Rachmaninoff, S. (Bestion)

Nocturne - Vesper, op. 37


Info
Musikrichtung: Geistliche Musik / Spätromantik

VÖ: 07.10.2022

(Alpha / Outhere / Note 1 / CD / 2021 / Artikelnr. ALPHA 892)

Gesamtspielzeit: 76:39

Internet:

La Tempête



ÜBERZEITLICH

Als eine Musik, die aus der Tiefe der Zeit zu kommen scheint, apostrophiert Ensembleleiter Simon-Pierre Bestion Sergei Rachmaninovs Gesänge der Ganznächtlichen Vigil (1915). Und in der Tat: Diese Musik hat etwas Überzeitliches, fast schon Zeitloses, obwohl oder gerade weil ihre Wurzeln so deutlich zutage liegen. Rachmaninov greift auf a-capella-Gesänge der orthodoxen Liturgie mit zweien ihrer unterschiedlichen Modi (Znamenny- und Kiew-Modus) zurück, überführt die Harmonik aber - ähnlich wie vor ihm schon Tschaikowsky - behutsam in die Jetzt-Zeit, betont mit Rhythmik wie Dynamik die großen Wellenbewegungen und verstärkt so noch die soghafte Klangwirkung, das Mysterienhafte dieser nächtlichen Musik von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang.

Vielleicht ist es gerade heute angebracht, sich dem Reichtum dieser Musik und ihren vielgestaltigen, die Grenzen von Ländern, Ethnien und Konfessionen überwindenden Ursprüngen zu widmen, wo jemand wie Kyrill als Karikatur eines Popen die Religion schamlos an die Macht verrät.

Um so entrückter erscheint diese Einspielung mit den Sängerinnen und Sängern von La Tempête. Bestion staffelt die Stimmen bis tief in den Raum hinein, den Nachhall des Aufnahmeortes (Temple du Saint-Esprit, Paris) geschickt nutzend. Dabei wird zwar mit durchaus mit mehr inbrünstig liturgischer Strenge vorgetragen als bei Vergleichseinspielung, was zusätzlich verstärkt wird durch die eingestreuten, im Orginal belassenen und damit für unsere Ohren exotisch aufgeladenen Byzanthinischen Hymnen. Zugleich aber erscheint das Stimmgeflecht aufgelichtet und in seiner Struktur jederzeit offenliegend. Hier wird also keine Überwältigungsstrategie durch einlullend massierten Chorklang gefahren, um den Hörer mit in die Trance zu ziehen, sondern eher darauf gezielt, sich konzentriert und fokussiert immer mehr auf das Geschehen einzulassen und in dieses einzutauchen. Das ist sehr suggestiv und führt Rachmanonivs Vesper zurück vom Konzertbetrieb (wo sie übrigens ihren Ausgang nahm) zu einer kontemplativen Übung bzw. geistlichen Verwendung.

Das Weltliche holt einen dann beim Booklet auf unangenehme Weise ein: Wenn Bestion formuliert, die Harmonien griffen "auf die Modi verschiedener Regionen Russlands zurück: Snamennyj-Modus, Kiew-Modus" und damit - hoffentlich unbeabsichtigt - Kiew zu einer russischen Region erklärt, dann hätte man sich jedenfalls bei einer Veröffentlichung im Herbst 2022 doch mehr politische Wachheit gewünscht (und auch etwas mehr Hintergrundwissen zur wahren Geschichte, Funktion, Herkunft und Wanderungsbewegung dieser Modi).



Sven Kerkhoff



Trackliste
Anixandaria 3:47
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 1, O Come, Let Us Worship 2:01
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 2, Praise the Lord, O my Soul 4:27
Makarios anir 3:56
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 3, Blessed is the Man 5:38
Psalms 140 and 141 3:25
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 4, Gladsome Light 3:14
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 5, Nunc dimittis 3:25
Litia - Kyrie eleison 2:53
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 6, Ave Maria 3:11
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 7, Glory Be to God 2:11
Dhouli kirion 3:14
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 8, Praise Be the Name of the Lord 2:15
Anavaathmi 2:41
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 9, Blessed Be the Lord 5:41
Evloghitos 4:15
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 10, The Veneration of the Cross 2:46
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 11, Magnificat 7:49
Tin timioteran 2:44
All-Night Vigil, Op. 37 "Vespers": No. 12, Gloria in Excelsis 6:57
Besetzung

La Tempête

Simon-Pierre Bestion: Ltg.


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>