Reviews
The great Adventure
Info
Musikrichtung:
Prog-Rock
VÖ: 25.01.2019 (Radiant / Metal Blade / Sony) Gesamtspielzeit: 103:27 Internet: http://www.nealmorseband.com |
Wer kennt noch den alten Modern Talking Witz? Dieter Bohlen kommt ganz aufgeregt in den Proberaum (Ich habe mich damals immer gefragt, ob die wirklich so was wie einen Proberaum hatten; Red), einen Zettel in der Hand und ruft. „Thomas! Thomas! Ich hab einen neuen Text für unser Lied.“
Natürlich ist es völlig abwegig, Modern Talking und Neal Morse in einem Atemzug zu nennen. Und Neal Morse wiederholt auch nicht permanent dasselbe. Aber er muss ein wenig aufpassen. The great Adventure ist bereits das fünfte Doppel-Album, das auf sehr ähnlichen Konzepten aufbaut. Immer steht ein Mann im Mittelpunkt, der in einer Welt der Verlockungen und Anfechtungen den Weg zu Gott findet, ein Weg, der regelmäßig nicht ohne Rückschläge auskommt. Auf seinem Debüt beschreibt er autobiographisch seinen eigenen Weg. One verallgemeinert das. Testimony 2, schon vom Titel her ein Sequel zum Debüt, reflektiert noch einmal den Weg vom „Sonntagschristen“ zum bewusst Glaubenden.
Das Textkonzept
Das bislang letzte Album The Similitude of a Dream hat fast dasselbe Artwork wie das aktuelle Album The great Adventure. Das ist natürlich kein Zufall. The Similitude of a Dream verarbeitet John Bunyans Literatur-Klassiker Die Pilgerreise von 1678. Im Mittelpunkt von The great Adventure steht nun der Sohn des Pilgers, der sich zu Beginn des Albums hasserfüllt von seinem Vater – und Gott – abwendet, weil der Vater die Familie verlassen hatte, um seinen Weg zu Gott zu finden (Kapitel 1). Kapitel 2 heißt den Sohn in der negativen Welt willkommen. Eine Predigt lässt ihn aber nachdenklich werden. Er beginnt den Weg zu akzeptieren, den sein Vater gegangen ist, ohne ihn zu seinem machen zu wollen. Aber auch er hofft jetzt Antworten zu finden und von Gott aufgerichtet zu werden. Das dritte Kapitel zeigt ihn zerrissen. Er möchte frei in den Tag hineinleben, wie Tom Sawyer und Huckelberry Finn. Er findet es lachhaft, dass er es besser machen könnte, als sein Vater. Aber dann begegnet er einem „Mister Faithful“ und plötzlich scheint alles möglich zu sein. Im folgenden Kapitel geht die beiden zusammen ihren Weg, der nicht leicht ist, weil die glitzernden Verlockungen der Welt immer präsent sind und einen leichteren Weg verheißen.
Dann gibt es den großen Showdown. Die Furcht tritt auf und verunsichert den Sohn noch einmal massiv. Aber in der größten Verzweiflung erklingt der finale Weckruf „Vertraue, auch wenn Du nicht verstehst!“ und der Sohn wird zur großen Versöhnung mit Gott – und seinem Vater – fähig.
Die Musik
Der dramatische innere Kampf, den der Sohn durchzustehen hat, bietet Neal Morse ideale Möglichkeiten das gesamte Instrumentarium des Prog Rocks bis hin zum Prog Metal einzusetzen.
