Survivor
All Your Pretty Moves
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Wenn man als Band einen Namen wählt, den später noch eine andere Band wählte und unter diesem zu großer Popularität gelangte, kann das in der Nachbetrachtung für die „Pioniere“ sowohl positive als auch negative Folgen zeitigen. Hört der (Hard-)Rockfreund heute den Bandnamen Survivor, so springen ihm vermutlich automatisch Klassiker wie „Eye Of The Tiger“ oder „Burning Heart“ ins aktive Musikhirn. All Your Pretty Moves ist nun aber nicht etwa eine neue Scheibe der Truppe um Jim Peterik und auch keine Wiederentdeckung einer vergessenen alten Scheibe dieser Combo, so daß die Erwartungshaltung der Anhängerschaft nicht befriedigt werden kann – zumindest nicht in dieser Richtung, denn um eine Wiederentdeckung einer alten Scheibe handelt es sich auch in diesem Fall, um eine lohnende noch dazu.
Die Survivor, um die es hier geht, existierten von 1976 bis je nach Quelle 1979, 1980 oder 1981 – als die anderen mit „Eye Of The Tiger“ richtig durchstarteten, gab es die „Vorgänger“ also gar nicht mehr, egal welche der drei Jahreszahlen stimmt. Der Bandproberaum stand in Shrevesport in Louisiana, und nachdem nach einigen Umbesetzungen Ende 1976 das „richtige“ Quartett beisammen war, entfaltete die Truppe im Südwesten der USA eine rege Livetätigkeit, war für eine relativ aufwendige Show bekannt (zumindest wenn man das Level einer regional aktiven, aber ungesignten Liveband als Maßstab nimmt) und ging schließlich 1979 ins Studio, um eine LP namens All Your Pretty Moves einzuspielen, die als Eigenproduktion erschien. Kurze Zeit später stellte die Band ihre Aktivitäten ein, und die Platte fand folglich nur bei Insidern Verbreitung, was sich erst im neuen Jahrtausend mit den Re-Releases von Monster Records (2003) und nun Rockadrome Records geändert hat. Letzterer kommt im Digipack mit kurzen, aber informativen Liner Notes von Bassist/Sänger Brian Clark, allen Lyrics, historischen Fotos und dem Bonustrack „Delicate Adversary“ daher, der auch schon auf der Monster-Pressung enthalten war und zu dessen Herkunft nirgends etwas Genaues zu erfahren ist. Soundlich gibt es zum Rest der Platte so gut wie keinen Unterschied und auch stilistisch kaum einen.
Schon der Opener „The New Order“ macht klar, wo hier der stilistische Hase entlangläuft: Wir hören klassischen Hardrock mit einem starken Fokus auf der Leadgitarrenarbeit. Pat O’Hara und Paul Restovich sind offenkundig Könner an ihrem Instrument und zeigen das auch oft und gern, ohne die Songs aber zu zerfiedeln. Bereits im Opener erklingt ein ausladendes doppelläufiges Hauptsolo aus der alten Thin-Lizzy-Schule und schwingt sich immer weiter auf, und als es schließlich seine Klimax erreicht hat, setzt nicht etwa wieder der Gesang ein, sondern einer der beiden Gitarristen soliert noch weiter. Daß Thin Lizzy in den Liner Notes als Einfluß genannt werden, wundert daher nicht, während die dort ebenfalls angeführten Led Zeppelin und Judas Priest nicht ganz so viele, aber doch auch einige Spuren im Bandsound hinterlassen haben und zusammen mit Material von Cheap Trick und Blue Öyster Cult sicher auch im Liveprogramm der Band vertreten waren – als Clubband mußte man damals ja zumindest einen gewissen Anteil Covers spielen, sofern man noch nicht den Status erreicht hatte, daß die Leute wegen der Eigenkompositionen kamen. Wishbone Ash werden die vier Südwestler auch gekannt haben, und das siebenminütige Epos „Deceive Me“ erinnert gleichermaßen an die Scorpions der Uli-Jon-Roth-Phase, wie es diverse Stilmittel des Achtziger-Epic Metal vorwegnimmt. Man höre mal genau auf den Übergang vom halbballadesken in den härteren Part – wie Survivor den gestalten, das könnte man in jedes Lehrbuch für Epic Metal übernehmen. Ein Songtitel wie „Kristallnacht“ läßt bei einer US-Band erstmal aufhorchen, und schon die Lyrics machen deutlich, daß der Vierer hier durchaus nicht an der Oberfläche bleibt, sondern sich tatsächlich genauer mit der europäischen Geschichte beschäftigt hat – und wenn Drummer Brian Martini dann einige heftige Fills spielt, bekommt man schon eine Ahnung, daß Survivor hier eine Art Programmusik inszenieren, was im theatralischen Finale seine Bestätigung findet, auch wenn hier in puncto