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Vor Kurven wird gewarnt – 30 kurvenreiche Songs


Info
Musikrichtung: Schlager/ Incredible Strange Music

VÖ: 30.11.2013

(Bear Family Records/ Delta Music)

Gesamtspielzeit: 78:48

Internet:

http://www.bear-family.de


„Vor Kurven wird gewarnt“, aber warum bloß? Nun ja, im vorzüglichen, 60(!)-seitigen Booklet dieser Erotik-Schlager-Sammlung der 1950er und 1960er Jahre ist die Rede von wissenschaftlichen Untersuchungen über das Herrenmagazin „Playboy“, die zeigen, dass die Nackedeis in der Heftmitte von damals bis heute konstant immer androgyner aussehen. Vorsicht also, wer vollbusige Wuchtbrummen als Sängerinnen gar nicht mehr gewohnt ist, braucht vielleicht seelischen Beistand bei der Betrachtung des Booklets. Immerhin beschäftigten manche dieser Schlager sogar die Gerichte, wie z. B. Laya Rakis „Oh Johnny hier nicht parken“. Die Schauspielerin konnte zwar nicht singen, dafür aber wollüstig stöhnen und quieken, was einem Nürnberger Gerichtsrat denn doch zu viel war. Sie musste aus dem Verkauf genommen werden. Das Play-Girl von 1961 wusste sich aber auch sonst ganz gut mit „Busenunfällen“ und öffentlich geplatzten Kleidern in Zeitungen ins Gespräch zu bringen. Sind solche Storys (und Fotos!) sowie die Biografien der Sängerinnen allein schon den Kauf der CD wert, ist die Musik natürlich erst recht der Hit.
Barbara Valentin singt davon, dass ihr in der Nähe von Teddybären immer heiß und kalt wird. Früh schon (1966) feilte sie offenbar an ihrem Sexsymbol-Image. Es müssen damals paradiesische Zustände für Männer gewesen sein, denn folgt man Dany Manns „So ein Mann“, dann wollte eine Frau nichts anderes, als den Mann zu verwöhnen, selbst wenn dieser sogar etwas Zurückhaltung zeigt. So ein Mann muss nur gut küssen, dann wird er auch betütert und bekocht. Also, wo ist die nächste Zeitmaschine? Natürlich darf man dabei nicht vergessen, dass derartige Texte von Männern geschrieben wurden. Auch Kai Fischer wird „Willenlos“ aufgrund von Männerblicken. Aber Vorsicht! Es gab nicht nur willenlose, sondern auch emanzipierte Frauen wie Mona Baptiste, die sang „Wer mich küsst, der ist gefangen“. Und dann erst Ingrid van Bergen. Sie repräsentierte eher die Zigaretten rauchende Femme fatale, bei der sich Männer auch die Finger verbrennen konnten. Derartige Damen akzeptierten wohl auch nur Rasierwasser der teureren Art. In manchen ihrer Lieder ist sie eher der Typ herbe Dame mit rauchiger Stimme unter einsamer Laterne und sehnsüchtigem Blick aufs Meer. Und Bibi Johns & Angèle Durand treffen einen falschen Filmproduzenten mit großen Versprechungen, sind aber doch nicht so naiv, wie man glauben könnte. Da fragt man sich doch, ob heute schon mal jemand ein Lied über falsche Versprechungen in Casting Shows geschrieben hat.
Die hier vertretenen Damen liefern gleich mehrere Titel ab. Offenbar waren sie auf das Genre des leicht erotischen Schlagers abonniert. Unschlagbar bleibt dabei allerdings Dekollete-Wunder Jayne Mansfield. Sie fragte sogar auf Deutsch: „Wo ist därr Mann, fuur dähn ich schwärrmen kann?“. Und ihr „Snicksnack-Snuckelchen“ ist der Brüller dieser Kompilation. Ohne Mansfield hätte es eine Daniela Katzenberger wohl nicht gegeben.
Unter die Wäsche ging es in diesen Schlagern damals nicht. Am gewagtesten war da noch die Andeutung des Fremdgehens bei Barbara Valentins „Fremde Männer küsst man nicht“, was aber vom Portmonee des entsprechenden Herrn abhing. Und Ingrid van Bergens „Schulbank Lolita“, die absichtlich keinen BH trug, war wohl am gefährlichsten. Dass dieser offen sexistische Text von einer Frau gesungen wird, mag verwundern. Und heißt hier jemand Walter? Hier ist Vorsicht anzuraten. Solche Männer können laut Ingrid van Bergen zu sexueller Abhängigkeit führen, da sie „99 Liebesspiele“ kennen. Im wahren Leben wurde van Bergen von einem erheblich jüngeren „Walter“ 1977 einmal arg enttäuscht und gab ihm dafür die Kugel.
So nebenbei erfahren wir auch bei Olive Moorefield, dass man am Tanganjikasee Mambo tanzt. Dies ist auch ein Phänomen dieser Zeit. Wenn es zum Reimen gepasst hat, mixte man Musikstile und ethnische Kulturen wild durcheinander. Da kamen der Samba in anderen Hits aus dem Kamerun und der Calypso aus Mexiko. Wahrscheinlich fiel das damals aber niemandem auf. Insgesamt war diese Art Schlager stark von Swing, Bar Jazz oder Cool Jazz beeinflusst, was dem damaligen Image des Jazz entsprach. Etliche der Sängerinnen kamen auch aus dem Jazz und mit ausländischem Akzent singende Damen hatten Hochkonjunktur. Z. B. Mona Baptiste kam ursprünglich sogar aus Trinidad. Das Booklet macht aber auch die Vergänglichkeit solcher Sexbomben klar. Viele der Sängerinnen sind schon verstorben oder längst Ur-Omi. Ein Verdienst der Kompilation ist neben viel Spaß jedenfalls, gutes Archivmaterial für die Stichworte Rotlichtmilieu oder Erotik zu liefern. Und Männer könnten beim Abhören willenlos werden und mit Dany Mann sagen: „Ich fühl mich so…hm…hm“.



