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Reviews

Neal Morse

Testimony 2


Info

Musikrichtung: Prog

VÖ: 20.05.2011

(InsideOut / EMI)

Gesamtspielzeit: 108:00

Internet:

http://www.nealmorse.com

Der Hintergrund:

Seit ich die Ankündigung von Testimony 2 gelesen habe, war ich gespannt. Auf dem ersten Testimony-Album hatte Neal Morse 2003 Rechenschaft über seine Bekehrung zum entschiedenen Christen abgelegt, die zum Ausstieg bei Spock’s Beard und Transatlantic geführt hatte.
Teilweise sehr konkret hatte er sein Leben als Straßenmusiker beschrieben, den langsamen Aufstieg mit Spock’s Beard, die Begegnung mit der Gemeinde seiner Frau und den sehr schwer erkämpften Entschluss aus dem typischen Lebens eines Rockmusikers auszusteigen, um den lebendig gewordenen Glauben an Jesus Christus in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen.

Seitdem ist einiges passiert. Neal Morse hat nicht nur fromme Worship-Album geschrieben, die primär für den gottesdienstlichen Gebrauch oder die private Andacht funktionieren. Er hat auch den Weg zurück zum Progressive-Act gefunden, auf dem Testimony nur ein erster Schritt war, und hat sich dort bislang deutlich besser zeigen können, als seine frühere Band Spock’s Beard, die seit 2003 ohne ihn weiter macht. Kürzlich ist er sogar wieder mit Transatlantic unterwegs gewesen und die - von ihm bisher dementierten Gerüchte - über eine Spock’s Beard Reunion erklingen in immer kürzeren Abständen.

Der Inhalt:

Auch wenn Testimony 2, die Nummerierung des ersten Albums von Part 1 bis 5 fortsetzt, ist es kein zweiter Rechenschaftsbericht geworden, der jetzt die Jahre als bekennender Christ und den Weg zurück ins Rockgeschäft beschreibt. Testimony 2 blickt noch einmal auf den Bekehrungsprozess zurück, aber dieses Mal reflektierend und weniger konkret.
„Part 6“ beschreibt das Leben in der Fremde, in dem der erfolgreiche Rocker zum „Sonntagschristen“ geworden ist und ein halbgares Leben führt. Am Ende steht das ruhige mit Streichern garnierte „Jayda”, in dem Morse die wunderbare Errettung seiner herzkranken Tochter beschreibt.
Im folgenden „Part 7“ wird dieses Erlebnis als ein Klopfen Gottes an seiner Tür beschrieben. In der Gottesferne beginnt das tastende Suchen nach Gott. Zentralsong ist dabei „Jesus’ Blood“, in dem ein Aufenthalt in der Kirche beschreiben wird, bei dem er sich willkommen fühlt und begreift, dass das Blut Christi alles Trennende fort waschen kann. Morse fühlt sich wie der Verlorene Sohn („The Truth will set you free“), ist aber noch nicht so weit, dass er wirklich den Mut aufbringen könnte, sich dem Vater vertrauensvoll in die Arme fallen zu lassen.
Der Weg vom Zweifel zur Entscheidung wird in „Part 8“ gegangen. Das Leben in zwei Welten zerrt an ihm. Er will das eine, kann das andere aber noch nicht lassen. Dann fällt er in Boston auf die Knie und trifft den Entschluss den neuen Weg zu gehen, egal wie sein Umfeld reagieren mag („Jesus bring me home“). Der endgültige Anstoß zum Ausstieg kommt mit einem Plattenvertragsangebot, das ihn zum Handeln zwingt. Mit dem fettesten Rock’n’Roll des Albums macht er klar, dass der „Road Dog Blues“ für ihn jetzt zu Ende ist. In entsprechend friedlicher Ruhe klingt das Stück aus.
In „Crossing over“ beschreibt er seine Entscheidung, die ihn innerlich auf’s Äußerste zerrissen hat, als Parallele zu der wunderbaren Rettung seiner Tochter. Auch er habe ein neues Herz bekommen.

