Reviews
Drown In Darkness (The Early Demos)
Info
Musikrichtung:
Doom / Death Metal
VÖ: 25.3.22 (09/1988/89) (Vic Records) Gesamtspielzeit: 57:37 Internet: http://www.paradiselost.co.uk |
Nachdem Paradise Lost im März 1988 ihre erste Probe in der Quintettbesetzung und im Juni 1988 ihren ersten Gig absolviert hatten, wurde ihnen bald klar, dass sie einen vernünftigen Tonträger vorweisen mußten, um die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. Ergo suchten sie am 3.12.1988 die Lions Studios in Leeds auf und spielten dort drei Songs ein, die alsbald auf einer selbstbetitelten Demokassette das Licht der Welt erblickten und besagter Welt Kunde von einer originellen Formation gaben – zumindest einige der Mitglieder waren in der damaligen Tapetrading-Szene aktiv, und so verbreitete sich das Material schnell in der halben Welt. Wer genau hinhörte, der konnte bereits damals den ungewöhnlichen Ansatz der Band wahrnehmen, obwohl niemand den Hauptgrund dafür gekannt haben dürfte. Im Death Metal herrschte damals die „Härter und schneller“-Welle, aber Paradise Lost gingen nicht über gehobenes Midtempo hinaus, was eigentlich primär den Grund hatte, dass der zuckerkranke Drummer Matt Archer das konsequente Durchhämmern eines oder gar mehrerer Songs konditionell schlicht nicht durchgehalten hätte. Ergo machte das Quintett aus der Not eine Tugend, hielt das Tempo überschaubar, schielte alsbald auch schon mal in Doomgefilde hinüber und wurde schließlich zum Miterfinder eines neuen und bis heute höchst erfolgreichen Stils, des Gothic Metal.
So weit war man auf dem ersten Demo freilich noch nicht, wenngleich diverse Stilmittel schon hier angelegt waren, vor allem die markanten Leadgitarren von Gregor Mackintosh. Archer klöppelte noch vorwiegend im Midtempo, allerdings auch schon relativ variabel, wenngleich noch ziemlich ausrechenbar, was auch auf große Teile des Songwritings zutraf – interessante Ideen gibt es schon hier, aber die Ausarbeitung bedarf noch etwas mehr Konsequenz. Eine spezielle Bedeutung für die Band bekam der zweite Song „Internal Torment“, denn dieser erfuhr später noch zwei Neueinspielungen. Dieser und der von einem enthusiastischen Brüll-Hau-drauf-Akkord eingeleitete Opener „Drown In Darkness“ besitzen in der vorliegenden, von Ulf Horbelt remasterten Fassung einen überraschend transparenten Sound, während „Morbid Existence“ deutlich polteriger daherkommt, also offensichtlich in einer nicht ganz so guten Vorlage zur Verfügung stand.
Frozen Illusion hieß das zweite Demo, eingespielt am 13.5.1989 gleichfalls in den Lions Studios und abermals drei Tracks beinhaltend, darunter die erste Neufassung von „Internal Torment“, die im Intro schon rüber in den Doom schielt, dann aber die alte Struktur weitgehend übernimmt, wenngleich mit einem deutlich stärker galoppierenden Touch in Aaron Aedys Rhythmusgitarren und einem überraschenden Querverweis in den wenigen schnelleren Parts: So ähnlich klangen vier Jahre später auch einige Passagen auf The Karelian Isthmus, dem Debütalbum von Amorphis – die Überraschung wird dadurch perfekt, dass Paradise Lost auf ihrem 2007er Album In Requiem wiederum phasenweise stärker nach Amorphis klangen als Amorphis selbst. In Gestalt von „Paradise Lost“ eröffneten die fünf Briten ihr zweites Demo allerdings mit ihrem ersten konsequent doomigen Song, und auch der Titeltrack „Frozen Illusion“ machte ihre Ambitionen in dieser Richtung klar, wenngleich er sich temposeitig zwischen den beiden anderen einordnete, dafür aber Mackintoshs intensivste Solopassagen dieses Frühwerks enthält. Fronter Nick Holmes, der auf dem Debütdemo noch ein wenig höher ins Mikrofon brüllte, hatte mittlerweile offensichtlich herausgefunden, wie man gesangstechnisch tiefer grunzen kann, was er auf diesem zweiten Tape dann konsequent umsetzt. Außerdem enthält es erste zarte Versuche, dem Sound mit Keyboards eine punktuell spezielle Aufwertung zu verschaffen. Alle drei Songs dieses Demos fanden dann in (abermaligen) Neueinspielungen ihren Weg auf das 1990er Debütalbum Lost Paradise, wonach die eingangs beschriebene Geschichte ihren Lauf nahm.
