Hundred Seventy Split heizen Sindelfingen ein
Hundred Seventy Split sind immer ein Garant für einen musikalisch hochwertigen Konzertabend. Das Trio um Bass-Legende Leo Lyons, Gitarrist und Sänger Joe Gooch und Schlagzeuger Damon Sawyer habe ich bis jetzt dreimal gesehen, das letzte Mal 2018 in Königsbronn bei Heidenheim. Der Kulturpavillon in Sindelfingen liegt in der Nähe der Innenstadt und bietet ca. 200 Zuschauern Platz. Geführt wird die Konzertstätte von einem Verein, bei dem man für 25 € Jahresbeitrag Mitglied werden kann. Die Mitglieder hinter dem Ausschank oder am Einlass sind Überzeugungstäter, die mit viel Herzblut den Club am Laufen halten. So etwas muss man unterstützen! Weitere Infos zu künftigen Veranstaltungen gibt es unter: https://www.igkultur.de/ Der Termin in Sindelfingen ist der letzte in Deutschland für dieses Jahr. Insgesamt sind etwa 150 Fans vor Ort. Wir postieren uns direkt vor der Bühne, genauer gesagt vor der Bass-Box von Leo Lyons. Mit etwas Verspätung kommt das Trio auf die kleine Bühne und beginnt mit „No Deal“, einem Stück vom Debütalbum. Der Sound ist hervorragend, klar ausdifferenziert und von der Lautstärke genau richtig. Die Bühne ist vielleicht 50 cm hoch, man befindet sich hier durchaus auf „Augenhöhe“ mit den Musikern. Hier kommt wahre Live-Atmosphäre auf! Wenn ich mir vorstelle, ich müsste stattdessen zu der neuen Arena nach München mit 150.000 Zuschauern, bei der man die Künstler nur auf der Leinwand sieht – so ein Quatsch würde mir mittlerweile nicht mehr in den Sinn kommen! „Dance On Your Tombstone“ ist die erste Bluesrock-Hymne, bei der Joe Gooch eine recht bedrohliche Gitarre spielt und bereits beim zweiten Song im Gitarren-Nirwana abgedriftet zu sein scheint. Doch auch wenn das Solo noch so lang ist, findet er immer die richtige Ausfahrt, um es nicht zu sehr in die Länge zu ziehen. Gooch ist mit vollem Einsatz bei der Sache und spielt und singt, wie wenn es sein letzter Auftritt wäre. Ständig präsent und immer im Austausch mit seinen Mitmusikern sorgt er für ein hohes Level an Energie auf der Bühne. Lyons bekommt das Grinsen dabei nicht aus seinem Gesicht. Er spielt wie immer sehr beherzt, mit viel Gefühl und es macht Spaß, ihm dabei zu zusehen. Die Bühne ist sein Platz und der Bass sein Instrument, das er auf seine ganz eigene Weise spielt. Damon Sawyer sorgt für einen grundsoliden Rhythmus und ist der Dreh- und Angelpunkt der beiden. Mit „Easy To Slide“ wird ein neuer Song präsentiert, der auf dem kommenden Album zu hören sein wird. Das Stück reiht sich nahtlos in die bekannten Stücke ein und klingt hervorragend. „Poison“ kündigt Lyons als „Stück mit Open-G-Tuning – für die Guitar Freaks im Publikum“ an und lächelt dabei verschmitzt in seinen Schnauzbart. Auch hier offenbart sich perfektes Zusammenspiel. Mit traumwandlerischer Sicherheit wird die neblig-mystische Stimmung dieses Stückes in Szene gesetzt. Das schmissige „Tennessee Plates“, das im Original von John Hiatt stammt, sorgt mit seinem witzigen Text und der rockigen Stimmung für Bewegung im Publikum. Es wird getanzt, mitgesungen und die Band hat sichtlich ihren Spaß. „Working On The Road“ von Ten Years After beendet den fulminanten ersten Teil des Abends. Die zweite Hälfte steht