Aus Böhmen kommt die Musik II: Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera spielt Smetanas Má vlast




Info
Künstler: Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera

Zeit: 20.02.2025

Ort: Gera, Theater

Fotograf: Jesper Lindgren / Marco Borggreve

Internet:
http://www.tpthueringen.de

Als Programmplaner der regulären Konzertreihe eines Sinfonieorchesters mit einer einstelligen Konzertanzahl pro Saison hat man’s nicht leicht. Sachen, die man wegen Jubiläen, Kooperationen oder der regionalen Anbindung „machen muß“, blockieren schon mal einen Teil des Freiraumes, und den restlichen mit einem Mix aus „Hits“, Standardprogramm und Entdeckungen zu füllen, ohne dabei nach dem Geschmack der einen zuviel von dem und nach dem Geschmack der anderen zuviel von etwas anderem aufzutischen, ist eine praktisch enorm schwer lösbare Aufgabe. So wird sich immer jemand finden, der meint, einen bestimmten „Hit“ habe man jetzt schon ewig nicht mehr gehört, und es würde mal wieder Zeit. Gut, in Zeiten großer Mobilität kann man ja anderweitig schauen, wer den Hit gerade mal spielt, und sich gegebenenfalls dorthin begeben. Zu Hause muß man dann ggf. etwas länger warten, aber die Wiederhörensfreude kann dann auch entsprechend groß sein, egal wie groß die zeitliche Distanz zur vorherigen Aufführung nun real ist.

Zu den „Hits“, die man immer wieder gern hört, zählt der Zyklus „Má vlast“ von Bedřich Smetana, und so ist der Konzertsaal des Geraer Theaters zumindest an dem Abend, den der Rezensent miterlebt, deutlich voller als im Durchschnitt sonst. Am Pult steht mit Wassily Sinaisky (Foto) ein Mann aus der alten russischen Schule, der sein Handwerk u.a. als Assistent von Kirill Kondraschin gelernt hat. Das den ersten Satz „Vyšehrad“ einleitende Harfensolo dirigiert er zwar nicht, sondern läßt es laufen – die metallische Schärfe übernimmt er als Gestaltungsmittel aber nicht, wenngleich es an zwar bedächtiger, aber zielstrebiger Entwicklung natürlich nicht mangelt. Das Hauptthema geht majestätisch in die Breite, die folgende dynamische Entwicklung liegt teils schon recht weit außen, also mit viel Energie im Getümmel, aber einiges an Spannung in den düsteren Passagen. Gegen Ende hin trocknet der spannende Fluß allerdings etwas zu sehr aus.
Das ändert sich im fast attacca anhängenden zweiten Satz, der berühmten „Vltava“ (kurioserweise dem ganzen Konzertprogramm den Titel „Die Moldau“ gebend – offenbar wurde der Zyklustitel für nicht zugkräftig genug oder in der gängigen Übertragung „Mein Vaterland“ gar für in heutigen politisch-sprachlich seltsamen Zeiten anrüchig gehalten), naturgemäß, denn da murmelt das Holz gekonnt die Quellwässer herbei, und das Hauptthema ist eigentlich fast immer für eine gepflegte Gänsehaut gut, sogar in der Interpretation Sinaiskys, der die rhythmische Akzentuierung sehr betont ausspielen läßt. Auch sonst setzt er wieder auf so manches Extrem, etwa eine sehr bombastische Waldjagd, eine zu unauffällige Dorfhochzeit, wo er vergeblich mehr aus den Tiefstreichern hervorzukitzeln versucht, oder stimmungsvolle Nixen, auch wenn die etwas zu unkoordiniert agieren. Dafür entschädigt der Bombastausbruch der Stromschnellen – der Rezensent sitzt rechts außen fast unter der Empore, aber auch dort kommt noch genug vom gekonnten Wüten der Großen Trommel an. Die finale Breite bleibt allerdings mäßig, phasenweise auch etwas „klangverschmutzt“, aber immerhin mit knackigem Schluß.
„Šárka“ zeichnet programmgemäß eine recht fiese Titelfigur, die ihren mitleidigen, akustisch recht gemütlichen Gegner Ctirad in eine Falle lockt und niedermetzeln läßt. Es geht hin und her, die Violinen „krallen“ sich immer wieder die Tiefstreicher, und wenn das Fagott schnarchende Töne erzeugt, kapiert auch der letzte Zuhörer, dass ein Protagonist, in diesem Fall der mitleidige Ctirad, eingeschlafen sein muß, der dann das akustisch angemessen brutale Gemetzel nicht überlebt.

Mancher Dirigent spielt aus Gründen der inneren Werkdramaturgie alle sechs Zyklusbestandteile am Stück, so beispielsweise Alan Gilbert mit dem Gewandhausorchester anno 2018, oftmals aber wird zur Halbzeit eine Pause eingelegt, so auch hier. Mit „Z českých luhů a hájů“ geht es hernach weiter, aber in Sinaiskys Interpretation fehlen die Wiesen akustisch nahezu komplett, und der dunkle Wald dominiert klar, schon in der einleitenden düsteren Breite, aber auch im Fortgang der Naturschilderung. Das Waldscherzo klingt daher auch eher spukhaft, und wenn sich in der Folge doch mal ein etwas vertraulicherer Ton einschleicht, so verschwindet er schnell wieder. Selbst auf dem Volksfest scheint eher eine Rauferei zu herrschen, und der Satz geht immer schroffer werdend zu Ende.
Sollte das schon ein Menetekel für die Gestaltung der letzten Sätze sein? „Tábor“ spricht dafür: Sinaisky nimmt den Satz extrem düster, wenn auch nicht wirklich langsam. Das Themenmaterial klingt auch unter der Empore noch recht scharf, von Choralartigkeit fehlt hier außer in wenigen Episoden jede Spur. Dafür gibt es viel Dramatik, einiges an Kampfgetümmel und wieder so einen ultrafinsteren Schluß, in dem die Kontrabässe alles kurz und klein sägen.
In „Blaník“ bleibt die Finsternis noch erhalten, wird aber bald mit einer friedlich-schläfrigen Stimmung durchsetzt, und es entwickelt sich eine pastorale Welt. Das bleibt freilich nicht so, wie die sehr tempolastige Re-Dramatisierung zeigt, zumal das liebliche Volkslied abermals schnell verschwindet. Stattdessen gibt es wieder reichlich Kampf, wobei auffällt, wie durchdringend die Piccoloflöte in so einer klanglichen Umgebung doch sein kann. Nach dem Schlußlärm bricht der verdiente Jubel für die gelungene Aufführung durch das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera gleich los, wenngleich man sich an so manche Akzentsetzung hier durchaus erst gewöhnen musste.


Roland Ludwig



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>