Antioch

Spontaneous Combustion


Info
Musikrichtung: Melodic Metal

VÖ: 15.07.2022 (07/1987)

(Roxx)

Gesamtspielzeit: 61:04

Internet:

http://www.roxxproductions.com


In den Mittachtzigern gab es an der US-Westküste kurioserweise nicht nur eine, sondern zwei Metalbands des christlichen Spektrums, die sich nach der gleichen alten, heute zur Türkei gehörenden und Antakya geheißenen Stadt an der Nordostecke des Mittelmeers benannten. Die Kalifornier Antioch brachten 1986 ein Vier-Track-Demo namens Give Him The Glory heraus, aber das sollte auch ihr einziges Tonzeugnis bleiben. Die etwas weiter nördlich, im Staat Washington, siedelnden und seit 1984 aktiven Namensvettern hatten 1986 ebenfalls ein Vier-Track-Demo aufgenommen und zudem einen markanten Besetzungswechsel vorgenommen – nach dem Ausstieg ihres Keyboarders verzichteten sie auf eine Neubesetzung seiner Planstelle. Als Quartett mit zwei Gitarristen wurden sie Anfang 1987 in eine Radioshow namens Northwest Saturday Night beim Sender KCMS eingeladen, wo sie ihr Demomaterial vorstellen konnten. Moderatorin Lynette Morgan war offenbar zufrieden, und so erhielten Antioch für den 27.6.1987 gleich noch eine Einladung. Um dann aber mit etwas Neuem aufwarten zu können, beschloß das Quartett, ins Studio zu gehen und ein Album aufzunehmen – Haken an der Sache war, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten und außerdem die Band ja nur ein Hobby war, was die Kapazitäten abermals verringerte. Aber sie schafften es, Spontaneous Combustion aufzunehmen und zu mixen, so dass in der Sendung am 27.6. Material daraus gespielt werden konnte, auch wenn das Album noch nicht erschienen und erst im Folgemonat erhältlich war. Letztlich wurde es nur in Kassettenform veröffentlicht, und auch die Tatsache, dass Antioch zum Opener „Didn’t Anybody Say...?“ ein Video aufnahmen (für eine kleine christliche Underground-Metalband in den Mittachtzigern höchst ungewöhnlich), half letztlich nicht weiter: Kein Label biß an, auch keine weiteren Eigenproduktionen entstanden, der Bassist stieg aus, für den nur ab und zu eine temporäre Aushilfe, aber kein permanenter Ersatz gefunden werden konnte, und so segnete die Band 1989, als auch der Leadgitarrist eigene Wege gehen wollte, das Zeitliche. Im Gegensatz zu vielen anderen Uraltcombos ist mit Ausnahme weniger Einzelgigs in den Neunzigern, für die eine der alten Besetzungen noch einmal zusammenfand, auch noch keine Reunion geschehen – bei der heute unter diesem Namen aktiven Formation handelt es sich um eine Truppe aus Kanada, die von der früheren Existenz beider US-Westküsten-Combos sicherlich keine Ahnung hatte, waren die zu Zeiten ihrer Gründung 2013 doch gaaanz tief im Underground verschüttet.
Immerhin haben aber Roxx Records nun eine 300er CD-Auflage von Spontaneous Combustion aufgelegt, so dass auch jüngere Menschen auf der Suche nach den Ursprüngen des christlichen Metals die Chance haben, das Material ihrer Tonträgersammlung hinzuzugesellen, wobei den acht originalen Songs noch vier Bonustracks hinzugefügt wurden. Wer angesichts des einleitenden Textes jetzt zu ahnen glaubt, um welche es sich handelt, der irrt – aber dazu gleich mehr.
Das Material ist jedenfalls nicht chronologisch sortiert, sondern die acht Tracks des originalen Releases stehen vorn, und ganz vorn befindet sich damit das bereits erwähnte „Didn’t Anybody Say...?“, knackigen Melodic Metal mit ganz leicht kauzigem Touch bietend und zu großen Teilen überzeugend – nur im Hauptsolo hört man, dass die Aufnahme schnell fertig werden mußte: Was Leadgitarrist Paul Racey hier spielt, wirkt erstens völlig überhastet, zweitens ungewollt schräg und drittens überhaupt nicht zum Rest des Songs passend. Hier tritt auch kein Gewöhnungseffekt ein, man schüttelt auch nach wiederholtem Hören immer noch verständnislos mit dem Kopf, wie dieser zum Glück nicht so sehr lange Part das Gesamtbild des eigentlich gelungenen Songs nach unten zieht. Dann lieber das folgende „Too Late“, ein bißchen schneller und insgesamt auf einem homogen hohen Niveau. Interessanterweise hat man bei der klanglichen Aufbereitung für die CD diverse Zwischengeräusche wie Einzählungen und anderes dringelassen – zwischen „Too Late“ und „Think Before You Act“ stolpert man zum ersten Mal drüber. Besagtes „Think Before You Act“ schraubt den Härtegrad in Melodic Rock herunter, und mit „Middle Of The Night“ schließt eine gelungene, wenn auch nicht überragende Halbballade die erste Hälfte des Kassettenmaterials ab.
Die zweite Hälfte beginnt abermals mit Produktionsgeräuschen, dann aber mit einer Überraschung: Antioch sind eigentlich im traditionellen Rock bzw. Metal verwurzelt, aber „Let It Flow“ stattet Rhythmusgitarrist Roger Cleven mit Riffs und Melodien aus, wie sie ein paar Jahre später zuhauf aus dem Nordwesten der USA erschollen. Haben Nachbar-Combos wie Green River oder Soundgarden in ihren Embryonalzeiten hier mal ganz genau hingehört, oder verlief die Einflußlinie anders herum? Auszuschließen wäre beides nicht, eine unabhängige Parallelentwicklung freilich auch nicht. Die Stakkatodrums im hinteren Teil des Hauptsolos wirken allerdings wieder ein wenig bemüht – hier wäre bei etwas mehr Produktionszeit sicher noch einmal eingegriffen worden. „World Of Darkness“ und „Revelation“ betrachtet die Band als zusammengehörig, wobei schon der erste Teil fast acht Minuten dauert und hervorragenden Epic Metal mit einigen erstklassigen Leadgitarrenideen bietet, gipfelnd in einem großen marschartigen Part, während die dreieinhalb Minuten von „Revelation“ ein düsteres Instrumental darstellen, wobei Racey hier als Leads ausschließlich Akustikgitarren spielt und die anderen drei Instrumentalisten gelegentlich ein absteigendes Thema darunterlegen, ehe sich nach anderthalb Minuten hoffnungsvolle Klänge einzumischen beginnen. „Silent Inspiration“ schließt das originale Kassettenalbum abermals instrumental ab, diesmal nur Akustikgitarren einsetzend, aber durchaus einiges an spielerischem Feuer abbrennend – man glaubt so einen latenten spanischen Touch zu vernehmen, obwohl die Spanier bei ihrer Besiedlung der heutigen US-Westküste nicht so weit nördlich vorgedrungen sein dürften. Dass Cleven in gleich zwei der acht Songs schweigt, fällt strukturell zwar auf, hat aber keinen qualitativen Background: Er führt eine gute halbhohe, weitgehend „normale“ Stimme ins Gefecht, die ein bißchen an Brian Clark von Survivor bzw. den Glaubensbrüdern Philadelphia erinnert.