CD 2 steigt aus dem Schema der durchnummerierten Parts aus. Morse feiert erst einmal den Beginn eines völlig neuen Lebens. Beschreibt die heilende Realität dieses Leben in „Supernatural” in drei Dimensionen: Wenn es jemandem schlecht geht, bin ich für ihn da; wenn es mir schlecht geht, ist Gott für mich da; wenn es mit mir zu Ende geht, ist Gott bei mir.
Wie bei allen Morse-Alben wird am Ende der Hörer direkt angesprochen und eingeladen aus seinem letztlich leeren Leben auszusteigen mit der Versicherung, dass wenn alles Andere am Ende ist, jede Hoffnung vergangen ist und jedes erreichte Ziel fade wirkt, dass es dann ein nach-Hause-Kommen gibt, das das Morgen zur Heimat macht.
Eingepackt wird das missionarische Finale in diesem Fall in einen 26-minütigen Longtrack, der fast alles in den Schatten stellt, was Neal Morse bislang solo oder mit Spock’s Beard veröffentlicht hat und nur von einigen Transatlantic-Sachen überboten wird.


Die Musik:

Dieses fast zweistündige Opus im Detail zu analysieren, sprengt jeden Rahmen. Wichtig ist es auf die von Morse gegangene Entwicklung hinzuweisen.

Bei den vergangenen Alben hatte man gelegentlich den Eindruck, dass zumindest in bestimmten Passagen, die für Neal Morse inhaltlich besonders wichtig waren, der Focus stärker auf den Inhalt, als auf die musikalische Gestaltung gelegt wurde.
Das führte vor allen in den Schlusskapiteln oft zu einem gefährlichen Übermaß an triumphalistischen Bombast, der gelegentlich auch in den Kitsch kippte.
Davon kann bei Testimony an keiner Stelle mehr die Rede sein.

Und auch die Tendenz des bekehrten Rockers sich von allzu harten Passagen zurückzuhalten, oder sie bestenfalls mal als Illustration eines besonders schlimmen Irrwegs zu nutzen, ist Vergangenheit.
2011 greift Neal Morse mit vollen Händen in die Farbtöpfe des Prog-Rocks: Hard Rock, 70er Jahre Jam Rock, Groove, Rock’n’Roll alles findet er auf der überreichlich gedeckten Palette und nutzt es reichlich. Für die frickeligeren Parts stehen ihm Jazz-Rock Elemente zur Verfügung.
Auf der anderen Seite gibt es die nachdenklichen und demütigen Stellen des Albums. Hier gelingt es ihm durchgehend echtes Gefühl zu entwickeln. Nichts wirkt peinlich und überzogen.
Kaum einen Prog-Rock-Konzeptalbum ist es jemals gelungen ambivalente Gefühle und innere Zerrissenheit so kongenial in Szene zu setzen, wie es Neal Morse hier geschafft hat.

Großartig!!!


Anspieltipps:
- „Time Changer“: ein rauer Power Track mit tollem Groove, packenden riff-artig agierende Streichern und an frühe Genesis erinnernde Keyboards
- „Jesus’ Blood“: das mit Drums und langsamen Gitarrenakkorden spartanisch instrumentierte Stück vermittelt eine düstere, bedrängende Atmosphäre
- „Chance of a Lifetime“: Nach einem jazzigen Intro wird das eher ruhig angesetzte Stück vom Saxofon aufgemischt und beschreibt das Hin- und Her-Gerissensein sehr gut
- „Road Dog Blues“: DER Rocker des Albums
- „Absolute Beginner“: eine tolle up lifting AOR Hymne



Norbert von Fransecky

Trackliste

CD 1
Part Six
1 Mercy Street (5:12)
2 Overture No. 4 (5:25)
3: Time Changer (6:08)
4 Jayda (6:05)

Part Seven
5 Nighttime Collectors (4:25)
6 Time has come today (4:55)
7 Jesus’ Blood (5:26)
8 The Truth will set you free (8:07)

Part Eight
9 Chance of a Lifetime (7:02)
10 Jesus bring me home (4:59)
11 Road Dog Blues (3:06)
12: It’s for you (5:41)
13: Crossing over (Mercy Street Reprise) (11:46)

CD 2
1 Absolute Beginner (4:41)
2 Supernatural (6:11)
3 Seeds of Gold (25:59)
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So bewerten wir:

00 bis 05 Nicht empfehlenswert
06 bis 10 Mit (großen) Einschränkungen empfehlenswert
11 bis 15 (Hauptsächlich für Fans) empfehlenswert
16 bis 18 Sehr empfehlenswert
19 bis 20 Überflieger