Flugmodus auf dem Tigerfell: Das Pulsar Trio beim Jazzklub Altenburg
Vor fast acht Jahren hat das Pulsar Trio schon mal beim Jazzklub Altenburg gespielt – der Rezensent war damals nicht dabei, so dass das Konzert an diesem milden Freitagabend seine erste akustische Begegnung mit der Formation darstellt. Die ist immerhin schon seit 2007 aktiv, in puncto Konzertzahl längst jenseits der 500 angekommen und hat Anfang 2023 ihr viertes Studioalbum namens We Smell In Stereo veröffentlicht. Auch dem Uneingeweihten macht das Setup auf der Bühne noch vor dem ersten Ton klar, dass hier etwas Außergewöhnliches zu erwarten sein dürfte. Das Schlagzeug auf der rechten Seite enthält neben regulärem akustischem Equipment auch eine elektronische Sektion (remember das Video zu „Wir sind die Roboter“ von Kraftwerk), und griffbereit stehen noch ein paar weitere perkussive Geräuscherzeuger. Das Klavier auf der linken Seite ist präpariert, mit Effektgeräten erweitert, und zudem findet sich links daneben auch noch ein kleiner Synthie, ein Bass Novation. In der Mitte aber liegt eine Sitar klassischer indischer Bauart, also mit einem Korpus aus einem Kürbis, bespannt mit 12 Resonanz- und 6 regulären Saiten – auch hier steht aber eine ganze Batterie von Effektgeräten bereit, gegebenenfalls auch andere Sounds aus diesem Instrument zu holen. Aber schon die Basisbesetzung ist hochgradig originell – zumindest dem Rezensenten fällt jedenfalls kein gleichartig besetztes Jazztrio ein, wenngleich er zugeben muß, kein Experte im Ethno Jazz zu sein (dass während des Schreibens dieses Reviews eine Scheibe der Ethno-Metaller The HU im Player liegt, ist reiner Zufall). Auch die Stilumschreibung stellt nicht mehr als ein Hilfskonstrukt dar, trifft aber zumindest halbwegs den Kern des Pudels: Jazz ist es mit seiner Vorliebe für schräge Taktarten und dem Wechsel aus auskomponierten und improvisierten Passagen irgendwie, und da die Sitar aus mitteleuropäischer Musikperspektive im Ethno-Bereich zu verorten ist (fange jetzt niemand eine Diskussion wegen Eurozentrismus an), paßt auch dieses Attribut. Aber das Trio setzt sich selbst erstmal keine Stilgrenzen, weder in den fixierten Songparts noch in den reichlich eingewobenen Improvisationen. Auffällig ist, dass etwa im Opener „Of Men & Mice“ die Sitar und eine Linie aus dem Klavier oft parallel geführt werden, ohne dass man Pianistin Beate Wein und Sitarspieler Matyas Wolter das aber etwa als Einfallslosigkeit anzukreiden geneigt wäre – im Gegenteil: Solche Passagen helfen dem Hörer, im nicht selten recht komplexen Geflecht der Songs Orientierung zu bekommen, und zur richtigen Zeit biegt dann der eine der beiden auch mal in eine andere Richtung ab, vom Fakt, dass Drummer Aaron Christ auch so manche originelle Figur unter das Geschehen legt, ganz abgesehen. Schon in diesem recht flotten Opener mit seinen geschickt angespielten Generalpausen wird auch noch ein anderer Trumpf des Abends deutlich, nämlich ein sehr klarer Sound – bei der Besetzung wittert man automatisch Gefahr, dass der Sitarspieler akustisch im Orkus verschwinden könnte, aber diese Klippe umschifft das Trio samt Soundmann Nick geschickt. An das oft minutenlange Nachschwingen der Resonanzsaiten, gern auch in die nächste Songpause bzw. Ansage hinein, muß man sich zunächst ein wenig gewöhnen, aber das Ohr stellt sich irgendwann darauf ein. Von der Setlist her verwundert es nicht, dass das neue Werk We Smell In Stereo das Gros des Sets stellt (in der Schlußabrechnung tauchen sieben seiner zehn Songs auch im dreizehn Songs umfassenden Konzert auf), aber die Potsdamer achten darauf, dass auch ihre alten Anhänger auf ihre Kosten kommen, und spielen daher auch von den drei Vorgängeralben jeweils mindestens einen Song, wobei gleich „Of Men & Mice“ eine der älteren Nummern darstellt und noch drei weitere solche auf dem Fuße folgen. „SRC“ ist dabei das Kürzel für Subroto Roy Chowdhury, bei dem Matyas vor 20 Jahren Sitar lernte und dem das Stück daher gewidmet ist. Dass es bei derartigen Darbietungen um musikalische Horizonterweiterungen geht und ideologische Anwandlungen in Richtung des Kampfbegriffs „kulturelle Aneignung“ fehl am Platze sind, sollte zwar hoffentlich jedem denkfähigen Menschen klar sein, aber die Praxis zeigt, dass dem nicht so ist – an diesem Abend ist zum Glück kein derartiger Ideologe anwesend, und so regt sich auch niemand über die kultigste Requisite des Abends auf: Der Sitarspieler sitzt nämlich auf einem Tigerfell. Die Verneigung vor dem Lehrer fällt jedenfalls ziemlich tief und emotional aus, wie schon das fast entrückte Sitar-Intro über einzelnen Klavierakkorden klarmacht, bevor das Stück schrittweise etwas voluminöser wird und fast in Bombast mündet. Ab „Seven 4 Sven“ kommen dann