Die Ankunft in der negativen Welt („Welcome to the World“) wird mit fettem Orgel geschwängertem Rock inszeniert, bei dem sich Eric Gilette mit einem druckvollen Gitarrensolo präsentierten kann. Die reuevollen Gedanken von „A momentary Change“ werden von Streichern und Gitarre elegisch begleitet. Dann folgen zwei furiose Stücke, die die Zerrissenheit des Sohnes betonen. Am Ende („To the River“) bekennt der Sohn sich in einem großen Hymnus, wie Morse sie so liebt, zu der Welt (Gottes), in der die Illusion real ist
Damit sind die Elemente benannt, die für Fans natürlich nichts Neues sind. Dabei bleibt die Beobachtung des zweiten Albums One bestehen, dass Neal Morse über die etwas zu zuckersüßen Lobgesänge hinaus ist, die z.B. den fünften Teil des Debüts Testimony für machen Rock-Fan schwer erträglich gemacht hatten. Es gibt sie immer noch. Da ist z.B. „Beyond the Border“, das Schlussstück des dritten Kapitels (und damit der ersten CD), eine schmelzende Hymne, die Zuversicht ausströmt und fromme Hörer dazu bringen kann mit geöffneten Händen und geschlossenen Augen vergeistigt im Musikwind zu schwanken. Aber es gibt sie in maßvoller Dosierung. Es gibt vor allem auch massive Rock Nummern, wie die beiden „Welcome to the World“-Nummern, bei denen der zweite Teil am Beginn des Showdowns im fünften Kapitels am weitesten in den Metal-Bereich hinein vorstößt. Während die positiven Momente, als er sich mit Mr Faithful auf den Weg mach („Hey Ho let’s go“) oder die scheinbar leichten Verlockungen der Welt („Vanity Fair“), schön beschwingt daher kommen.
Insgesamt gefällt mir die zweite CD besser, als die erste. Drei meiner Album-Faves befinden sich im vierten Kapitel. Da ist die instrumentale zweite Ouvertüre, die mit tollen Orgel- und Schlagzeug-Parts glänzt und immer wieder an frühe Genesis erinnert, dann das progmetallische „Fighting with Destiny“, erneut mit fantastischer Orgelarbeit und der Styx-artige Fun-Song „Vanity Fair“, der das vierte Kapitel mit einer Jahrmarkt-ähnlichen Atmosphäre beschließt.
Auf den metallischen Anfang des fünften Kapitels wurde schon hingewiesen. Der Auftritt der Furcht bringt noch mal eine neue Farbe auf die Palette. Hier benutzt Morse Jazz-Elemente. Danach ist auch dieses Kapitel sehr deutlich von Genesis geprägt. Das gilt sowohl für das eher ruhige „Child of Wonder“, wie auch für den hymnisch-siegreichen Power-Prog „Freedom calling“.
Fazit
Neal Morse stagniert auf hohem Niveau. Die dadurch fehlenden Überraschungen lassen einige Punkte in der b-Note purzeln. Dennoch wird kein Fan von dem Album enttäuscht sein. Ich vermute aber, es wird im Abstand von ein paar Monaten seltener aus dem Regal gezogen werden, als die früheren Klassiker.
Trackliste
Kapitel 1 (12:50)
1 Overture (10:07)
2 The Dream isn't over (2:41)
Kapitel 2 (23:48)
3 Welcome to the World (5:26)
4 A momentary Change (3:42)
5 Dark Melody (3:30)
6 I got to run (6:05)
7 To the River (5:02)
Kapitel 3 (17:59)
8 The great Adventure (6:17)
9 Venture in Black (5:16)
10 Hey Ho let's go (3:22)
11 Beyond the Borders (3:08)
2. Akt
Kapitel 4 (18:13)
12 Overture 2 (3:47)
13 Long ago (3:45)
14 The Dream continues (1:21)
15 Fighting with Destiny (5:24)
16 Vanity Fair (4:00)
Kapitel 5 (30:37)
17 Welcome to the World 2 (4:02)
18 The Element of Fear (2:35)
19 Child of Wonder (2:28)
20 The great Despair (6:18)
21 Freedom calling (7:32)
22 A Love that never dies (8:05)
Besetzung
Eric Gilette (Git, Voc)
Bill Hubauer (Keys, Voc)
Randy George (B, Voc)
Mike Portnoy (Dr, Voc)
Gäste:
Chris Carmichael (Streicher)
Amy Pippin (Back Voc <22>)
Debby Bresee (Back Voc <22>)
April Zachary (Back Voc <22>)
Julie Harrison (Back Voc <22>)
So bewerten wir:
00 bis 05 | Nicht empfehlenswert |
06 bis 10 | Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert |
11 bis 15 | (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert |
16 bis 18 | Sehr empfehlenswert |
19 bis 20 | Überflieger |