ganz im Zeichen der Woodstock-Legende Ten Years After. „Love Like A Man“ startet den musikalischen Reigen. Hier liefern sich Gooch und Lyons ein Gitarre-Bass-Duell, bei dem einem Hören und Sehen vergeht. „50.000 Miles Beneath My Brain“ sorgt für den musikalischen Brückenschlag in die psychedelische Hippiezeit. Gooch spielt sich förmlich in einen Rausch, seine Spielfreude überträgt sich auf Sawyer und Lyons, die sich gerne mitreißen lassen. Lyons weist bei „I’d Love To Change The World“ auf einen Film namens „Amsterdam“ hin, der in Kürze in die Kinos kommt. Bei dem Trailer wird dieses Stück häufig im Hintergrund gespielt. Ich finde den Song zeitlos, absolut grandios und mit seiner Aussage „Stop The War“ erschreckenderweise aktueller denn je. „Good Morning Little Schoolgirl“ wird von den Dreien mit spitzbübischem Augenzwinkern vorgetragen. Der alte Blues-Klassiker ist textlich politisch zu 100 % nicht korrekt und stellt damit musikalische Arschbomben wie die 2022er Bierzelthymne „Layla“ locker in den Schatten. Trotzdem würde auch hier niemand auf die Idee kommen, das Stück deswegen nicht zu spielen. „I Can’t Keep You From Crying Sometimes“ nimmt ein wenig den Fuß vom Gaspedal. Die Woodstock-Hymne „I’m Going Home“, bei dem wieder Bewegung ins Publikum kommt, beendet dann gefühlt viel zu früh den regulären Teil des Abends. Doch ohne Zugabe geht es auch heute nicht. „The Smoke“ bietet feinsten Rock’n’Roll fürs Tanzbein. Die Band wird vom Publikum verdientermaßen gefeiert und verlässt unter großem Jubel die Bühne. Eine Randnotiz muss leider erwähnt werden: Einzelne Fans schießen hunderte von Fotos oder noch schlimmer – sie filmen komplette Stücke mit. Hier zeigt sich, dass nicht nur Jugendliche ein Problem mit digitalen Medien haben, sondern leider auch die ältere Generation. Leute: Genießt das Hier und Jetzt, feiert die Musik und lasst die Musiker einfach spielen! Wer braucht schon eure verwackelten Fotos oder eure viertklassigen Filmchen? Es tut mir leid, euch das sagen zu müssen aber: niemand interessiert sich dafür. Nach etwa 15 Minuten kommen alle drei Musiker zum Merchandise-Stand. Fotos werden gemacht, man unterhält sich – Lyons und seine Kollegen haben keinerlei Berührungsängste und zeigen sich dabei sehr sympathisch. T-Shirts und CDs werden von der Band zu fairen Preisen angeboten, etliche Artikel sind bereits ausverkauft. Wir unterhalten uns noch mit Lyons, der sich sehr darüber freut, dass wir während des Auftritts getanzt und gefeiert haben. Trotz seiner 79 Jahre wirkt er jung geblieben und äußerst agil. Im nächsten Jahr will er mit Hundred Seventy Split vermehrt auf großen Open-Airs spielen. Club-Konzerte wie in Sindelfingen soll es künftig keine mehr geben, was ich sehr schade finde. Der Abend war ein Erlebnis, an das ich noch lange gerne zurückdenken werde. Ich hoffe sehr, dass es künftig noch viele Auftritte der Band gibt! Setlist: No Deal Dance On Your Tombstone Going Home Easy To Slide Poison Tennessee Plates Working On The Road --- Love Like A Man 50.000 Miles Beneath My Brain I’d Love To Change The World Good Morning Little Schoolgirl I Can’t Keep You From Crying Sometimes I’m Going Home The Smoke Stefan Graßl |
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