Keine Panik: Udo Lindenberg rockt die Arena in Leipzig
Anfang Januar 1990 brach Udo Lindenberg zu seiner ersten DDR-Tour auf, nachdem sich solche Wünsche und Planungen zuvor immer wieder zerschlagen hatten – erst die politische Wende führte in diesem Fall zusammen, was zusammengehörte, nämlich den Panikrocker und seine zahlreichen Fans aus dem sterbenden Arbeiter-und-Bauern-Staat. Der Gig in Leipzig wurde mitgeschnitten und erschien wenige Monate später als schlicht Live in Leipzig betiteltes Konzertdokument, das kurze Zeit später zu einer der ersten selbst erworbenen LPs des heutigen Rezensenten wurde (gekauft in Hannover, zusammen mit dem Iron-Maiden-Debüt und der Picture Disc von Helloweens Keeper Of The Seven Keys Part II) und sich fortan in gewisser Regelmäßigkeit auf dem Plattenteller drehte, zudem auf Kassette überspielt wurde, um auch im Walkman und später im Autoradio Einsatz finden zu können (für die jüngeren Leser: Wir bewegen uns hier in Zeiten, als an Internet, iPhone und ähnliche Dinge noch nicht zu denken war). Andere Lindenberg-Aufnahmen traten hinzu, neben einigen Studiowerken auch die beiden frühen Livemonumente Livehaftig und Intensivstationen – aber den Panikrocker live zu erleben war dem sich entwickelnden Rezensenten nie vergönnt. Dieser Zustand ändert sich nun 2017: 27 Jahre nach dem genannten LP-Kauf steht der Rezensent in der ausverkauften Arena mit einer fünfstelligen Anzahl anderer erwartungsfroher Besucher, von denen sicherlich nicht wenige die Gigs in den Vorjahren im benachbarten ehemaligen Zentralstadion, der heutigen Red-Bull-Arena, miterlebt haben. Heute sei es ja etwas intimer, scherzt Udo in einer seiner Ansagen – aber die Show, das sei vorweggenommen, fällt natürlich trotzdem enorm groß aus. Die Bühnenrückwand dient als Projektionsfläche mit einem Gesamtscreen und drei einzeln bebilderten Ausschnitten, und dort kämpft sich während des Intros ein Schiff durch einen Sturm – eine Einleitung, die passenderweise in „Odyssee“ übergeht, den Titeltrack des 1983er Albums, der leider nur angespielt wird. Noch bevor er den ersten Ton singt, führt Udo den ersten von zahlreichen Mikrofonschleudertests durch – das Material hält, und auch die restlichen technischen Showelemente überzeugen. Aber all das wäre nichts wert ohne den musikalischen Faktor, und man stellt schon nach den ersten Nummern zufrieden fest, daß Udo stimmlich fit wie ein Turnschuh ist. Klar, er trifft nicht jeden Ton mittig, aber darauf kommt es bei ihm bekanntermaßen auch nur selten an, und dort, wo es darauf ankommt (also in diversen Satzgesängen), da gibt er sich keinerlei Blöße, und nur an einigen wenigen Stellen oktaviert er einige Passagen älterer Songs, die ihm mittlerweile zu hoch sind, herunter, ohne daß diese freilich an Effekt verlieren. Dazu springt der Mann quer über die Bühne, ist mal hier, mal dort zu finden, und transportiert eine Energie, die für einen knapp 71-Jährigen (er feiert seinen Geburtstag drei Tage später und bekommt, so sagen die Rezensenten, vom Münchener Publikum ein Ständchen gesungen) quasi unheimlich anmutet – als hätte ihm Gerhard Gösebrecht als Dank für seinen Dienst im kosmischen Musikministerium ein Jungbrunnengeheimnis verraten. Auf das in diesem Falle komplett abstrus-genial wirkende „Wenn ich 64 bin“ verzichtet er zwar, aber schon der richtige Opener „Einer muß den Job ja machen“ markiert Udos aktuelles Selbstverständnis wie kaum eine zweite Nummer, selbst wenn seine beiden jüngsten und enorm erfolgreichen Alben Stark wie zwei und Stärker als die Zeit eher Produzenten- als Kern-Udo-Alben sind. Dass diese beiden Werke einen guten Teil der Setlist einnehmen würden, war natürlich zu erwarten, aber das stellt in diesem Fall kein Problem dar, denn Nummern wie der erwähnte Opener, der Titeltrack von Stärker als die Zeit oder auch „Ich mach mein Ding“ gehören im Lindenbergschen Kontext durchaus nicht zu den Durchhängern. Einen solchen gibt es dafür gleich an dritter Stelle zu beklagen: „Cello“. An sich ein guter Song, in Leipzig 1990 zwar nicht komplett ausgespielt, aber dafür mit einem hochemotionalen Faktor veredelt – und leider später in einer völlig durchrauschenden Fassung nochmal neu eingespielt, die es auch in Leipzig 2017 zu hören gibt, mit Clueso als Gast, der zumindest an diesem Abend ungefähr so viel Rock’n’Roll-Feeling versprüht wie eine Betonmauer, vom Publikum aber trotzdem gefeiert wird wie der neue Messias. Wollen wir die Durchhänger gleich