Aus Böhmen kommt die Musik I: Das Hochschulsinfonieorchester Leipzig spielt Martinů, Eben und Dvořák




Info
Künstler: Sinfonieorchester der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Zeit: 10.01.2025

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Antje Kröger

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Sozusagen einen böhmischen Abend kann ein kopfzahlmäßig noch Reserven lassendes Publikum am zweiten Januarwochenende 2025 im Großen Saal der Leipziger Musikhochschule erleben. Das erste Werk hat sogar eine konkrete räumliche Anbindung, allerdings eine tragische: Als Antwort auf das geglückte Attentat auf Reinhard Heydrich löschten die Nationalsozialisten 1942 das Dorf Lidice und nahezu alle seine Bewohner aus, was den Komponisten Bohuslav Martinů zu einer Trauermusik namens „Memorial To Lidice“ animierte, die 1943 in New York uraufgeführt wurde und angesichts der heutigen politischen Lage leider so aktuell ist wie damals. Dirigent Matthias Foremny moderiert das Werk in seiner gewohnt intelligenten Art an, und das Hochschulsinfonieorchester widmet sich dem Stoff mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und bekommt auch die diversen Doppelbödigkeiten achtbar auf die Bühne, wenn etwa die scheinbaren Momente böhmischer Friedlichkeit sich schnell als trügerisch herausstellen. Schon die Einleitung hatte einiges an musikalischen Schwärzegraden evoziert, das Tempo liegt überwiegend weit unten, aber immer noch so hoch, dass bedarfsweise Energieschübe inszeniert werden können, und ein großer finsterer schostakowitsch-kompatibler Ausbruch mündet in ein verklärtes Finale. Die Spannung steht, und sie wird nicht aufgelöst, sondern verebbt: Foremny hatte das Publikum zuvor gebeten, nach diesem Stück auf Applaus zu verzichten, und die Anwesenden halten sich auch daran.

Als Orgel-Meisterklassenstudent ein Examenskonzert spielen zu können ist gar nicht so einfach, wenn es kein Solo-Konzert im wahrsten Sinne des Wortes werden soll – Gelegenheiten, ein Konzert für Orgel und Orchester aufzuführen, sind gar nicht so häufig und das Repertoire auch überschaubar. Nun hat der Große Saal der Hochschule zum Glück eine vielseitig nutzbare Collon-Orgel, ein Orchester steht mit dem studentischen Klangkörper auch zur Verfügung, und so kann nach Liliya Pechenkina im Vorjahr (die am gleichen Ort allerdings das Orchester der Musikalischen Komödie an ihrer Seite hatte) auch Johannes Krahl (Foto) im Rahmen eines der von der Hochschule veranstalteten Konzerte sein Konzertexamen ablegen, wofür er das Konzert Nr. 2 für Orgel und Orchester von Petr Eben wählt, einst anno 1982 ein Auftragswerk zur Einweihung der Schuke-Orgel im Großen Sendesaal des ORF-Funkhauses in Wien. Die bei Martinů noch dicht bevölkerte Bühne leert sich etwas – das Gros der Blechbläser und Schlagwerker bleibt bei Eben arbeitslos.
Das Werk besteht aus drei Sätzen in klassischer Solokonzert-Aufteilung, also schnell – langsam – schnell, allesamt attacca ineinander übergehend, allerdings intern durchaus nochmal differenziert. Die Introduction fällt durch dominante Einzelakkordarbeit auf, sowohl aus der Orgel als auch aus diversen Orchesterinstrumentengruppen – eine Verzahnung findet erst schrittweise statt, was freilich auch dem Hörer Gelegenheit gibt, sich an die relativ moderne, aber zugleich hörbar auf historisch gewohnter Basis stehende Tonsprache des Komponisten zu gewöhnen, und irgendwann versteht man dann die Einfälle und Wendungen tatsächlich, die vorher noch eher gestrüppartig gewirkt hatten. Krahl registriert den ersten Satz relativ prinzipallastig, und die „Dialoge“ seiner Orgel mit den Pauken muten höchst interessant an. Ein tiefer dunkler Orgelteppich führt ins Andante rhapsodico, wo einerseits die Einzelakkordarbeit zurückkehrt, aber Eben auch düstere Kammermusik ins Gefecht wirft, die Krahl mit flötendominierter Registrierung inszeniert. Das Tempo liegt recht weit unten, was blitzartige Beschleunigungen nicht ausschließt – schon eine kleine Vorschau aufs Finale, ein Molto vivace, dessen Eröffnungsbombast sich schnell auflöst, aber dann eben speedlastigen Passagen Raum gibt, mal vorwärtsstrebend, mal fast groovig und auch in der phasenweisen Kleinteiligkeit jeweils das Tempo haltend. Auch hier freut sich der Hörer wieder über so manchen Einfall des Komponisten, von denen einige beinahe witzig zu nennen sind und unter denen die Einwürfe der Kleinen Trommel markante strukturierende Wirkungen entfalten. Ein knapper Bombastschluß beendet das zwar gewöhnungsbedürftige, aber durchaus interessante Werk, und nun darf auch applaudiert werden, was das Publikum in reichem Ausmaß tut.