Der erste der vier Bonustracks stammt von Kevin Keil – das könnte der ehemalige Keyboarder sein, glaubt man: Es handelt sich nämlich um ein zwischen Space und Bombast pendelndes Keyboardinstrumental, das Antioch einst als Showopener nutzten. Die Annahme stellt sich aber als Irrtum heraus: Der ehemalige Keyboarder hieß Monty Knight. Danach kommt „Spikes“, einer der vier Demotracks und im Gegensatz zu mindestens einem weiteren nicht für Spontaneous Combustion neu eingespielt. Cleven nennt das Demomaterial in den Liner Notes „pretty rough“, aber da gibt’s deutlich räudigere Aufnahmen – man hört zumindest hier in der klanglich aufbereiteten Fassung alles, was man hören muß, und die Band agiert auch hier offenbar schon ohne Keyboarder und intoniert knackigen Hardrock mit feistem Riffing, latentem Rock’n’Roll-Touch und einem Gesamtsound, den wiederum ein halbes Jahrzehnt später diverse Wüstenrocker bewußt anstreben sollten. Dass irgendeiner von denen je Antiochs Demo gehört hat, scheint zwar zu bezweifeln, aber man weiß ja nie. Allerdings zeigt sich das Quartett schon hier als konsequent im traditionellen Hardrock verhaftet, und hier und da schimmern sogar Black Sabbath durch – ein für 1986 ungewöhnlicher Einfluß, schlingerten Iommi & Co. damals doch gerade orientierungslos durch die Welt und hatten keineswegs die stilprägende Bedeutung, die man ihnen früher zugewiesen hatte und bald darauf wieder zuwies.
Track 11 gehört einem Mitschnitt der Radioshow vom 27.6.1987, allerdings ohne die dort gesendeten Musikbeispiele. Alle vier Mitglieder sind bei Lynette Morgan (Lieblingsphrase: „Good Deal!“) zu Gast und stellen das Albummaterial vor, inclusive der jeweiligen theologischen Hintergründe. Diese knapp 17 Minuten hört man sich einmal an und dann nicht wieder, aber ein interessantes Zeitzeugnis sind sie allemal, ebenso wie der einminütige Track 12 mit einem alten Radiospot auf KCMS, in dem Antioch u.a. einen Gig (mit der Supportband Vigilance, ebenfalls aus dem christlichen Spektrum stammend und 1987 als einziges Tonzeugnis ein 4-Track-Demo herausgebracht habend) bewerben.