abhandeln, wären noch zwei zu nennen, und an beiden hat Ole Feddersen aus der Riege der Backingsänger eine Aktie: „Bunte Republik Deutschland“ funktioniert als Quasi-HipHop ebensowenig wie „Reeperbahn“ (trotz des witzigen Falco-Zitats in erstgenanntem), und seine Publikumsanimation weist ungefähr den gleichen Nervigkeitsfaktor auf wie der dreisprachige Animateur im Delphinarium von Batumi im September 2013. Solcherart Anbiederung hat Udo eigentlich nicht nötig, und er beweist das mit seiner souveränen Publikumskommunikation an diesem Abend ein weiteres Mal, vergißt nicht, in welcher Stadt (der „Heldenstadt“ nämlich) er ist, und gratuliert selbst RB Leipzig zur Champions-League-Qualifikation, ... ...was ihm eine dankbare Brücke für sein Champions-League-Panikorchester bietet, dessen Spielführer, nämlich Bassist Steffi Stephan, fünf Tage zuvor auch gerade ins Glied der Siebzigjährigen aufgerückt ist und dessen Gitarrist Jörg Sander als Jungspund und Bandküken vorgestellt wird, der „erst“ seit 20 Jahren dabei ist. Dass diese Truppe spielerisch hochgradig fit ist, bedarf keiner Erläuterung weiter, und vor allem die Gitarristen toben sich in dem ihnen zugestandenen Rahmen so richtig spielfreudig aus. Die musikalische Gästeliste fällt kürzer aus als sonst, aber das macht nichts, wenn schon die Kernmannschaft ein solch enorm hohes Niveau an den Tag legt, wie sie das an diesem Abend tut. Auf Clueso hätte der qualitätsbewußte Hörer zwar wie beschrieben auch gerne noch verzichtet, auf Josephin Busch (bekannt aus dem Lindenberg-Musical) aber definitiv nicht und auf den Kinderchor Kids On Stage auch nicht. Letzterer rockt sich gekonnt durch „Honky Tonky Show“ und hat bereits zuvor in „Wozu sind Kriege da?“ für ergreifende Momente gesorgt, als er sozusagen den musikalischen Staffelstab von Pascal Kravetz übernimmt, der auch da ist und die erste Strophe singt, bevor Emily bei der Zeile „Herr Präsident, ich bin jetzt zehn Jahre alt“ übernimmt und Jan die finalen Zeilen beisteuert. Lindenbergs antimilitaristisches Engagement findet somit seinen Widerhall, und daß der Hutträger auch nichts von der rechten Front hält, ist allgemein bekannt und wird natürlich auch an diesem Abend klar dargestellt: „Sie brauchen keinen Führer“ (eine Nummer aus den Mittachtzigern über die damaligen neonazistischen Umtriebe) ist ins Programm zurückgekehrt, wird auf die neurechten Bewegungen und diverse Demokratieaushöhler erweitert und dementsprechend mit Bildern von u.a. Donald Trump, Wladimir Putin, Marine LePen und, jawollja, Frauke Petry garniert, denen jeweils ein Karnevalshut aufgesetzt wurde. Eleganter kann man dieses Thema wohl kaum behandeln. Für den Rest des Gigs soll eine Aufzählung einiger markanter Songs genügen. „Rock’n’Roller“ hat erfreulicherweise ebenso den Weg in den Set gefunden wie „Gerhard Gösebrecht“, das nicht mal Clueso entscheidend nach unten ziehen kann und das den Anlaß für einen schönen Showeffekt bietet, indem ein UFO-Modell eingeschwebt kommt, dem die drei Tanzakrobatinnen des Abends entsteigen, die auch ansonsten reichlich im Einsatz sind und einiges zu bieten haben. „Sternenreise“ sorgt für emotionale Momente der Sonderklasse, „Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr“ und „Hinterm Horizont“ verkörpern die Hits der Achtziger, und der Altfan bekommt ein seliges Grinsen eingeimpft, als „Johnny Controlletti“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“ und „Candy Jane“ zu einem gigantischen Ganzen zusammengeschweißt werden. Klar, jedem dürfte irgendein Song gefehlt haben, aber Lindenbergs riesiger Backkatalog macht die Wahl für den Setlistenverantwortlichen sowieso zu einer äußerst schwierigen, und da ist eben in zweieinhalb Stunden nicht für alle Wünsche Platz (wenn der Rezensent fürs nächste Mal trotzdem einen äußern darf: „Gene Galaxo“). Nach der genannten Zeit ist jedenfalls Schluß: Udo besteigt zu den Klängen von „Woddy Woddy Wodka“ das UFO-Modell, dessen Start wird akustisch wie optisch beeindruckend simuliert, und kurze Zeit später explodiert das Gefährt, während auf dem Bildschirm das Tourmotto „Keine Panik“ eingeblendet wird – ein hübscher Querverweis hinüber zu Douglas Adams und ein hintergründiger Abschluß eines nach leichten Anlaufschwierigkeiten auch tontechnisch erstklassigen Abends, der die Hoffnung erzeugt, dieser Mann und sein Hut, den er aufhat, mögen uns noch möglichst lange erhalten bleiben, denn selten war er so wichtig wie heute. Roland Ludwig |
|
|
|