Pergolesi, G.B. / Vivaldi, A. (Mariño)
Stabat Mater
ZU FRÜH
Es war schon immer eine Versuchung für aufstrebende neue Stimmen, sich vorschnell an den großen Brocken des Repertoires zu verheben. Ihr erliegt nun leider auch der venezolanische Sopranist Samuel Mariño, der besser noch zugewartet hätte, bis seine Ausnahmestimme (vgl. MAS-Review) nicht nur technisch, sondern auch im Ausdruck hinreichend gereift sein wird. Stattdessen wurde – mit hörbar großer Eile – im Sommer 2020 diese zudem mit viel Hall versehene Aufnahme produziert, auf der er gemeinsam mit dem Countertenor Filippo Mineccia Pergolesis „Stabat Mater“ präsentiert, gewissermaßen der französischen Aufführungstradition mit zwei Kastraten nacheifernd. Einer solchen Besetzung ließe sich durchaus einiges abgewinnen, wenn man es denn so differenziert macht, wie vormals etwa Sabadus, Wey und Hofstetter – Oehms 2012 (vgl. MAS-Review).
Doch so geschieht es hier gerade nicht. Schon das Zusammenspiel von Orchester (als neues Projektensemble in Versailles das Orchestre de l´Opéra Royal) und Sängern wirkt nicht eben organisch, sondern bei Wahl rascher Tempi eher wie ein routiniertes Nebeneinander.
Mariño und Mineccia wie auch die Ensembleleiterin Marie Van Rhijn zielen insgesamt auf eine theatralisch-dramatische Ausdeutung des Stücks. Das ist legitim, solange die schmerzliche Süße, mit der Pergolesi den mystisch-schwärmerischen, teils bis zur Sakralerotik aufgeladenen Text vertont, nicht zur kurz kommt. Von ihr aber ist hier wenig zu hören. Beide Sänger tendieren eher dazu, einzelne Töne druckvoll hervorzuheben, teils trompetenhaft hervorzustoßen, was aber nicht immer am Textgehalt orientiert ist und daher schnell ausgestellt wirkt. Bei Mariño kommen an einigen Stellen Unsauberkeiten in der Tongebung, sowie eine unausgewogene Dynamik hinzu, bei Mineccia ein Hang zu Portamenti.
Über all das ließe sich hinwegsehen, wenn der Vortrag affekt- und ausdrucksstark wäre. Das schmerzensreiche Mit-Leiden nimmt man den beiden, die sich vorrangig an der virtuosen Oberfläche abarbeiten, indes nicht einen Moment ab. Wenn schon statt Innigkeit (beispielhaft Lezhneva/Jaroussky, Erato 2013) auf Dramatik gesetzt werden soll, dann muss es eben auch sitzen und wirklich zum großen Theater werden; dass das möglich ist, haben andere schon vorgemacht (neben Sabadus/Hofstetter etwa Prohaska/Fink, hm 2010). Sich innerhalb dieser starken Konkurrenz nur auf den Exotenstatus der männlichen Sopranstimme zu verlassen und einige durchaus schöne Momente zu kreieren, ist hingegen zu wenig.
Bei den solistisch besetzten Vivaldi-Werken auf der CD zeigt sich ein ähnliches Bild: Beim hochvirtuosen „In furore“ vermag Mariño immer dann zu überzeugen, wenn es um flotte Läufe und nachdrückliches Forte geht, wohingegen seine mit viel Metall durchsetzte Stimme in den Pianissimo-Passagen schnell instabil, teils unhörbar wird. In den Spitzentönen zeigt sie zudem ein irrisierendes Flackern. Überzeugender und wärmer der Vortrag von Mineccia in Vivaldis Version des „Stabat Mater“, wenngleich dieser das abschließende „Amen“ völlig ohne jede sinnvolle Gestaltung lässt und das Orchester auch hier wenig atmend, sondern vorwiegend mechanisch agiert.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1-12 Pergolesi: Stabat Mater 34:33
13-16 Vivaldi: In furore iustissimae irae 13:27
17-19 Vivaldi: Concerto C-Dur RV 554a 11:11
20-28 Vivaldi: Stabat Mater |
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Besetzung |
Samuel Mariño: Sopran
Filippo Mineccia: Countertenor
Orchestre de l´Opéra Royal
Marie Van Rhijn: Ltg.
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