Deep Purple

Infinite (Gold Edition)


Info
Musikrichtung: Hard Rock

VÖ: 17.11.2017

(EarMusic / Edel)

Gesamtspielzeit: 126:20

Internet:

http://www.deep-purple.com


Mit dem 2013er Album Now What?! waren Deep Purple in einen überraschenden Jungbrunnen gefallen, was selbstredend Hoffnungen auf einen ähnlich starken Nachfolger aufkommen lassen hatte. Der erschien im Frühjahr 2017 dann in Gestalt von Infinite als einfache und als um eine DVD namens From Here To Infinite erweiterte Version, ein halbes Jahr später dann nochmal in einer um eine Live At Hellfest 2017 betitelte CD erweiterten, aber ohne die DVD auskommen müssenden Gold Edition, die freilich im Artwork keine Spur von Goldfarbe enthält (beim Vorgängerwerk gab es einige Zeit nach dem Normal-Release auch eine erweiterte Version dieses Namens, damals aber wirklich mit goldenen Farbtönen gestaltet), sondern zumindest im dem Rezensenten vorliegenden Exemplar eher pflaumenfarben daherkommt und mit der Variante, dass das Booklet mit der hinteren Umschlagseite in die hintere CD-Klappe gesteckt wurde, ein Kuriosum auffährt, das man im hiesigen früheren Sprachgebrauch als „russisch“ deklariert hätte. Die Normaledition hatte Kollege Stefan Graßl bei MAS bereits zeitnah nach der Veröffentlichung rezensiert (und mit 19 Punkten abgefeiert), und diese ist in den zehn regulären Songs mit der Gold Edition identisch.
Zunächst fällt ein äußeres Merkmal ins Auge bzw. Ohr: Now What?! hatte in der dem Rezensenten vorliegenden Pressung zwölf Nummern mit mehr als einer Stunde Gesamtspielzeit enthalten, mit Infinite hingegen kehren die Hardrock-Pioniere zu einem klassischen Format zurück – zehn Songs in einer Dreiviertelstunde. Das spricht auch für etwas kompakteres Musizieren und Arrangieren, aber dass die Formation ihre Spielfreude dann eher live auslebt, kennt man ja aus klassischen Blackmore-/Lord-Zeiten, wo viele Nummern in den Studiofassungen auch eher kompakt daherkamen und dann erst auf der Bühne zu zehnminütigen Epen wuchsen.
Also hinein ins Geschehen! „Time For Bedlam“ führt mit seinem spacigen Intro, das Ian Gillan im Stile eines Androiden oder Roboters sprechen läßt, stilistisch in die Irre – der Song bietet knackig-flotten Hardrock und liefert Steve Morse und Don Airey gleich die erste von diversen Möglichkeiten für ein virtuoses Duell von Gitarre und Keyboard. „Hip Boots“ ist rein stilistisch ganz und gar nicht hip ausgefallen, wenn man mal davon absieht, dass klassischer blueslastiger Hardrock feiner Qualität bei Gourmets quasi durchgängig in hohem Kurs stand und steht. „All I Got Is You“ läßt im Intro wiederum etwas anderes erwarten als den klassischen Melodic Rock, der sich dann entwickelt und am ehesten an die Achtziger-Alben der Band erinnert, was als Kompliment gemeint ist, zumal Morse und Airey auch hier wieder ihr außerordentliches Können im Erschaffen phantasievoller Leads unter Beweis stellen. In „One Night In Vegas“ wiederum wirft Airey außer der Hammond auch noch ein klassisches Piano an und prägt mit dessen Gehämmer den flockigen Boogie-Rock maßgeblich, wobei nicht mal Ian Paices hier an der Grenze zur Überambitioniertheit stehende Rhythmik als entscheidender Störfaktor zu wirken in der Lage ist. Anders verhält es sich in „Get Me Outta Here“, wo das Gepolter zwar dem psychedelischen Charakter der Nummer durchaus angemessen wirkt, aber der Song als Ganzes auch nach etlichen Durchläufen immer noch gewaltig an den Nerven des Hörers zerrt, zumal auch Gillan hier mal aus