Mozart, W. A. (Jacobs)
La finta giardiniera
MOZART 2.0
Höchst erstaunlich, wo die sog. Originalklangbewegung inzwischen angekommen ist: René Jacobs nimmt sich die Freiheit heraus, die bis heute leider viel zu wenig beachtete Mozartoper „La finta giardiniera“ nicht in ihrer Originalfassung von 1775 zu präsentieren, sondern in einer `verbesserten` Version, die erst 1796 und somit nach Mozarts Tod von einem unbekannten Musiker in Prag konzipiert wurde. Worin aber bestanden nun diese Verbesserungen? Nun, sie sind direkt beim ersten Höreindruck wahrnehmbar. In erster Linie wurde das Werk an den aktuellen Zeitgeschmack Ende des 18. Jahrhunderts angepasst, der nach einem deutlich verdichteten und reichhaltigerem Orchestersatz verlangte. Jener namenlos gebliebene Musiker orientierte sich dabei so konsequent an der Tonsprache und Klangfarbenwahl, die Mozart in seinen späteren Opern anwandte, dass man eine zeitlang laubte, Mozart habe die „Finta“ tatsächlich später noch einmal selbst überarbeitet. Der verstärkte Einsatz der Bläser, die eigenständige und prominente Rolle, die Mozarts-Lieblingsneuling im Orchester, der Klarinette zugewiesen wurden, legten eine solche Annahme ebenso nahe, wie die geschickte Einbindung weiterer, in der Urfassung nicht zum Zuge kommender Instrumente: Fagotte, Flöten, Trompeten und Pauken vervollständigen das Orchester in dieser Version, was für deutlich mehr Farbigkeit sorgt. Es gibt kaum noch Momente, in denen die Instrumente schweigen und den Sängern allein die Bühne überlassen. Alles wird untermalt, kommentiert, aufgegriffen und fortgeführt. Das ist derart qualitätvoll gelungen, dass es mehr als berechtigt ist, auch dieser Fassung wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und mit ihr den kompositorischen Wert von Mozarts Frühwerk sogar eher zu unterstreichen als herabzusetzen. Jacobs hat dabei übrigens nur die geänderte Instrumentierung übernommen, nicht aber die in jener Version ebenfalls enthaltenen Streichungen, die z.T. ganze Arien, z.T. Abschnitte einzelner Stücke umfassten. So gibt es hier also die ganze Finta in neuem Gewand. Bei genauem Hören allerdings ist durchaus auch klar, dass nicht jede instrumentale Linienführung mozart´schem Geiste entspringt: So sind etwa die Einwürfe in der Arie des Belfiore „Da scirocco a tramontana“ dann doch von allzu deutlich revolutionärer Kühnheit: Hier begnügen sich die Bläser nicht mit Grundierungen, Verzierungen oder subtilen Andeutungen, sondern nehmen eine Stellung als explizite Kommentatoren ein – der Graf beschwört den Stammbaum seines Adels und die Instrumente keckern frech dazwischen, lassen ihn (noch mehr als die Arie es ohnehin tut) als kompletten Hanswurst erscheinen. Das mag recht plakativ erschienen, macht aber ungeachtet dessen einfach großen Spaß beim Zuhören. Zudem heben diese Effekte so manche Länge auf, die das in seiner dramaturgischen, sehr arienlastigen Anlage nicht unproblematische Werk nun einmal aufweist.
Wie überhaupt diese Einspielung ein großer Opernspaß ist: Das Freiburger Barockorchester lässt die neuen, zusätzlichen Farben dieser Partiturfassung kraftvoll leuchten. Es agiert so klangschön wie lebendig. Der Sängerriege hat René Jacobs verstärkten Spielwitz ans Herz gelegt, so dass engagiert gelacht, gelitten und geflucht wird. Da steckt wesentlich mehr Comedia dell´arte drin als bürgerlicher Opernbetrieb, was den Rezitativen und Arien gleichermaßen guttut und den Staub von der früher gerne brav verpackt inszenierten „Gärterin aus Liebe“ pustet. Sophie Karthäuser ist dabei eine Sandrina, die sowohl glockenhell die mädchenhafte Gärtnerin, als auch mit glutvoller Leidenschaft die in dieser Verkleidung daherkommende Gräfin Violante zu verkörpern versteht. Mit neuem Namen aber alten Qualitäten wartet Alex Penda (eigentlich: Alexandrina Pendatchanska) auf, die der Arminda dramatisches Feuer und ein die Männer einschüchterndes Maß an weiblicher Kraft verleiht. Eher keck, aber in ihrer Frechheit und stimmlichen Zuspitzung nicht weniger imposant ist Sunhae Im in der Dienerinnenrolle der Serpetta, einer Vorläuferin von Blondchen und Despina. Jeremy Ovenden gibt den hochnäsigen Grafen mit jugendlicher Stimme, die in der Höhe bisweilen eine raue Beimischung erhält. Der Podestà von Nicolas Rivenq ist alles andere als ein lästerlicher alter Herr, sondern eine durchaus kämpferisch auftrumpfende, vielleicht sogar etwas zu jugendlich geratene Figur.
Ein Mozart 2.0, den man nicht verpassen sollte!
Sven Kerkhoff
Trackliste |
La finta giardiniera
Námešt-Version (Prag 1796)
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Besetzung |
Sophie Karthäuser, Sopran: Sandrina (Violante)
Jeremy Ovenden, Tenor: Graf Belfiore
Alex Penda, Sopran: Arminda
Marie-Claude Chappuis, Mezzopsopran: Ramiro
Nicolas Rivenq, Bariton: Podestà
Sunhae Im, Sopran: Serpetta
Michael Nagy, Bass: Roberto (Nardo)
Freiburger Barockorchester
René Jacobs: Ltg.
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