Expressivität noch mehr gegangen wäre und man insgeheim auch den Wunsch äußert, das coole rotierende Riff vorm Schlußakkord, das quasi Monster Magnet vorwegnimmt, wäre noch weiter ausgebaut worden. „Black Sea“ entpuppt sich dann allerdings nicht als weitere Geschichtsstunde, sondern als Fantasy-Text über verfluchte Piraten – hier greift neben Leadsänger Brian auch Gitarrist Paul zum Mikrofon, und wir hören in diesem schleppenden Mini-Epos ein Duett. Große Sänger sind freilich beide nicht, was Clark auch selbstkritisch in den Liner Notes anmerkt – er macht seine Sache nicht schlecht, reißt aber keine Bäume aus. Immerhin hat er eine interessante Stimmfarbe, mit der er seinen mittelhohen bis hohen Gesang auch wieder in jeder Epic-Metal-Band untergekriegt hätte und deren nächste Verwandte John Blackwing (Thunder Rider) und der Kollege von Philadelphia sind, also Leute, die klar im Metal arbeiteten. Der Kollege von Philadelphia hieß allerdings ... Brian Clark, stellt man beim genaueren Nachdenken oder Nachschlagen fest. Und tatsächlich: Philadelphia waren so etwas wie die Nachfolgeband von Survivor, die beiden Brians, die zwischenzeitlich unabhängig voneinander zum christlichen Glauben gefunden hatten, arbeiteten dort allerdings mit zwei neuen Gitarristen zusammen und positionierten die neue Combo klar in der christlichen Abteilung der metallischen Szene.
Umgekehrt merkt man Survivor an, daß sie wissen, daß der klassische Hardrock dem Blues entsprungen ist. Der erwähnte Bonustrack „Delicate Adversary“ ist ein schönes Beispiel dafür, liegt über dem kernigen Grundriff doch eine leicht angeblueste Leadgitarrenarbeit. Auch die Auswahl der Coverversion der Scheibe spricht diesbezüglich Bände. Anhand der bisherigen Schilderung würde man eine der fürs Liveprogramm genannten Bands vermuten, nicht aber eine Nummer vom 1969 erschienenen selbstbetitelten Mott-The-Hoople-Debüt. Andererseits eignet sich „Rock’n’Roll Queen“ natürlich bestens, die Gitarristen zum Schluß nochmal richtig von der Leine zu lassen, und die nutzen die Gelegenheit selbstredend auch, so daß mit 7:16 Minuten hier das längste Stück der reichlichen Dreiviertelstunde Musik entsteht. Auch hier spielen alle aber stets songdienlich und überspannen den Bogen nicht. Gleiches gilt für den angeproggten Fünfeinhalbminüter „Back To The Homeland“, der irgendwie an eine hardrockige Version von Rush erinnert und zwischendurch ein paar sphärische Keyboards einschmuggelt, was im konservierten Schaffen von Survivor singulär bleiben sollte.
So macht All Your Pretty Moves für den Freund einer Sorte klassischen Hardrocks, der eigentümlicherweise sowohl vor- wie rückwärtsgewandt agiert, richtig viel Hörspaß, und daß hier keine Hochglanzproduktion vorliegt, stört zu keiner Sekunde – für eine Eigenproduktion aus den Siebzigern ist der Sound sogar ziemlich gut ausgefallen. Hochglanz-AOR im Stil der beiden genannten Hits der anderen Survivor darf man natürlich nicht erwarten, aber außerhalb derjenigen musizierten Peterik & Co. ja gern auch etwas kerniger, und im Grundsatz liegen die beiden Formationen gar nicht so weit auseinander, so daß derjenige, der die eine schätzt, durchaus auch die andere mögen könnte, weswegen also auch Freunde der Peterik-Combo aufgerufen seien, All Your Pretty Moves mal ein Ohr zu leihen. Und wer Philadelphia kennt und auf der Suche ist, was die Musiker vorher so getan haben, der darf hier auch zugreifen, zumal der latente Blueseinfluß auch auf deren Debüt Tell The Truth noch deutlich durchhörbar ist. Der Zweitling Search And Destroy fiel dann deutlich härter aus und erreichte bzw. übertraf die Kernigkeit von Priests Defenders Of The Faith - und da Survivor schon in den Siebzigern Material von Halford & Co. coverten, schließt sich so irgendwie der Kreis.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | The New Order | 4:11 |
2 | So Blind | 5:05 |
3 | Breakout | 4:17 |
4 | Deceive Me | 7:10 |
5 | Kristallnacht | 5:20 |
6 | Black Sea | 4:07 |
7 | Delicate Adversary | 4:06 |
8 | Back To The Homeland | 5:35 |
9 | Rock’n’Roll Queen | 7:16 |
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Besetzung |
Brian Clark (Voc, B)
Paul Restovich (Git, Voc)
Pat O’Hara (Git)
Brian Martini (Dr)
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