Rameau, J.-Ph. (Haïm, E.)
Les Boreades
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Info |
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 26.03.2021
(Erato / Warner Classics / DVD / 2019 / Best. Nr. 0190295050399)
Gesamtspielzeit: 155:00
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MEHR LICHT!
Eigentlich wäre diese Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus letzer Oper „Les Boreades“ am 27. März 2021 über die Bühnenbretter der Komischen Oper in Berlin gegangen, wenn Corona nicht wieder einen Lockdown verordnet hätte. Das Regiekonzept von Barrie Kosky und die Choreographie von Otto Pilcher hätte man sich dann einmal live ansehen können. So muss dieser Live-Mitschnitt aus der Oper von Dijon genügen, wo die Produktion 2019 bereits gezeigt wurde.
Viel zu sehen gibt es freilich nicht: Zwar wird in Rameaus Oper ständig vom Licht gesungen, Kosky und sein Team bevorzugen allerdings eine weitgehend verschattete Bühne und sparsamen Lichtseinsatz. Dazu kommt eine eher körnige Bildqualität. Ein riesengroßer weißer Kasten öffnet sich hin und wieder und entlässt dann einzelne SängerInnen oder füllt sich, soweit man es in der Dunkelheit erkennen kann, mit Blumenbouquets oder qualmenden Schutthaufen.
Darüber hinaus fungiert der Sockel als zentrales Podest, wo die rokokoverwirrte Liebesgeschichte zwischen Abaris, einem Jüngling unbekannter Herkunft, und seiner Alphise, der Königin von Baktrien, abgehandelt wird. Drumherum und später auch mitten drauf wird gesungen und getanzt, ohne dass das meist mehr als dekorative Bewegungsspiele ergibt. Man versteht so ungefähr: Das hat was mit Gefühlen, Erotik, Eifersucht, Standesunterschieden zu tun, die mit Eros Pfeilen und viel Pusten angeheizt werden. Liebe als Elementargewalt, als Sturm der Leidenschaften. „ER“ muss erst erwachsen werden und mutig, um „SIE“ zu gewinnen bzw. zu retten. Mehr hat die Regie aber offenbar nicht dazu zu sagen. Vor allem das Düstere und Aufgeregte - immerhin handelt es sich doch um eine Musik-Tragödie (mit obligatorischem Happy End) - wird noch am Überzeugendsten in Szene gesetzt (dem glücklichen Ausgang traut die Regie nicht).
Umgekehrt gibt es viel zu hören und vor allem viel Gutes: Zunächst einmal die herrliche Musik Rameaus, die den zur Entstehungszeit fast Achtzigjährigen immer noch sehr frisch und innovativ zeigt. Seine Boreaden eröffnen ein neues Kapitel in der Geschichte der französischen Musiktragödie, das dann nicht weiter geschrieben und für über hundert Jahre vergessen wurde.
Weiter erfreut man sich an den guten bis sehr guten Leistungen der SolistInnen, allen voran Mathias Vidal als leidenschaftlicher Abaris – auf dem Niveau seiner letztjährigen Versailler Einspielung unter Vaclav Luks – und Héléne Guilmette als Alphise, ebenfalls mit dramatisch erfüllter Deklamation und viel Stimmpersönlichkeit. Aber auch die Nebenrollen zeichnen sich sämtlich durch kraftvoll-differenzierte Darbietungen aus: der imposant-samtige Adamas von Edwin Crossley-Mercer beispielsweise, oder Emmanuelle de Negri, die gleich in vier weiblichen Nebenrollen glänzt. Das düstere Boreaden-Trio ist mit Christopher Purves, Sébastien Droy und Yoann Dubruque ebenfalls volltönend und attraktiv besetzt.
Im Orchestergraben spielt dazu das großbesetzte „Concert d’Astrée“ unter der Leitung von Emmanuelle Haïm, auf der Bühne singt und agiert der Chor des Ensembles. Gemeinsam bringen sie Rameaus visionäre Orchestertexturen, Harmonien und Kontrapunkte zum Tanzen und Stürmen.
Alle treten sie den Beweis dafür an, dass „Les Boreades“ eine „große Opern“ ist: Es klingt kernig und energetisch, auch etwas rau und weniger elegant und feingeschliffen als bei Luks oder William Christie – also mehr „tragédie“ als „lyrique“. Haïm entdeckt dafür wieder neue Details, instrumentale Farben (eine zusätzliche Kontrabassstimme, die vielfach zum Einsatz kommenden Klarinetten), rhetorische Momente und Verzierungen, die man in den übrigen Aufnahmen so noch nicht vernommen hat. Rameaus musikdramatischer Instinkt kommt bestens zur Geltung, er sprengt die höfischen Konventionen, indem er sie auf originelle Weise erfüllt. Zumindest die Musik lässt einen somit spüren, dass es um etwas geht – anders als die arg heruntergedimmte Inszenierung.
Also: Bild aus, Ton an!
Georg Henkel
Besetzung |
Héléne Guilmette, Emmanuelle de Negri, Mathias Vidal, Sébastien Droy, Yoann Dubruque, Edwin Crossley-Mercer, Christopher Purves
Chor und Orchester "Le Concert d'Astree"
Emmanuelle Haïm, Leitung
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