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"Ich freue mich auf meinen Tod" - Bachs geistliche Solo-Kantaten für Bass



Johann Sebastian Bachs geistliche Solo-Kantaten für Bass bzw. Bass-Bariton gehören trotz oder wegen ihres weltverneind-todessehnsüchtigen Charakters zu den populärsten seiner Kantaten. Dementsprechend umfangreich ist die Zahl der Einspielungen, bei denen zumeist die sog. Kreuzstabkantate (BWV 56) und die Kantate "Ich habe genug" (BWV 82) miteinander gekoppelt werden, teilweise ergänzt durch das Werk "Der Friede sei mit Dir" (BWV 158).

Was macht gerade diese Kantaten so reizvoll und sorgt dafür, dass sie auch aktuell "en vogue" sind? Zum einen bieten sie natürlich dem Vokalsolisten einen breiten, virtuosen Entfaltungsspielraum. Zum anderen aber hat Bach v.a. in den 1726 und 1727 entstandenen Kantaten BWV 56 und 82 eine äußerst bildhafte Tonsprache gewählt. "Ich habe genug" erinnert dabei stilistisch und in der Besetzung vielfach an die Matthäus-Passion. Ungewöhnlich ist, dass Bach in dieser Kantate die Instrumentalbesetzung nie variiert, sondern stets Oboe, Streicher und Continuo beibehält, was der musikalisch umgesetzten Geschichte des Simeon (Lukas 2, 26 ff.) eine Aura des unumstößlichen Glaubensfundaments verleiht. Simeon, der in dem Jesuskind seinen Heiland erkannt hat und nun nichts weiter erwartet, erscheint in zwei ruhigen Arien als Mann, der seinen Frieden gefunden hat. Da er hier nichts weiter erhofft, schließt die Kantate mit einer gedanklich auf das Jenseits gerichteten Arie. Sie mutet uns vielleicht provokant an: "Ich freue mich auf meinen Tod / Ach, hätt´ er sich schon eingefunden" Bach macht hieraus keine meditative Betrachtung, sondern gibt dem Stück einen tanzartigen Charakter mit ornamentalen Oboenläufen und einem Stimmverlauf, der mal an ein fröhliches Hüpfen, dann wieder an ein echtes Lachen erinnert.
Liegt vielleicht darin der Reiz des Werkes für unsere Zeit? In der Vorstellung eines ungefochtenen Glaubens, der die Bedeutung des Diesseitigen relativiert?

Nicht sehr viel anders liegt der Fall bei der Kreuzstab-Kantate, von der Albert Schweitzer einmal sagte, sie gehöre zum "Herrlichsten, was Bachs Vermächtnis an uns birgt". Textlich geht sie zurück auf die Geschichte von der Heilung des Gichtbrüchigen (Matth. 9, 1-8). Der Librettist Picander hat vor diesem Hintergrund aber eine allgemeine Betrachtung des menschlichen Leidens und seiner Überwindung entworfen. Dabei wird das Leid als stetes Element menschlichen Lebens aufgefasst, das nur in der Hoffnung ertragen werden kann, durch Tod und Auferstehung ein besseres, wahrhaft erlöstes Leben zu erlangen.

Die in diesen beiden Kantaten vorgestellten Figuren - Simeon als lebenssatter, in sich ruhender doch hoffnungsfroher Greis einerseits und der am Leid fast zerbrechende, um eine jenseitige Perspektive ringende Mensch andererseits - sind inhaltlich wie musikalisch ganz unterschiedliche Charaktere, wenngleich sie ihr fester Glaube an das bessere Leben nach dem Tode eint. Nicht alle Interpretationen mühen sich um diese Differenzierung.

In der Grundanlage mag man die Einspielungen in zwei Lager einteilen: Während sich die einen den Stücken romantisch und psychologisierend nähern, versuchen die anderen, ihnen durch das Herantasten an die barocke Rhetorik auf die Schliche zu kommen.