verstärkt die Effektgeräte zum Einsatz, zunächst etwa mit spacigen Klängen unter dem auffälligen Ritardando, woraus dann aber für Pulsar-Trio-Verhältnisse fast wüster Lärm entsteht, Beate wild headbangend am Klavier agiert (und dafür Szenenapplaus erntet) und ein fetter Schlußteil das Ganze abrundet. „Flugmodus“ wiederum stammt aus der Musik für ein Tanzprojekt und bringt erstmals das elektronische Drumkit zum Einsatz, das einen zügigen und doch nicht stupide durchgezogenen Grundbeat unter die abermals eher spacig agierenden beiden anderen Instrumente legt. Der Titeltrack des aktuellen Albums hingegen bringt themengemäß ein paar Unterwassereffekte ein – die Wesen, die in Stereo riechen können, sind Haie. Hier holt Beate gelegentlich mit der rechten Hand Baßläufe aus dem links von ihr stehenden Synthie, während die linke Hand weiter das rechts von ihr stehende Klavier bedient, was zirkusreif aussieht, zumal ein paar witzige Breaks hinzutreten, wenn der Hai offensichtlich Beute geortet hat. „Böig“ braucht natürlich auch ein paar Effekte, diesmal Wind, der sich nach einem düsteren, breaklastigen Intro (ein markanter Sitar-Tonsprung nach oben erinnert den Rezensenten an eine Passage aus der Einleitung von Tiamats „Whatever That Hurts“, aber das wird purer Zufall und nicht als Zitat gedacht gewesen sein) gelegentlich Bahn bricht, aber nicht zum wilden Orkan wird – das Gesamtbild bleibt in einem Bereich, den man für das Trio als „Normalprogramm“ bezeichnen könnte, wobei das Tiefbaßdröhnen aus dem Synthie trotzdem eine spezielle Note hinterläßt. Die Naturschilderungen enden in „Glaciers“, das von den wie überall auf der Welt rapide schmelzenden Gletschern Islands inspiriert ist und wo Beate gelegentlich auch ins Innere des Klaviers greift, um zusätzliche Effekte zu gewinnen, wobei das Stück irgendwann mal in Klanglandschaften mündet, als stünde man in einer überall tropfenden Eishöhle. Set 2 hebt mit „Bacheweich“ an, dem einzigen Exempel des Sets, in dem Überambitioniertheit zu konstatieren ist: Es handele sich um das verbale Pendant zu „Eberhard“, lautet die Ansage – dabei indes verkennend, dass es sich bei der Bache um das weibliche Wildschwein, beim Eber aber um das männliche Hausschwein handelt, so dass die Hausschwein-Variante eigentlich „Sauweich“ hätte heißen müssen. Diese kleine Inkonsistenz macht das Stück freilich nicht schlechter, das lange eher sphärisch fließt, ohne klaren Rhythmus auskommt, aber trotzdem viele effektvolle Schläge auf die große Trommel setzt und wohlweislich auf Naturlaute verzichtet. „Ganga Surf“ zeigt das Pulsar Trio dann von einer ganz anderen Seite: Ja, sie können auch einen simplen Viererbeat über mehrere Minuten stoisch durchspielen, wenn sie das wollen. Die Effektvielfalt beeindruckt abermals, und der Synthiebaß übt hier ganz besonders starke Wirkungen aus. Damit der Abend neben der musikalischen Horizonterweiterung für das Publikum auch noch einen pädagogischen Effekt bekommt, schiebt Matyas dann eine kurze Erkläreinheit für sein Instrument und dessen Eigenheiten ein. Der nächste Song wird der mit der Band befreundet gewesenen und mit nur 54 Jahren an Krebs verstorbenen Gitarristin Susan Weinert gewidmet, heißt einfach „Susan“, hebt mit einer langen und nachdenklichen Sitar-Improvisation an und entwickelt sich dann zu einer sehr emotionalen Ballade. Am Setende steht eine ungewöhnliche Konstruktion, nämlich „But Pelzig“, zunächst ein effektgeladener Koloß, in dessen Mittelteil die Sitar umfangreich in ein Perkussionsinstrument verwandelt wird und dessen Vor-Schluß-Teil auch als Soundtrack für einen Horrorfilm brauchbar wäre, als ausgedehnter Schlußteil dann aber noch einmal ein Stück im klassischen geradlinigen Viererbeat, bei dem auch bestimmte Motive ganz klassisch viermal gespielt werden und das in einem ebenso klassischen Exzelsior-Finale endet. So nahe kommt das Pulsar Trio einem Hit sonst nirgends. Großer Jubel des Publikums läßt eine Zugabe unumgänglich erscheinen – und wer geglaubt hat, das Ideenfüllhorn sei schon geleert, den belehrt „Schlendryan“ eines Besseren: Ein spukhaft-düsterer Rahmenteil in zwei verschiedenen Düsternisstufen wird hier nämlich mit einem Hauptteil im lockeren Dreiertakt gekoppelt, den es im Hauptset so auch noch nicht gab. So endet ein enorm starkes Konzert gleichermaßen gewohnt (man rechnet mittlerweile mit allem) als auch ungewohnt (konkret mit diesem Rhythmusmuster rechnet man ja nun doch nicht), und eine Wiedereinladung nach hoffentlich nicht erst acht Jahren dürfte wohl nur Formsache sein. Setlist: Of Men & Mice SRC Seven 4 Sven Flugmodus We Smell In Stereo Böig Glaciers -- Bacheweich Ganga Surf Susan But Pelzig -- Schlendryan Roland Ludwig |
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