Hans-Jürgen Lenhart



Trackliste
1Alle Männer sind Teddybären VALENTIN, Barbara
2 Willenlos FISCHER, Kai
3 Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt VITA, Hellen
4 Bye, Bye Baby (aus: 'Blondinen bevorzugt') BIBI JOHNS & ANGELA DURAND
5 Litte Rock (aus: 'Blondinen bevorzugt') BIBI JOHNS & ANGELA DURAND
6 Wer mich küsst ist gefangen BAPISTE, Mona
7 Single Girl BERGER, Senta
8 Jeder träumt seine eigenen Träume BERGEN, Ingrid van
9 Ich bin so wahnsinnig sexy FISCHER, Kai
10 Faire L'Amour RAKI, Laya
11 Wo ist der Mann? MANSFIELD, Jayne
12 Hallo My Boy MANN, Dany
13 Dreh' dich nicht um, Monsieur VALENTIN, Barbara
14 So ein Mann MANN, Dany
15 Fremde Männer küsst man nicht VALENTIN, Barbara
16 Schulbank Lolita BERGEN, Ingrid van
17 99 Liebesspiele BERGEN, Ingrid van
18 Sei nicht so frech zu mir FISCHER, Kai
19 Oh Johnny hier nicht parken! RAKI, Laya
20 Ich fühl mich so...hm...hm MANN, Dany
21 Knips doch mal die Lampe an BERGEN, Ingrid van
22 Pack' den Löwen in den Schrank VALENTIN, Barbara
23 Dreimal darfst du raten, Jackie Boy FISCHER, Kai
24 Beim ersten Mal da tut's noch weh BERGEN, Ingrid van
25 Und das alles soll ich dir verzeihn BERGER, Senta
26 Snicksnack-Snuckelchen MANSFIELD, Jayne
27 Die Mädchen aus der Mambo Bar BAPTISTE, Mona
28 Boy komm und küss mich BAPTISTE, Mona
29 Tequila MOOREFIELD, Olive
30 Mbali-Boh MOOREFIELD, Olive

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