Beethoven, L. v. (Artemis)
Streichquartette Nr. 2, 9, 14 & 15 (Vol. 3) / 6 & 13 (Vol 4.)
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Info |
Musikrichtung:
Klassik Kammermusik
VÖ: 16.04.2010
Virgin / EMI 1 und 2 CD / DDD / 1998-2009 / Best. Nr. 60710208 (Vol. 3), 69458408 (Vol. 4)
Gesamtspielzeit: 212:40
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DER PHANTASTISCHE BEETHOVEN
Man kann viel über die musikalischen und auch seelischen Landschaften spekulieren, die in der Großen Fuge, op. 133, dem Finalsatz von Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 13, op. 130, vom Komponisten ausgebreitet werden.
Bei der Interpretation des Artemis Quartetts kam mir spontan Matthias Grünewalds „Versuchung des Heiligen Antonius“ in den Sinn, inhaltlich wie formal. Abgesehen von der Expressivität und Dramatik, der aggressiven Attacke und den scheinbar chaotischen Verstrickungen – welche Dämonen beschwören da Beethoven bzw. die Musiker bloß? - gibt es bei beiden Werken die gleiche Mischung aus kühler konstruktiver Konzeption und fantastisch freier Gestaltung. Der späte Beethoven mochte offenbar nur die Grenzen der eigenen schöpferischen Phantasie akzeptieren. Und es ist faszinierend, wie kompositorisches Kalkül, Ausdruckswille und überbordender Gestaltreichtum hier zu einem genremäßig schwer klassifizierbaren, aber formal trotzdem integren Kunstwerk geführt haben.
Gerade dieses Stück ist so extrem, dass es nicht nur bei seiner ersten Veröffentlichung jeden „vernünftigen“ Rahmen sprengte, sondern bis heute Interpreten und Zuhörer verstört. Selbst die Neue Musik wirkt da in ihren Mitteln oft monolithischer, begrenzter. Beethovens Verleger wurde nicht umsonst so nervös, dass er den Komponisten überredete, diesen Satz vom Quartett abzutrennen und durch ein einfacheres Stück zu ersetzen. Als Opus 133 verselbständigte sich die „Große Fuge“. Seitdem geistert er wie ein Riesenpolyp durch die Quartettliteratur: legendär, rätselhaft, ungeheuerlich und eher selten aufgeführt.
Das Artemis Quartett bezieht klare Stellung: Der Satz gehört zum Quartett dazu. Also wird er mit diesem zusammen gespielt. Wie zu erwarten realisieren Natalia Prischepenko, Gregor Sigl, Friedemann Weigle und Eckart Runge die komplexe Partitur mit einem Maximum an artikulatorischer, farblicher und dynamischer Differenzierung, so dass die wild galoppierenden und hochdissonanten Fugenabschnitte mit der gleichen Prägnanz und Klarheit formuliert sind wie die ruhigeren Zwischenstücke, die mit ihrer Mischung aus bizarrem Humor und himmlischer Gelöstheit freilich nicht weniger fordernd sind. In der klassischen Interpretation des berühmten Alban Berg Quartetts klingt dieser Satz wie ein einziger Parforceritt. Der Ton ist immer groß, intensiv, von fast schon schmerzhafter Präsenz, so dass der Eindruck manischer Erregtheit überwiegt.
Anders da Artemis Quartett: Es kostet zwar auch die Extreme aus – gleich bei den eröffnenden Akkorden scheint es den Streicherklang fast aus der Bahn zu werfen, die Identität des Tons grenzwertig. Aber diese Musiker gestalten im Ganzen sehr viel flexibler, lassen den Ton federn, riskieren einmal einen hohen Geräuschanteil, nehmen den Klang aber wenn nötig ein anderes Mal gleichsam bis auf Fadenstärke zurück, irrisiernd, fern, vibratolos oder auch fahl bis an die Grenze zum Verstummen.
Aus dieser Sprachmächtigkeit heraus lassen sie auch bei den übrigen Teilen des 13. Streichquartetts aus dem Notensatz suggestive musikalische Bilder erstehen: der epische Eröffnungssatz, das spukhafte Presto, die ambivalenten emotionalen Gespreitztheiten des poco scherzoso, schließlich die verklärte Tanzeinlage, der vor dem kontrapunktischen Gipfelsturm der Fuge noch ein instrumentaler Gesang von quasi sakraler Intensität folgt.
Dass eine fabelhafte Einspielung zu erwarten war, nicht nur von der Fuge, sondern vom ganzen Quartett, darauf durfte man angesichts der Vorgängerproduktionen hoffen. Bei Virgin sind nun auch die ersten beiden CDs mit Beethoven-Quartetten, die Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre noch bei Ars Musici erschienen waren, wiederveröffentlicht worden. Die Versionen der späten, vergleichbar querständigen Quartette Nr. 14 und 15 demonstrieren schon die eindrucksvolle Gestaltungskraft der damals noch jungen Formation, die den zwischenzeitlichen Wechsel an zwei Pulten ohne Qualitätseinbußen gemeistert hat. Der Ton der aktuellen Produktion ist vergleichsweise etwas fruchtiger, obertönig gesättigter.
Das verleiht dem 6. Quartett, der Nr. 6 aus op. 18, auf der aktuellen Einspielung eine geradezu orchestrale Intensität. Die physisch anspringende Kraft der Beethovenschen Themen – ich denke da besonders an den Eröffnungssatz oder das Scherzo - und ihre stringente, dabei immer wieder überraschende Verarbeitung kommt optimal zur Geltung, bezwingend klar formuliert und mit poetischer Kraft ausgespielt. Man ist als Hörer sofort drin, spürt die Energie mit dem ganzen Körper und ist zugleich geistig in höchstem Maße angeregt. Dem gegenüber steht die bohrende Intensität der schön ausgesungenen langsamen Sätze, vor allem des ungemein zart, mit bebendem Herzton gespielten „La Malionconia“. Was für ein Wechselbad! Wie im richtigen Leben. Besseres kann Quartettspiel bei diesem anspruchsvollen Meister nicht leisten.
Georg Henkel
Trackliste |
Wiederveröffentlichungen:
CD 1 75:36
01-04 Streichquartett Nr. 9 (op. 59, Nr. 3)
05-09 Streichquartett Nr. 15 (op. 132)
CD 2 62:39
01-04 Streichquartett Nr. 2 (op. 18, Nr. 2)
05-11 Streichquartett Nr. 14, op. 131
Neuveröffentlichung: 74:25
01-05 Streichquartett Nr. 6 (op. 18, Nr. 6)
06-11 Streichquartett Nr. 13 (op. 130, m. Großer Fuge op. 133) |
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Besetzung |
Natalia Prischepenko / Gregor Sigl bzw. Heime Müller: Violine
Friedemann Weigle bzw. Volker Jacobsen: Viola
Eckart Runge: Cello
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