Bei letzteren hat 1971/1976 Nikolaus Harnoncourt vorgelegt. Er wählte Philippe Huttenlochner und Michael Schopper als Solisten aus. Ein reines Hörvergnügen sind diese Aufnahmen heute nicht mehr, allein schon, weil die überbetonte Phrasierung im Orchester und Huttenlochners druckvoller Bass die Schönheit der Werke (um der damals notwendigen muskalischen Revolution willen) kaum zum Leuchten bringen.
Dass in diesem Punkt nicht alle in den Jahren etwas dazu gelernt haben, belegt die Einspielung unter Peter Jan Leusink mit Bas Ramselaar (Brilliant, 1999): Instrumental wie vokal wird gegen den musikalischen Strich und den Textsinn artikuliert.
Wie man es besser macht, zeigt Philippe Herreweghe (Harmonia Mundi, 1991) mit seinem Solisten Peter Kooy. Hier lassen sich die unterschiedlichen Charaktere der Figuren ohne weiteres heraushören. Zugleich gelingen Herreweghe und Kooy die ruhigen Arien berückend schön. Ihr Bedeutungsgehalt wird sensibel nachempfunden und herausgearbeitet. In den kontrastierenden, bewegten Arien ("Ich freue mich..." und "Endlich, endlich wird mein Joch") bleibt man dann aber auf halber Strecke stehen. Der Freude über die Perspektive der Endlichkeit des irdischen Daseins scheint Herreweghe doch nicht ganz zu trauen. Ausgelassenheit wird hier nicht präsentiert, eher (nicht ganz treffend) eine vornehme, höfische Freude.

Auf der "romantischen" Seite der Interpretationen wäre zuerst jene mit Dietrich Fischer-Dieskau unter Rilling (Hänssler, 1983) zu nennen. Eine Aura des Wohlklangs umströmt den Hörer hier, auch ein großer, vom Liedgesang geprägter Tonfall mit ausschwingendem Gestus. Zu glatt jedoch kommt all dies daher, zudem mit schleppenden Tempi.
Geradezu opernhaft bietet Siegmund Nimsgern die Kantaten unter dem Dirigat Karl-Friedrich Beringers dar (Bayer Records, 1991). Dies jedoch nicht in Gestalt eines besonderen Interesses für die Dramatik, als vielmehr in der Form stimmlicher Kraftmeierei, die nun so gar nicht zu Text und Sinn der Werke passen will.

Auf der romantischen Linie liegen auch zwei jüngere Aufnahmen. So jene mit Matthias Goerne unter Roger Norrington (Decca, 466 570-2, AD: 1999). Die - tontechnisch leider völlig mißglückte - CD zeigt, dass Goerne vom Lied herkommt. Wenngleich ihm Fischer-Dieskaus Pathos abgeht, zeichnet er doch einen eher modernen, zerrissenen Menschen auf der Suche nach Gott. Indes ist Goernes Tongebung weder innerhalb der Kantaten, noch zwischen diesen deutlich differenziert, sodass die Darbietung den Hörer nicht wirklich zum Mitfühlen anregt. Auch das extreme Dauervibrato wirkt störend.
Thomas Quasthoff mit den Berliner Barock Solisten unter Leitung von Rainer Kussmaul (Deutsche Grammophon, 2004) wählt ebenfalls einen eher romantischen Zugang zu den Werken. Sein voluminöser Stimmansatz nimmt zunächst gefangen. Aber Quasthoff ergeht sich in diesem Klang, ohne zwischen den Kantaten im Stimmansatz und in der Gestaltung zu differenzieren. So ist seine CD mehr eine Quasthoff-, als eine Bach-Platte geworden.

Die jüngste Neueinspielung mit Hanno Müller-Brachmann unter Helmut Müller-Brühl (Naxos, 2005; Rezension in dieser Ausgabe) mag einen Wendepunkt insoweit markieren, als der Solist die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis mit den klanglichen Vorzügen des romantischen Ansatzes zu verbinden versteht. Und: Er betont weitere, wesentliche Elemente dieser Musik, die oft zu kurz kommen. Wie kein anderer versucht er, der Wortbedeutung in jeder Zeile nachzuspüren. So gibt er allen Arien, wie auch den Kantaten untereinander einen je eigenen Charakter. Zugleich bringt er seine Erfahrung im dramatischen Fach mit ein, so dass Wohlklang und Lebendigkeit nicht mehr als Widerspruch erscheinen.
Der ausgezeichnete Oboist Christian Hommel und das engagierte Spiel des Kölner Kammerorchesters tun ein übriges, um aus dieser Neuproduktion eine wichtige Katalogbereichung zu machen.

Die Suche nach der perfekten Interpretation geht ungeachtet dessen weiter. Wer hierauf nicht warten will, dem seien die Einspielungen mit Peter Kooy und mit Hanno Müller-Brachmann besonders nachdrücklich ans Herz gelegt.


Sven Kerkhoff



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