Das böhmische Triumvirat komplettiert der wohl bekannteste der drei Komponisten, nämlich Antonín Dvořák, und auch das von ihm ausgewählte Werk ist zweifellos das bekannteste der drei, nämlich seine Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88, die es kurioserweise nur ein paar Wochen später in Leipzig gleich nochmal zu hören gibt, nämlich mit dem Gewandhausorchester. Am zweiten Abend des Hochschulprogramms leitet Johannes Krahl den ersten Satz der Sinfonie und Demian Ewig den zweiten, am ersten Abend aber steht durchgängig Matthias Foremny am Pult. Das ist vielleicht auch gut so, denn seine ordnende souveräne Hand ist durchaus vonnöten, wenn in der Einleitung des eröffnenden Allegro con brio der Cellochoral etwas zu aufgeregt daherkommt und auch die Hinleitung zum Hauptthema sowie dieses selbst ein bißchen sehr flattern. Die ordnende Hand des gewohnt dynamisch arbeitenden Dirigierprofessors tut aber ihre Wirkung, und auch der Hörer wird mit viel Eleganz im Seitengedanken schnell wieder versöhnt, zumal der Choral bei seiner späteren Wiederkehr tatsächlich deutlich treffsicherer gelingt. An der Dramatik gibt es nichts auszusetzen, die Tutti transportieren schon viel Energie, und das zupackende Finale hat einen erstaunlich unböhmischen Touch.
Ins Adagio läßt Foremny viel Ruhe legen und nimmt die Formung sehr behutsam vor, betont einige Dynamikbrüche später aber recht stark. Dazwischen reihen sich gute Einzelleistungen aus dem Orchester, einzelne Scharten z.B. aus den Hörnern werden schnell wieder kompensiert, das Tutti kommt ziemlich bombastisch, bleibt aber Episode, und wie das Hochschulsinfonieorchester im Finale Bombast und Zurückhaltung kombiniert, das muß ihm erstmal einer nachmachen.
Im Allegretto grazioso begeht Foremny nicht den Fehler, die tänzerische Herkunft zu stark herauszuarbeiten – statt dessen üben sich die Musiker in eleganter Zurückhaltung und in wirklicher Graziosität, auch wenn sich ein paar Unsicherheiten einschleichen. Nach hinten heraus mischt Foremny allerdings wieder muntere Flockigkeit mit einem schneidenden Tutti-Charakter, als wär’s das Normalste auf der Welt – und dann so ein harmloser Satzausklang ...
Das einleitende Trompetensignal im Allegro ma non troppo wackelt, aber der Komponist sieht sowieso keine direkte Reaktion aus dem Orchester vor – es geht nicht zum Kampf hinaus. Statt dessen rollen die Tiefstreicher einen Teppich aus, der aber immer dynamischer und schärfer wird, ehe sich die Violinen hinzugesellen. Das donnernde Hauptthema läßt der Dirigent ziemlich monumental nehmen und zerrt aus den Tiefstreichern förmlich noch mehr Energie heraus. Die Dynamikgrenzen setzt er hier weit außen, indem er den Seitengedanken weit zurücknimmt, und so manövriert er das Orchester gekonnt durch diesen letzten Satz, der in ein sehr plötzliches, sehr knackiges und sehr bombastisches Finale mündet. Kuriosum: Die Pauke hallt im Schlußton extrem lange nach – als Foremny die Arme schon senkt, dröhnt der Nachhall immer noch von hinten hervor. Dirigent und Orchester ernten viel Jubel und etliche Bravi, aber die Versammlung auf der Bühne wird trotzdem schon nach einem Vorhang aufgelöst. Egal – der böhmische Abend hatte jedenfalls viel Interessantes zu bieten.


Roland Ludwig



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