seiner altersgemäßen Komfortzone ausbricht und einen kurzen hohen Schrei einzubringen versucht, der aber leider eher dünn und bemüht klingt. Wer die ganz alten Deep Purple mit ihrem zumindest phasenweise noch stärker ausgeprägten Psychedelic-Touch schätzt, könnte ein halbes Jahrhundert später hier zwar ein Aha-Erlebnis verbuchen, aber zumindest den Rezensenten überzeugt die Nummer nicht. Dafür stellt „The Surprising“ für ihn wiederum eine positive Überraschung dar, wandelt sich dieser Song doch von fluffigem Westcoast-Sound, der auch schon viel Hörspaß macht, in ein interessantes vielschichtiges Epos, wo Aireys abermals psychedelische pfeifende Sounds perfekt eingepaßt sind, phasenweise fast progressive Anleihen um die Ecke gebogen kommen, Gillan am Ende des Mittelteils auch mal ganz von hinten singt und die Gesamtkomposition die Tugenden ähnlich gestrickter Epen von Now What?! in äußerst gekonnter Manier fortsetzt.
Leider war es das dann mit der Herrlichkeit – nach hinten heraus geht Infinite etwas die Puste aus. „Johnny’s Band“ wäre freilich bei 99% aller anderen Classic-Rock-Bands immer noch ein Highlight, schlägt aber bei Deep Purple auch bzw. besonders in der aktuellen Spätphase nur noch als guter Durchschnitt zu Buche, den man sich freilich immer noch sehr angenehm anhören kann und der auch einen der überraschend wenigen merkfähigen Refrains der Scheibe besitzt. Ähnliches gilt für „On Top Of The World“, das in schleppenderem Tempo daherkommt, bei 2:40 in einen gebetsartigen Part (mit freilich wenig gebetsartigem Text) verfällt, der irgendwie völlig überambitioniert wirkt, dann nochmal für ein paar Sekunden dem Hauptthema Platz macht, das dann allerdings schnöde ausgeblendet wird, ohne nochmal irgendeine Wirkung entfaltet zu haben – wieso Produzent Bob Ezrin das so durchgehen lassen hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. „Birds Of Prey“ läßt ein Spacerock-Epos erwarten, senkt das Tempo noch etwas weiter und versammelt zwar tatsächlich einige gute Ideen, aber auch einige weniger gute wie Paices abermals zu nervöses Drumming, wohingegen Spannung und Dramatik wenigstens phasenweise zu überzeugen wissen, zumal sich Morse und Airey mal wieder gekonnt durch den Quintenzirkel bewegen. Aber auch diese Nummer wird kurz vor Minute 6, als man den großen Instrumentalbombast gerade richtig lieben lernen will, eher unambitioniert ausgeblendet. Trotzdem hätte sie immer noch den besseren Albumabschluß geboten als der „Roadhouse Blues“, dem diese Funktion in der Realität zukommt. So gekonnt Airey pianohämmert, so kompetent Roger Glover klassische Bluesfolgen spielt, so geradlinig und doch wirkungsvoll Paice hier trommelt – das „gewisse Etwas“ fehlt hier völlig, und Gillan kann trotz Mundharmonika auch kaum Akzente setzen. Diese Doors-Coverversion ist kompetent eingespielt, keine Frage, aber irgendwie langweilt sie, und damit ist sie strenggenommen überflüssig, zumal auch hier wieder eine völlig seltsame Ausblendung am Ende steht, nachdem man wenigstens auf ein irgendwie spannendes Finale gehofft hatte. So kann das hohe Niveau der ersten Albumhälfte leider nicht bis ins Ziel gerettet werden, aber allein das Vorhandensein etlicher starker Nummern wie beschrieben läßt Infinite trotzdem relativ hoch punkten, wenngleich Kollege Graßl im Überschwang der Freude vielleicht doch ein wenig zu hoch gegriffen hat und das Album im Direktvergleich zumindest nach Einschätzung des hier tippenden Rezensenten nicht an Now What?! vorbeikommt.

Auch an der Livefront waren Deep Purple anno 2017 im Rahmen ihrer als Abschiedsreise deklarierten Long Goodbye Tour sehr aktiv, und im Juli 2017 spielten sie auf dem Hellfest in Frankreich. Dieser Gig wurde mitgeschnitten und findet sich in etwas gekürzter Fassung nun auf CD 2 – offenbar verfügte die Formation über 90 Minuten Spielzeit, was für eine Einzel-CD natürlich zu lang ist, und man verfolgte auch nicht die Strategie, die überzähligen Minuten noch auf CD 1 unterzubringen (Platz wäre noch locker vorhanden gewesen), sondern entschied sich dafür, mit „Hell To Pay“ einen der beiden Now What?!-Tracks sowie das Gros des daran anschließenden Keyboardsolos von Airey zu streichen, von dem nur noch ein kleiner Rest vor „Perfect Strangers“ erhalten geblieben ist. Infinite wiederum stellt drei Songs, von denen zwei kurioserweise die gleiche Track- bzw. Setlistennummer haben wie auf der Studio-CD und auch der dritte nur um eine Position abweicht. „Time For Bedlam“ macht als Opener auch im Konzert eine prächtige Figur, bevor Paice in „Fireball“ derart heftig in die Bassdrums tritt, als wolle er rechtfertigen, dass man hier auf einem Metalfestival dieses Namens auftritt. Das Publikum hört man außer in den Mitsingparts von „Smoke On The Water“ und „Black Night“ sowie der einen oder anderen (aber knapp gehaltenen) Songpause allerdings kaum mal und kann daher anhand der Tonkonserve nicht beurteilen, wie die Herren denn angekommen sind – Ansagen gibt es vor allem in der ersten Sethälfte kaum, Songzwischenräume wie erwähnt auch nicht: Offenbar ist im Sinne der Spielzeitmaximierung hier einiges rausgeschnitten worden, oder die Band hat tatsächlich fast am Stück gespielt, um der Spielzeitbegrenzung zu entsprechen. Spätestens „Bloodsucker“ macht dann allerdings das Problem deutlich, dass Gillan zwar seine Alterskomfortzone nach wie vor beherrscht, aber bei Versuchen, nach oben zu gleiten oder gar Schreie anzusetzen, regelmäßig an biologische Grenzen stößt, wofür auch im Anschluß „Strange Kind Of Woman“ Beispiele liefert, und damit ist nicht der Vokalisenpart gemeint, den der Sänger mit seiner jahrzehntelangen Routine und einer Art Flüstern noch halbwegs gekonnt meistern kann. Dafür erschließt sich zumindest in der reinen Audiokonserve der Sinn des mehrminütigen theatralischen Outros nicht, aber da scheint auf der Bühne trotzdem was Mitreißendes passiert zu sein, denn den folgenden Jubel hört man zur Abwechslung mal sehr deutlich. „Uncommon Man“ stellt den anderen Now What?!-Track der Setlist dar, und sowas wie das überwiegend eher verträumte zweiminütige Gitarre-Keyboard-Intro, das in seiner Machart entfernt an MSGs „Courvoisier Concerto“ erinnert, muß man sich auf einem großen Metalfestival auch erstmal zu bringen trauen. Die Dramatiksteigerung paßt aber ohne Wenn und Aber, Aireys Fanfarenthema verfehlt auch hier seine Wirkung nicht, und der Applaus am Ende ist mehr als verdient. Diesem schon etwas komplexer strukturierten und den meisten Anwesenden wohl unbekannten Song mit „The Surprising“ gleich noch einen gleichgearteten hinterherzuschicken darf sich auch nicht jede Band erlauben – Deep Purple tun’s und können die Tugenden der Studioversion problemlos auf die Bühne bringen, wobei erst im Direktvergleich auffällt, eine wie tragende Bedeutung auch hier eine Aireysche Keyboardfanfare besitzt. „Lazy“ leitet der Tastenzauberer dann gleich mit einem ausgedehnten Hammond-Intro ein, Gillan greift im zweiten Teil wie gewohnt zur Mundharmonika, aber im Direktvergleich mit etwa der klassischen Version von Made In Japan will der schnelle Teil hier nicht so richtig locker grooven, was freilich Morses furioses Final-Lead wenigstens ansatzweise wieder wettmacht. Gillans Versuche, in oberen Registern zu arbeiten, wirken aber auch hier äußerst angestrengt – gut, dass danach „Birds Of Prey“ folgt, in dem er in seiner Alterskomfortzome