Bissig, düster, durchtrieben: Rameaus Platée als komische Tragödie
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Dass Jean-Phillippe Rameaus liebestolle Sumpfnymphe Platée kein ulkiges froschgesichtiges Barock-Girlie sein muss, sondern auch eine Person sein kann, die einfach anders ist als "der ganze lahme Rest", demonstrieren die Regisseurin Karoline Gruber und Hauptdarsteller Andres J. Dahlin in dieser Neuproduktion des komischen Opernballets an der Rhein-Oper in Düsseldorf. Der schlaksige schwedische Tenor wirkt eher wie die Hauptfigur aus Oskar Roehlers Film „Agnes und seine Brüder“: ambivalent, zerbrechlich, voller Sehnsucht nach der großen Liebe und in prekären Verhältnissen lebend.
Nun ist Rameaus Platée allerdings auch über die Maßen selbstverliebt und alles andere als schüchtern. Liebestoll und unfähig, das Verhalten anderer richtig zu deuten, wird sie ein leichtes Opfer der halbseidenen Olymp-Schickeria: Jupiter, der die Eifersuchtsszenen mit Juno satt ist, verspricht Platée zum Schein die Ehe und wenn am Ende der ganze Schwindel auffliegt, ist Juno zwar kuriert, die von allen verspottete Platée aber bleibt zornig und tiefverletzt zurück.
Und da sich Konrad Junghänel für die 1749er Version der Oper entschieden hat, fehlen auch die kernig-aggressiven Schlussakkorde der Originalfassung von 1745, unter denen sich die Nymphe angeschlagen, aber immer noch kraftstrotzend in das feuchte heimatliche Element stürzt. Ab 1749 behielt der Chor der Spötter das letzte Wort. Gruber und ihr Bühnenbildner Roy Spahn stellen Platée dabei isoliert auf ein Podest, wo ihre Wut wirkungslos verpufft.
Dass Rameaus Farce nie einfach nur komisch, sondern auch böse und subversiv ist, betont das Team durch ein eher düsteres, etwas abgerissen wirkendes Bühnenbild: Ein staubiges, zwischendurch ziemlich vermülltes Barocktheater, das von einem pinkfarbenem Riesenschuh dominiert wird (offenbar das Überbleibsel einer nicht weiter vertieften Aschenbrödel-Anspielung) und in dem eine dekadente Festgesellschaft ihren Spaß mit der Außenseiterin hat, dabei aber oft trashiger wirkt als das Prekariat, das nach der Ouvertüre von der Bühne vertrieben wird. Ob es aber nötig war, Platée zum Schluss eine Waffe in die Hand zu geben und die Möglichkeit anzudeuten, dass aus ihrem geplatzten Herzens-Traum ein selbstmörderischer Albtraum geworden ist? Hier wird aus der Tragik, die ja schon in Rameaus vielschichtiger Musik mitschwingt, ein etwas zu überdeutliches Regie-Ausrufe-Zeichen.
Doch davon abgesehen gelingt es, die revueartige Dramaturgie dieser französischen Barockoper geschmeidig zu halten und aus ihrer eigenen Logik heraus als Tragödie im Gewand einer Komödie zu entfalten. Der Prolog wird als PR-Event für ein Jupiter-Kaltgetränk sinnig mit dem Drama verbunden, ebenso die Tänze, die fast immer aus dem Geschehen motiviert erscheinen. Die wohldosierten Gags sitzen. Selbst Platées Konflikt mit einem Klapptisch wirkt so beiläufig inszeniert, dass man fast an eine echte Panne denken möchte. Genial der Einfall, sie sich aus einem textilen Werbeplakat herauswinden zu lassen, auf das ein rotes Abendkleid gedruckt ist – so als würde aus einem Schmettling wieder eine Raupe. Lediglich das Hantieren mit zwei sperrigen Glitter-Flügeln, mit der ein Auftritt vom Gefolge der Folie, der Narrheit garniert wird, wirkt auf der vollen Bühne hektisch und unmotiviert.
Musikalisch bewegt sich die Produktion auf dem hohen Niveau der Paladins, mit denen die Rheinoper in der vergangenen Spielzeit erstmals eine Rameau-Oper ins Programm genommen hat. Gestisch und mit Sinn für klangfarbliche Differenzierung musizierte die Neue Düsseldorfer Hofmusik unter Konrad Junghänel, so dass der streicher- und oboendominierte Klang nicht eintönig wurde. Eindrucksvoll bestätigte sich Rameaus Genie. Sein rhythmisch pulsierender, harmonisch anspruchvoller Orchestersatz ist Theatermusik pur, voller Anspielungen, Doppelbödigkeiten und Klangbilder. Anders als z. B. Händel betört er seine Hörer nicht durch weitschwingendes Melos, sondern durch eine pikante, bewegliche Musik, deren Feinheiten und Esprit sich oft erst beim wiederholten Hören erschließen.
Die SängerInnen überzeugten ebenfalls durchweg: Anders J. Dahlin, der als Platée auf der Bühne häufig präsent zu sein hatte, gelang ein treffliches und komplexes Porträt jenseits aller Travestie-Klischees. Eher typenhaft, wenngleich musikalisch durchaus differenziert hat Rameau die übrigen Figuren gestaltet: Sami Luttinens langmähniger Jupiter steuerte einen machomäßigen Bass bei. Als närrische La Folie beherrschte Sylvia Hamvasi koloraturenstark und in ihren überdimensionierten Lackstiefeln überdies erstaunlich trittsicher das Bühnengeschehen. Die wichtigen Nebenrollen waren unter anderem mit Thomas Michael Allen (in der Doppelrolle Thepsis/Mercure), Laimonas Pautienius (ein ludenhafter Momus) sowie der sexy Thalie von Alma Sadé und dem kecken Amour von Iryna Vakula überaus ansprechend besetzt.
Nach diesen beiden erfolgreichen Würfen wäre es an der Zeit, sich einmal an eine echte Musiktragödie Rameaus zu wagen: den revolutionären Erstling „Hippolyte et Aricie“ etwa oder das von Einfällen strotzende Spätwerk „Les Boreades“.
Georg Henkel
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