Wieder einmal bewahrheitet sich: Totgesagte leben länger. Denn die Klassik boomt! Auch wenn sie nur ein schmales Segment eines nach wie vor popdominierten Marktes darstellt, zeigt sie als Wachstumsbranche, dass die Krise der Musikindustrie eben relativ ist.
2009 war ein sehr gutes Jahr: „Wie der Bundesverband Musikindustrie e.V. (BVMI) aktuell in Berlin bekannt gab, stiegen die Umsätze im vergangenen Jahr von 108 auf 119 Millionen Euro, das entspricht einer Steigerung von 10 Prozent. Insgesamt gingen 14,7 Millionen Klassik-CDs über die Ladentische, eine Sparte, die die höchsten Steigerungen verzeichnet." (klassik.de) Und dies nicht nur für die oft mit warnendem Tremolo beschworene Hörergruppe ab 50 Jahre aufwärts. (Wieso ist das eigentlich so ein Problem, wenn bestimmte Musik erst von älteren Hörern geschätzt wird?)
Wie auch immer: Jüngere Hörer entdecken die Klassik offenbar ebenfalls wieder mehr für sich: Die Altersgruppe der 20-29-Jährigen wuchs von 2,7 auf 4,7%. Und trotz steigender Klassik-Downloads bleibt der physikalische Träger das Medium der Wahl, gerne auch in innovativem Design und mit Buch & Bonus-DVD. Bei den guten Verkaufszahlen machen sich nicht nur die vielen Komponisten-Jubiläen des vergangenen Jahres bemerkbar (u. a. Mendelssohn, Haydn, Händel), sondern auch die vermehrten auf ein jüngeres Publikum zugeschnittenen Programme der Konzert- und Opernhäuser. Und wenn ein Künstler wie Sting Lautenlieder anstimmt, sorgt das für eine weitere Aufweichung der gar nicht so verfestigten Hörerfronten.
Wer jetzt denkt, dass 2009 nur die üblichen Branchenriesen ihren Schnitt gemacht haben, liegt nicht ganz richtig. Zwar vereinen Universal, Sony-BMG, EMI und Warner nach wie vor die größten Marktanteile auf sich. Wenn aber z. B. die eigentlich ganz gut aufgestellte EMI die Schulden ihrer viel zu teuren Übernahme durch blinde Investoren gleich selbst aufgebürdet bekommt, dann ist die Insolvenz nur noch eine Frage der Zeit.
Zum Glück sind in erster Linie musikorientierte Independent-Label wie z. B. Harmonia Mundi France angetreten, das von den Großen aufgegebene Terrain nach und nach durch eigene hochkarätige Künstler zu erschließen. Musikalisch und künstlerisch gab es wahrscheinlich zu keiner Zeit in der Geschichte der Tonaufzeichnung einen solchen Reichtum an Klängen, Stilen, Epochen und Interpretationen zu entdecken. Auch die Archive der Rundfunkanstalten oder Opernhäuser geben immer wieder ihre Schätze preis.
Wenn man die äußersten Ränder mitberücksichtigt, kann man etwa "klassische" abendländische Musik aus einem Zeitraum von 1400 Jahren hören! Etwas davon stellen wir auch in dieser Ausgabe von MAS wieder vor. Und die Klassiker und Newcomer der anderen Genres kommen natürlich auch nicht zu kurz.
Viel Vergnügen beim Lesen wünscht,
Georg Henkel
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