bleiben kann, und die Instrumentalisten bringen hier ein gekonntes Epos auf die Bühne, das der Studioversion allerdings im Bombastfaktor nicht das Wasser reichen kann. Dann folgt eine Ausblendung – klar, hier wäre „Hell To Pay“ gekommen, und wir hören erst wieder eine große Glocke und den vermutlichen Schluß von Aireys Keyboardsolo, bevor nach einer Minute das Intro von „Perfect Strangers“ erklingt, übrigens in einer anderen Tonart als der, in der der Hauptteil dann gespielt wird. Hier haben wir die einzige Achtziger-Nummer des Sets vor uns, und so richtig vom Hocker haut einen die Konserve trotz des schönen Echo-Effektes auf „sky“ nicht – gerade Gillan wirkt hier eher indisponiert und hilflos. Dass „Space Truckin’“ nur fünf Minuten dauert und damit die kürzeste Nummer der hinteren zwei Setdrittel darstellt, hätte man sich vor 40 Jahren auch nicht träumen lassen – die Kürze stellt hier aber durchaus nicht das Problem dar, sondern eher die wenig feurige Version mit einem wieder mal eher hilflos krächzenden Gillan. Da hat man schlicht und einfach in den letzten Jahrzehnten viel zu viele bessere Fassungen gehört, als dass man die hier noch unbedingt bräuchte. Theoretisch könnte man das auch von „Smoke On The Water“ behaupten, aber hier reißt der Mitsingpart die Kastanien wenigstens ansatzweise aus dem Feuer: Wenn da ein ganzes Festival mitsingt, dann hat das Charme, ohne Zweifel. „Hush“ als erste Zugabe wird durch Henry Mancinis Thema „Peter Gunn“ eingeleitet und bekommt damit eine Portion Pfiff, die man eben noch nicht tausendmal gehört hat, während „Black Night“ als Finale die Musiker noch einmal etwas in Freiräumen wildern läßt, wobei sie hier sogar mal die alten Kollegen Led Zeppelin zitieren und außerdem auch nochmal das Auditorium zu Wort kommen lassen. Aber generell muß man festhalten: Als Zugabe nimmt man diese Live-CD zwar gern mit und läßt sich ebenso gern von den Livequalitäten einiger jüngerer Songs überzeugen – ein Must-Have ist sie indes nicht, und wer schon die Erstauflage erworben hat, braucht sich nicht zu grämen, hier sonderlich viel verpaßt zu haben. Was einem dagegen entgeht, wenn man die DVD From Here To Infinite nicht besitzt, vermag der Rezensent nicht zu sagen und beschränkt sich daher auf die Feststellung, dass Jim Rakete und dem Büro Dirk Rudolph eine äußerst stimmige optische Gestaltung mit Polarforschungsmotivik gelungen ist, wenngleich diese scheinbar keinen tieferen Bezug zu den Lyrics besitzt, was das insgesamt leicht zwiespältige Gesicht dieses Releases perfekt illustriert. Dennoch freut man sich, dass die alten Herren es immer noch draufhaben, starke neue Songs zu schreiben, die auch einer Band, die ein halbes Jahrhundert jünger ist, gut zu Gesicht stünden, und allein schon aus diesem Grund ist Infinite für den Genrefreund definitiv einen Test wert, wenngleich der Rezensent wie bereits angemerkt nicht ganz so euphorisch gestimmt ist wie Kollege Stefan (der freilich auch um die Problemfälle der Livescheibe „herumgekommen“ ist) und daher auch seine Punktzahl geringer ausfällt.



Roland Ludwig



Trackliste
CD 1
1. Time For Bedlam (04:34)
2. Hip Boots (03:23)
3. All I Got Is You (04:42)
4. One Night In Vegas (03:23)
5. Get Me Outta Here (03:58)
6. The Surprising (05:57)
7. Johnny’s Band (03:51)
8. On Top Of The World (04:01)
9. Birds Of Prey (05:47)
10. Roadhouse Blues (06:00)


CD 2 - Live At Hellfest 2017
1. Time For Bedlam (04:59)
2. Fireball (03:26)
3. Bloodsucker (04:11)
4. Strange Kind Of Woman (07:41)
5. Uncommon Man (06:40)
6. The Surprising (06:01)
7. Lazy (07:47)
8. Birds Of Prey (05:46)
9. Perfect Strangers (07:10)
10. Space Truckin’ (05:02)
11. Smoke On The Water (06:40)
12. Peter Gunn / Hush (07:40)
13. Black Night (07:25)
Besetzung

Ian Gillan (Voc)
Steve Morse (Git)
Don Airey (Key)
Roger Glover (B)
Ian Paice (Dr)



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