OM
50
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Ja, an die Band OM kann ich mich noch gut erinnern, als sie Mitte der Siebziger Platten veröffentlichte auf Indian Records ("Montreux Live & More") sowie anschließend auf JAPO Records, dem Schwesterlabel von ECM Records, dort mit vier Veröffentlichungen. Leider kam es nie zu Wiederveröffentlichungen dieser Platten bzw. zu Veröffentlichungen auf CD. Erst bis 2006 musste man warten, als ECM Records unter dem Titel "A Retrospective" 10 Stücke aus den Jahren 1976-1980 auf dieser Kompilation vorstellte. Mit sechs Songs war dabei die letzte Platte "Cerberus" überdurchschnittlich vertreten, die übrigen 3 Platten mussten sich die übrigen vier Stücke teilen, d.E. zu wenig für diese vorzüglichen Veröffentlichungen.
Nun, seit 2010 ist die Band wieder aktiv auf Impakt Records, und mit 50 legt man auf diesem Label die dritte Veröffentlichung in Originalbesetzung vor. Leider ist das dann auch die letzte, weil Gründungsmitglied Fredy Studer, der Schlagzeuger, erst am 22.August dieses Jahres verstarb. Insofern ein Jubiläumsalbum anläßlich der Gründung der Band und gleichzeitig ein Abschiedsalbum für Studer, in Gedenken an ihn.
Von Beginn an arbeiteten die vier Individualisten als Kollektiv und brachten ihre jeweiligen Vorstellungen in ihre Musik ein, was dazu führte, dass diese sehr abwechslungsreich war. Die Vier hatten auch bereits in Rockbands gespielt und somit war eine wichtige Zutat vorhanden, die den Sound entscheidend mitprägte. So konnte man OM so gar nicht unter Jazz einsortieren, denn die Musik, die so entstand, war sehr individuell, und bediente sich verschiedener Einflüsse, die sich zusammen im Rahmen einer Kollektiv-Leistung von dem abgrenzte, was sowohl im Rock als auch im Jazz gängig war in jenen Tagen. Insofern war das damals auch keine typische "ECM-Musik", was möglicherweise auch dazu führte, dass man auf JAPO veröffentlichte.
Und so geht es mir wiederum auf 50, dass diese Mixtur einen ganz besonderen Reiz auslöst. Kein Song der sieben gleicht tatsächlich dem anderen. Da stehen Jimi Hendrix und Free Jazz nebeneinander, und wenn der erste Titel, "P-M-F/B", über fast elf Minuten seine hypnotische Wirkung verbreitet, dann erinnern mich diese ständig gleichen dumpfen Trommeln an Stammeshymnen der amerikanischen Ureinwohner, die splitternde Gitarre mit technischen Gimmicks zeigt leichte Spuren eines Sonny Sharrock, und eigentlich klingt das auch ein wenig nach Krautrock, nach Amon Düül beispielsweise.
"Fast Line" startet völlig frei und wild, fliegend, mit quietschendem Saxofon von Leimgruber, das atmet den Free Jazz der Sechziger, löst sich dann aber auch auf zu einem sich dahinschleppendem Klangteppich, angeführt vom Bass, darüber gestalten die anderen Drei einen Mix aus teils pfeifenden Saxofonklängen, elektronischen Klangzutaten der Gitarre von Doran und rhythmischer Gestaltung durch Studer, bis sich der Song dann ganz auflöst und einen Weg gefunden hat, den er für die letzten drei Minuten unbeirrt beschreitet. Doran klingt teils wie ein früher John McLaughlin, eingebettet in reichlich elektronischem Umfeld. Das war von Beginn an ein Markenzeichen von OM, und das, was sie mit 50 umsetzen, lässt sie so frei wie nie erscheinen.
OM, dieser Band wohnt ein wahrer Kultfaktor inne, mittlerweile hat man sich hinsichtlich der Bezeichnung ihres Stils wohl auf einen Begriff geeinigt - "ElectroAcousti-Core“! Ja, sowohl akustische als auch elektronische Elemente vereinen sich zu einem farbenprächtigem Spiel, mit dem ständig Unerwarteten und Unberechenbaren, etwas, das Spontaneität und ständige Veränderung beinhaltet, dabei aber auch sehr unnahbar bleiben wird für Viele, denen gewisse klar umrissene Strukturen fehlen könnten. So kann man sich rasch verlieren in dieser Klangwelt, stets etwas Neues entdeckend, aus der Innovation der vier Musiker entspringend.
Aufgenommen wurden die Songs zwischen dem 1. und 5. März 2022, also - ob durch den russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eine Inspiration für den fünften Song des Albums vorlag? ("Im Unterholz bei Kiew"). Nun, man scheint sogar Einschläge von Bomben wahrzunehmen... Der letzte Song ist eine Widmung an den im Jahre 2008 verstorbenen Schweizer Jazz-Drummer Fabian Kuratli, einem der innovativsten Schlagzeuger der Szene. Auch hier kann dieser Gegensatz zwischen stoisch trommelndem Rhythmus und freiem Saxofonspiel fesseln, irritieren und letztlich mitreissen....
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 P-M-F/B (10:42)
2 Fast Line (9:37)
3 A Frog Jumps In (11:46)
4 Diamonds On White Fields (10:51)
5 Im Unterholz bei Kiew (10:04)
6 Behind The Eye (Dedicated To Fabian Kuratli) (7:28)
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Besetzung |
Urs Leimgruber (soprano saxophone)
Christy Doran (electric guitar, devices)
Bobby Burri (double bass, devices)
Fredy Studer (drums, percussion, gong, crotales, bowed metal)
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