Kein Mißvergnügen: Sarah Ferri mit ihrem neuen Album Displeasure in Leipzig zu Gast
Sarah Ferri trägt einen italienischen Nachnamen (wer sich in den Achtzigern für Fußball interessierte, wird sich an Riccardo Ferri erinnern, damals Verteidiger in der italienischen Nationalmannschaft), ist aber in Belgien ansässig (die gleiche Zielgruppe erinnert sich an Vincenzo Scifo, Sohn italienischer Einwanderer nach Belgien, der vor der 1984er Fußball-EM noch schnell in Belgien „nationalisiert“ wurde, um für die Roten Teufel auflaufen zu können, bevor der italienische Nationaltrainer Enzo Bearzot auf dieses Supertalent aufmerksam wurde), ist Tochter eines Italieners und einer Belgierin und liebt offenbar Veränderungen. Mit dem „Gypsy Retro Swing“ ihres Debütalbums Ferritales hat das Zweitwerk Displeasure jedenfalls kaum noch etwas zu tun (die Titelgebung mag daher einerseits augenzwinkernd gemeint, andererseits in dem Wissen geschehen sein, dass nicht jeder Anhänger des Debüts den Sound des Nachfolgers goutieren wird), und die ausgesprochen hübsche und relativ natürlich wirkende Frau, die da an diesem Abend auf der Bühne sitzt, hat kurioserweise wenig mit der geringfügig „überstylten“ Person gemein, die man z.B. in den Videoclips und auf den Promobildern der aktuellen Epoche sehen kann. Das Verb „sitzen“ gilt für einen guten Teil des knapp anderthalbstündigen Sets dieses Abends, denn das Instrument der Chefin ist das mit Tasten, und dieses verläßt sie nur selten und wenn, dann hauptsächlich in den Nummern vom Debütalbum (wenngleich auch da nicht in allen). Selbige Nummern sind blockweise in die Setlist eingestreut, und die Anhänger des genannten Stils müssen sich bis zu Song Nr. 8 gedulden, ehe sie mit „A Place On The Moon“ die erste alte Komposition vorgesetzt bekommen. Bis dahin haben sich Sarah und ihre drei Mitstreiter an Gitarre, E-Baß/Kontrabaß und Drums ausschließlich Displeasure -Songs gewidmet, und mit denen stellen sie den Hörer wie den Rezensenten vor akute Definitionsprobleme – die hier gewählte Kategorie „Dreampop“ ist genauso alles- und nichtssagend wie mancherlei Alternative, und die Stimme paßt sich der instrumentalen Vielseitigkeit gekonnt an: Wie Sarah schon in Song 2 „Your Gaze“ innerhalb von nur vier Tönen ihre Tessitur über etliche Oktaven von ganz oben nach ganz unten durchschreitet, das ist ganz große Kunst und doch so selbstverständlich in den Song eingewoben, dass man es keineswegs als pures „Showelement“ ansehen will. Dass die Chefin zudem einen Hang zu cineastischen Klangelementen besitzt, wird an vielen Stellen der neuen Kompositionen deutlich, etwa in der düsteren Klanglandschaft von „The Apocalypse“, in dessen Ansage sie sich folgerichtig als Anhängerin von Ennio Morricone outet, auch wenn gerade der nun in gerade dem Song eher wenig Spuren hinterlassen hat, oder auch in „The Moon“ an Setposition 3, das zugleich beweist, dass alle in den Katakomben der Moritzbastei Anwesenden ihren Spaß haben wollen: Die Sängerin beschreibt in der Ansage die nokturnale Stimmung des Songs, und prompt stimmen zwei Spaßvögel im Publikum Wolfsgeheul an, was die Sängerin erheitert kommentiert: „Exactly that way!“ So weit ihre Stimme aber im Zentrum der Songs angesiedelt ist, so weit nimmt sie ihr Keyboardspiel in songdienlicher Weise zurück, und wenn sie der Meinung ist, es sei Zeit für ausladendere Soli, dann überläßt sie die z.B. am Ende von „She’s On Fire“ ihrem Gitarristen. „The Bird With The Broken Wing“ beweist, dass sie auch das Balladenfach beherrscht, während nach dem ersten Block alter Songs zunächst das bereits erwähnte „The Apocalypse“ folgt und danach der Titeltrack des neuen Albums: Vor allem mit dem massiven Refrain kratzt „Displeasure“ definitiv an der Tür zum Rock (den Sarah Ferri ganz früher schon mal in einer Band namens Misses Bombie gespielt hat), und das folgende „When The Giants Play Poker“ gerät kaum weniger druckvoll. Das begeistert das auch schon bisher fleißig applaudierende Publikum, und ein wenig unglücklich sind vielleicht nur diejenigen, die zum Tanzbeinschwingen gekommen sind – dieser Aktivität kann man im wesentlichen nur sinnvoll in den eingestreuten alten Nummern frönen. Nachdem der reguläre Set durch die Folkballade „Where Home Was“ abgeschlossen worden ist, gibt es im Zugabenblock dann noch reichlich Gelegenheit, sich zu bewegen (die Veranstaltungstonne der Moritzbastei ist zwar gut ge-, aber nicht überfüllt, so dass man nicht Gefahr läuft, bei Tanzbewegungen permanent seinen Nachbarn umzusäbeln), und das umjubelte „On My Own“, mit Publikumsmitsingeinlagen aufgepeppt, schließt den Gig ab – theoretisch. Das Publikum aber gibt keine Ruhe, und so kommt das Quartett noch einmal auf die Bühne, Sarah bittet um Entschuldigung, dass man nicht mehr als die 17 gespielten Songs einstudiert habe – aber vielleicht seien die Besucher ja auch mit Wiederholungen zufrieden? Das wird selbstverständlich bejaht, und so gibt es zwei Songs nochmal, bevor nach dem Schlußakkord der Zweitaufführung von „Displeasure“ endgültig Schluß ist und die in einen geschmackvollen goldfarbenen Umhang (ja, der vom Promobild – und zur natürlicheren Optik dieses Abends paßt der auch richtig gut!) gehüllte Sängerin zum Merchandisingstand eilt, um die zahlreichen Wünsche nach Autogrammen und CDs zu erfüllen. Was auf den nächsten Alben zu hören sein wird, bleibt gespannt abzuwarten – wenn die Entwicklung so weitergeht, wird spätestens die überübernächste Scheibe eine Symphonic-Metal-Platte, und der Rezensent kann sich diese Stimme in einem solchen Kontext definitiv gut vorstellen. Der Gig an diesem Abend jedenfalls fällt trotz des Albumtitels keineswegs in die Kategorie „Mißvergnügen“, sondern unter „richtig gut“. Kuriosum am Rande: Als der Rezensent nach Hause fährt, hört er auf MDR Kultur ein Karl-May-Special zum 175. Geburtstag des Schriftstellers, und in selbiges sind auch Musikbeiträge eingestreut, u.a. „Walking Aimlessly“ von Anna Ternheim – und da lassen sich in der Stimmfärbung doch gewisse Parallelen zu Sarah Ferri ziehen ... Roland Ludwig |
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