Pintscher, M. (Pintscher, M.)

Nemeton u. a. Werke für Ensemble


Info
Musikrichtung: Neue Musik

VÖ: 05.11.2021

(Alpha / Note 1 / 2 CD DDD / 2014-2020 / Best. Nr. Alpha 769)

Gesamtspielzeit: 150:00



SUBATOMARE KLANGWELTEN

Den deutschen Komponisten und Dirigenten Matthias Pintscher verbindet mit dem von Pierre Boulez gegründeten Ensembles Intercontemporain eine intensive Zusammenarbeit. Nun ist beim Label Alpha das vierte gemeinsame Album erschienen, eine Doppel-CD, die ausschließlich Kompositionen Pintschers zu Gehör bringt.
Sicherlich ist die hohe Qualität der Aufführungen der vertrauten Arbeitsbeziehung und den optimalen Produktionsbedingungen geschuldet. In der Personalunion als Komponist und Ensembleleiter kann Pintscher den Musiker:innen seine Klangvorstellungen direkt vermitteln. Dies ist bei Musik, die derart diffizil, in feinsten Brechungen und Übergängen das Kontinuum zwischen Klang, Geräusch und Ton auslotet, gewiss ein unschätzbarer Vorzug.

Pintscher beherrscht die Möglichkeiten der neuen Musik mit ihren zahllosen Gestaltbildungs- und Organisationsformen, ihrer reichen Palette an elektronischen und akustischen Transformationskünsten ausgezeichnet und nimmt diese in Dienst für seine immer auch poetischen Setzungen.

Titel wie „Nemeton“, „Nur“ oder „Sonic Eclipse“ spielen auf archaische Kulturen oder kosmische Phänomene an. Zwar gibt es immer wieder auch „traditionell“ anmutende Motive, wenn so will: thematisches Material. Doch wenn der Komponist aus dieser "Makroebene" in die "Mikroebene" wechselt und sein Material durch subtile Orchestrierungen, spieltechnische Manipulationen und dynamische Schattierungen bis auf die Elementarteilchenebene hinab aushört, ist man sozusagen erst im eigentlichen musikalischen Abenteuer angekommen.
Dann entstehen quantenakustische Mehrdeutigkeiten zwischen Ton, Klang und Geräusch, Fluktuationen und wechselnde Aggregatzustände – protomusikalisch-plasmatisch. Die Resultat wirkt mal flüssig, dann wieder kristallin, porös, massiv oder nebelartig. Im Verlauf eines Stückes können sich Verwerfungen und energetische Knoten bilden. Dann wieder kommt es zu heftigen Kontraktionen oder perkussiven Eruptionen.

Bei allen Unterschieden im Detail bestimmt dieser Eindruck vor allem die Stücke, bei denen ein oder mehrere Hauptinstrumente mit einem Ensemble kombiniert werden (Mar’eh, Verzeichnete Spur, Sonic Eclipse); auch das virtuose Flötensolo „Beyond“ fügt sich da ein. Es ließe sich einwenden, dass sich bei aller hochentwickelten Differenzierungskunst die akustische Oberfläche dieser Stücke häufig ähnelt, sie klingen zwar immer interessant, aber man verliert sich als Hörer auch leicht in den faszinierenden subatomaren Klangwelten. Relativität bedeutet eben auch eine relative Unschärfe, alles wird zum Übergang. Distinktere Formen entwickeln dagegen das Percussion-Stück „Nemeton“ und der Zyklus „Lieder und Schneebilder“ auf Texte von E. E. Cummings.

Insgesamt ein eindrucksvoller Werk-Querschnitt, um das Ensemble- und Kammermusik-Schaffen des vielfach ausgezeichneten Komponisten kennenzulernen.



Georg Henkel



Trackliste
Nemeton für Percussion
Mar'eh für Violine & Ensemble
Verzeichnete Spur für Kontrabass, 3 Celli, Instrumente & Live-Elektronik
Nur für Klavier & Ensemble
Beyond für Flöte
Lieder & Schneebilder für Sopran & Klavier
Sonic Eclipse, für Horn, Trompet bzw. Horn & Trompete sowie Ensemble
Besetzung

Victor Hanna (Percussion), Diego Tosi (Violine), Nicolas Crosse (Kontrabass), Dimitri Vassilakis (Klavier), Sophie Cherrier (Flöte), Yerre Suh (Sopran), Clement Saunier (Trompete), Jean-Christophe Vervoitte (Horn)

Ensemble Intercontemporain

Matthias Pintscher, Leitung



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