Die Re-Release-Fassung von Spontaneous Combustion dauert 61 Minuten – Platz für die drei noch fehlenden Demotracks wäre also durchaus gewesen, um das gesamte konservierte Werk von Antioch versammelt zu bekommen, auch wenn es dann wie erwähnt mindestens eine Songdoppelung gegeben hätte. Aber auch so liegt hier ein definitiv entdeckenswertes Album vor, das man beispielsweise als Fan des ersten Philadelphia-Albums bedenkenlos verhaften kann, wenn man denn noch an eines der 300 Exemplare herankommt. Das Booklet enthält alle Lyrics, die erwähnten kurzen Liner Notes von Roger Cleven sowie einiges historisches Bildmaterial, bei dem auffällt, dass die Band eine Vorliebe für die Farbe Rot hatte – auf jedem Bild (zwei schwarz-weiße sind diesbezüglich natürlich unbewertbar) trägt mindestens ein Bandmitglied irgendein rotes Kleidungsstück. Dass Scott Waters diese Vorliebe bei der Gestaltung des Re-Releases aufgegriffen hat, paßt also bestens ins Bild.



Roland Ludwig



Trackliste
1Didn’t Anybody Say...?4:20
2Never Too Late4:37
3Think Before You Act4:22
4Middle Of The Night5:11
5Let It Flow3:50
6World Of Darkness7:54
7Revelation3:30
8Silent Inspiration4:03
9Concert Opener by Kevin Keil1:31
10Spikes4:02
11KCMS NW Saturday Night (June 27, 1987)16:40
12KCMS Radio Spot0:59
Besetzung

Roger Cleven (Voc, Git)
Paul Racey (Git)
Jim Freeman (B)
Tony Honeywell (Dr)



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