Bach, J. S. (Ausonia)

Musikalisches Opfer


Info
Musikrichtung: Barock / Kammermusik

VÖ: 3.11.2023

(Hitasura Productions / Note 1 / CD / DDD / HSP 010)

Gesamtspielzeit: 54:05



KÖNIGICHE DORNENKRONE

Schwer vorstellbar, dass der Widmungsträger Friedrich II. in dieser Gabe des Leipziger Thomaskantors mehr als ein Kuriosum schwerbarocker Extravaganz gesehen hat: Das „Musikalische Opfer“, dass J. S. Bach ihm 1747 nach einem historisch gewordenen Besuch in Potsdam in Form chromatischer Rätselkanons, zweier altertümlicher Fugen (Ricercare) und einer Triosonate übersandt hat, dürfte den doch eher hedonistischen Musikgeschmack des Preußenkönigs nicht getroffen haben.
Zumal, wie der Cembalist Frédérick Haas zu dieser Einspielung des Ensembles „Ausonia“ ausführt, die Flötenpartie in der lediglich vorgeblich „galanten“ Triosonate überaus schwierig zu spielen ist und den Ausführenden zu allerlei Verrenkungen und Grimassen zwingt – eine Demütigung für den potentiellen königlichen Solisten! Oder vielleicht doch eine Anerkennung von dessen Virtuosität, verbunden mit dem Ansporn, königlich über sich hinauszuwachsen?

Die Einspielung von „Ausonia“ betont vor allem in den Kanons und den beiden Ricercaren die abstrakt-konstruktivistische Seite dieses Spätwerks und gestattet weder sich noch dem Hörer Lizenzen von dessen Esoterik. Kristallin und klar, dabei organisch gewinnen die sperrigen Ricercare und sonstigen cembalistischen Anteile eine ebenso instruktive wie edel timbrierte Klanggestalt. Prägnanz und Klangkultur übertragen sich auf die übrigen Mitwirkenden, die den Zyklus konzentriert und geschlossen darbieten.

Zum Schlüsselmoment gerät freilich die Sonate, die hier zum Passionsstück sondergleichen wird. Vor allem in den langsamen Sätzen winden sich die komponierten Schmerzensgesten in- und umeinander, dass man darin kaum anderes als eine königliche Dornenkrone erkennen mag. Wenn man die harmonischen Reibungen und barocken Seufzerfiguren so hört wie hier, befindet man sich mitten in Bachs Karfreitags-Oratorien.
Was es hier freilich eher selten gibt, sind heitere, gelöste Momente, vielleicht sogar eine gewisse Rokoko-Verspieltheit, die andere Interpreten zumindest da und dort in Meister Bachs kontrapunktischen Rankenwerken zu entdecken vermögen. Frappant ist dann jedoch der aufgelichtete Eindruck, den die der Sonate und dem sechsstimmigen Ricercar nachgestellten letzten Kanons hinterlassen. Und dem finalen tänzerischen „Canon perpetuus“ schließlich möchte immer und immer weiter lauschen … Ein Moment der Erlösung?

Wie auch immer: Im Ganzen eine Einspielung, die sich für meditative Hörexerzitien sehr empfiehlt!



Georg Henkel



Besetzung

Ensemble Ausonina: Mira Goldeanu (Violine), Anne Parisot (Traversflöte), Emmanuelle Dauvin (Violine), James Munro (Violone & Gambe), Frédérick Haas (Cembalo)


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