ort: Leipzig, Haus Leipzig

Fotograf: Uwe Schürmann (Dreieck Marketing)

Internet:
http://www.a-cappella-festival.de
http://www.acapellago.net

Drei Tage zuvor hatte das Shemesh Quartet Mexiko als 44. Land, das jemals beim A-Cappella-Festival Leipzig vertreten war, auf die Bühne gehievt, und nun kommt schon Land Nr. 45: Acapellago ist ein Quintett von den Philippinen und verspricht im Programmtitel „Vocal Alchemy: The Magic of Harmony“. Gut, das kann noch alles oder nichts bedeuten, aber als Schmelztiegel der Kulturen im Indopazifik (in den letzten 150 Jahren waren die Spanier, die US-Amerikaner und die Japaner als Hegemonialmächte da, und zudem gibt es auf den 7600 Inseln des Archipels zahllose indigene Stämme) gibt die philippinische Herkunft der Formation erstmal Anlaß zu großen Erwartungen.

Das Quintett kommt komplett in Weiß auf die Bühne, und es dauert im Opener „Ain’t No Other Man“ von Christina Aguilera nicht lange, da ist auch das Publikum auf Betriebstemperatur, zumal erstens eine gewisse Landsmannschaft im Saal ist und zweitens die sexy Bewegungsmuster auf der Bühne auch in die kribbelige Richtung weisen. Vom Stil her ist das, was die vier Herren und die eine Dame fabrizieren, im klassischen A-Cappella-Pop anzusiedeln, bisweilen mit jazzangehauchten Ausflügen nicht nur in der Stückwahl („Misty“ und „Flying Home“ als Tribute an Ella Fitzgerald, gar noch „What A Wonderful World“), sondern auch in den Gestaltungsmitteln, wenn etwa die Sopranistin in „Move“ (aus dem Musical „Dream Girls“) sehr expressiv agiert oder der Beatboxer in „Misty“ exzellente Jazzbesen imitiert. Klar, man muß sich auf die Herangehensweise des Quintetts und seiner Arrangeure (die beiden Fitzgerald-Arrangements stammen beispielsweise vom Soundtechniker der Formation) einlassen können, um etwa die strukturell wie harmonisch ungewöhnliche Fassung von „What A Wonderful World“ oder die Version von Queens „Somebody To Love“ mit Leadvocals des Countertenors mögen zu können. Wenn man dazu in der Lage ist – und das trifft augenscheinlich wie ohrenhörlich auf das Gros der Anwesenden zu – und zudem ein wenig selektiv hören kann, weil es mitunter leichte Balanceprobleme bei den Mikrofonen gibt und daher in der ersten Sethälfte gerade der „Baßgitarrist“ und der Beatboxer nicht selten etwas arg dominant agieren,

während die drei höheren Stimmen weiter im Hintergrund stehen, auch wenn sie Leads singen, wird man an dem Abend sicher glücklich, zumal es einige gute Ideen zu bestaunen gibt, etwa den ansatzlosen Tempoausbruch in Taylor Swifts „Safe And Sound“, als der Tenor die Leads übernimmt, oder die originellen Zischgeräusche in dieser Nummer. Auch die Bewegungsmuster sitzen: Zu „Lady Marmalade“ gibt es Hüftschwünge auf der Bühne, die Teile des Publikums zum Kreischen bringen, als stünde Elvis dort, und zu „Shut Up And Dance“ spielt der Tenor Luftgitarre. Und wenn man mit dem jüngeren Disney-Filmschaffen vertraut ist, findet man vermutlich auch das „Disney-Medley“ gut, während der Rezensent, dessen Welt das nun gar nicht ist, Ermüdungserscheinungen zeigt.

Zum Glück ist danach Pause und somit Zeit für Regeneration – und die jetzt bunt gekleideten Sänger eröffnen den zweiten Set gleich mit einem Oberknaller: Bei „Phantom Of The Opera“ muß man sich im Ohr des Rezensenten schon was einfallen lassen, um neben der Nightwish-Umsetzung bestehen zu können, und das schaffen die fünf. Der Bassist spielt Luftbaß, die Sopranistin dialogisiert wechselnd mit dem Countertenor und dem Tenor, und wie sie dann in völlig schwerelos wirkenden Vokalisen entschwebt, das ist schon ganz große Kunst. Dass dieses extrem hohe Niveau in der Folge wieder gewisser „Normalität“ weicht, ist kein großes Problem, zumal sich durchaus noch ein paar Highlights finden, auch ein strukturelles, nämlich „Spain“ von Chick Corea, das an diesem Abend seine Livepremiere feiert. Mit „My Favourite Colour“ von Carly Rae Jepsen gibt es auch eine Ballade ohne Beatboxer, dafür mit extremen Echoeffekten, während der Beatboxer danach noch in einem Solo sein hohes Können zeigen kann. Das kinderliedartige „Coconut Nut“ sorgt nicht nur für karibisches Feeling im Saal, sondern hebt auch das Stimmungsbarometer nochmal um einige Grad, und danach werden Acapellago auch ihrer Rolle als Kulturbotschafter gerecht und bauen noch zwei Songs aus ihrer Heimat ein, zunächst das balladesk anhebende und erst langsam zügiger werdende „Sana’y Maghintay ang Walang Hanggan“ und dann das dynamische „Bazingga“, dessen Gesang bisweilen fast an Rap grenzt. Die den zweiten Set abschließende „Burlesque“ schließt sozusagen den Rahmen um den Hauptteil, denn auch sie stammt von Christina Aguilera und wird mit ausgedehnten Mitsingspielen aufgepeppt, zu denen einige Mitglieder auch durchs Publikum streifen, sobald sie die Treppe von der Bühnenebene nach unten gefunden haben (Spinal Taps „Hello Cleveland!“ läßt grüßen).
Die Stimmung im Saal ist prächtig, und so fällt es nicht weiter schwer, das Quintett zu Zugaben zu überreden. Im (lange vor dem Festival erstellten) Programmbuch ist ein „German Song“ verzeichnet – dahinter verbirgt sich „Über sieben Brücken mußt du gehn“ in einer harmonisch interessanten Fassung mit unter den drei hohen Stimmen aufgeteilten Leadvocals, bei der allerdings das Mitsingen schwierig wird, wie der Hintermann des Rezensenten lautstark beweist. Das finale „Everglow“ (Coldplay) gerät in den Rahmenteilen, wo die tiefen Stimmen mal Leads singen, zur stimmungsvollen Ballade, verliert allerdings durch den angestrengt wirkenden Beatboxing-Teil an Wirkung und gießt damit einen unnötigen Wermutstropfen in ein interessantes Konzert, auch wenn sich das Gros des Publikums an diesem Problem offenkundig nicht stört und auch das positive Gesamturteil eindeutig überwiegt.

Setlist:
Ain’t No Other Man
Move
Misty
Flying Home
What A Wonderful World
Safe And Sound
Lady Marmalade
Somebody To Love
Shut Up And Dance
Disney Medley
--
Phantom Of The Opera
Spain
Conga
From The Start
Pure Imagination
My Favourite Color
Creep
Coconut Nut
Sana’y Maghintay ang Walang Hanggan
Bazingga
Burlesque
--
Über sieben Brücken mußt du gehn
Everglow


Roland Ludwig



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