Die vorliegende CD enthält in chronologischer Reihenfolge zunächst diese sechs Demonummern. Ergänzt werden sie von sechs Livesongs, die bei einem Gig in Liverpool am 18.3.1989 mitgeschnitten wurden, also zwischen den beiden Demoaufnahmen, und auf einer 2009er Fassung im Digisleeve mit Vinyl-Replica-Optik ebenfalls bereits enthalten waren – aus jenem Jahr stammen auch die Liner Notes von Nick Holmes. Als gerüchteweise arg dumpf klingender Bootleg Plains Of Desolation war das Livematerial schon länger im Umlauf, hier gibt es ebenfalls eine remasterte Variante, die natürlich keine Wunderdinge vollbringen kann, aber zumindest ein anhörbares Erlebnis ermöglicht, wobei Holmes akustisch weit im Vordergrund steht, Mackintosh hingegen kaum zu hören ist, was dem Material einen relativ rauhen Anstrich verleiht. Diverse Schnitte zwischen den Songs wurden beibehalten, so dass zu vermuten steht, dass der Set länger war als nur diese sechs Songs – so entsteht allerdings auch das Kuriosum, dass nach „Our Saviour“ Holmes den nächsten Song Barney von einer akustisch unverständlichen Band (es klingt nicht wie Benediction, bei denen der spätere Napalm-Death-Fronter Barney Greenway zu dieser Zeit sang) und einem Musiker von Metal Duck widmet, aber dann ein Schnitt kommt und erst danach „Plains Of Desolation“ beginnt, so dass unklar bleibt, ob tatsächlich dieser Song den beiden gewidmet wird oder aber ein dazwischen herausgeschnittener. Programmiertechnisch gehört die Ansage aber schon zu „Plains Of Desolation“. Mit „Internal Torment“, „Drown In Darkness“ und „Paradise Lost“ finden sich drei Demotracks wieder, dazu tritt „Our Saviour“, das später einen Platz auf Lost Paradise erhielt. Was den Mitschnitt interessant macht, sind „Plains Of Desolation“ und „Nuclear Abomination“, zwei Songs, die auf keinem regulären Longplayer auftauchten. Letzterer hebt mit wildem Geknüppel an, wandelt sich aber dann ebenfalls ins klassische Midtempo, wenngleich mit einigen weiteren treibenden Stakkati garniert – die Entscheidung, diesen Song später nirgends neu einzuspielen, erscheint logisch, da er stilistisch doch ein wenig abweicht. „Plains Of Desolation“ würde da etwas besser reinpassen, aber auch er blieb in den Archiven, da das Gothic-Outro „Desolate“ thematisch nur sehr entfernt verwandt anmutet, so dass die Annahme, es handele sich um eine Neufassung der historischen Songidee, wohl zu weit führen würde.
Das Booklet enthält neben den erwähnten Liner Notes von Holmes einiges historisches Bildmaterial in historischer Reproqualität, dazu die Lyrics der Demosongs in klassischer Schreibmaschinenschrift, was die drei Songs des ersten Demos angeht. Zumindest war das offenbar der Plan – in der Realität fehlt der Text zu „Drown In Darkness“, während der zu „Morbid Existence“ zweimal abgedruckt wurde. Zudem tauchen historische Widersprüche auf: Das erste Demo wird auf dem Backcover als ebenfalls von Paul „Hammy“ Halmshaw produziert deklariert, während David E. Gehlkes Bandbiographie das erste Treffen Hammys mit Holmes und Archer erst auf Frühjahr 1989 datiert.
Holmes faßt das Demoschaffen folgendermaßen zusammen: „The first demo was typical meat and veg teenage substandard death metal. Not much more to say on that, but by our second demo there’s obviously an indication that we were starting to come together more as a band.“ Okay, über „substandard“ ließe sich debattieren, denn grundsätzliche zukunftsweisende Ideen finden sich auch schon dort, und eigenartigerweise klingt Holmes dort von der Stimmfarbe her stärker nach dem, was er auf Icon praktizierte, als nach dem, was er auf den ersten drei Alben von sich gab, auch wenn das in diesem Falle sicher Zufall ist. Aber wer auf der Suche nach den Wurzeln von Paradise Lost, generell auf der Suche nach den Wurzeln der Death mit Doom Metal verbindenden Bewegung oder aber auf der Suche nach einer möglichen Ideenquelle für die eigenartige stilistische Rückwärtsbewegung der Band spätestens ab In Requiem (und man erinnere sich nochmals an den genannten Amorphis-Verweis!) ist, der sollte diesen Tonträger mit seiner klassischen Schwarz-Weiß-Optik einer genaueren Prüfung unterziehen.
PS: Wer übrigens erwartet, noch weiter im Urschleim der Band wühlen zu dürfen, irrt: Paradise Lost schnitten zwar etliche ihrer Proben mit, aber diese Tapes waren zumindest größtenteils nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, vielleicht mit Ausnahme des noch ohne Bassist Steve Edmondson eingespielten, dessen Name aber kurzerhand auf dem Sleeve verewigt wurde, so dass ihm nichts anderes übrigblieb, als doch noch einzusteigen, nachdem er eine Offerte Macckintoshs zunächst ausgeschlagen hatte. Selbiges hatte mit Morbid Existence sogar schon einen Titel, hob sich also etwas von den anderen Probemitschnitten ab. Aber auch sein Material ist auf der CD nicht zu hören, zumindest nicht in den Fassungen dieses Tapes.
Roland Ludwig
Trackliste
1 | Drown In Darkness (Demo) | 4:38 |
2 | Internal Torment (Demo I) | 5:05 |
3 | Morbid Existence (Demo) | 2:38 |
4 | Paradise Lost (Demo) | 5:24 |
5 | Internal Torment (Demo II) | 5:40 |
6 | Frozen Illusion (Demo) | 5:16 |
7 | Internal Torment (Live) | 4:40 |
8 | Our Saviour (Live) | 5:56 |
9 | Plains Of Desolation (Live) | 4:10 |
10 | Drown In Darkness (Live) | 4:37 |
11 | Paradise Lost (Live) | 5:34 |
12 | Nuclear Abomination (Live) | 3:48 |
Besetzung
Gregor Mackintosh (Git, Keys)
Aaron Aedy (Git)
Steve Edmondson (B)
Matt Archer (Dr)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |