Billy Joel
52nd Street (Review-Serie, Teil 7)
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Info |
Musikrichtung:
Rock / Songwriter
VÖ: 05.11.2021 (1978)
(Columbia / Legacy / Sony)
Gesamtspielzeit: 40:31
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Billy Joel-Vinyl-Review-Serie 2022, Teil 7: 52nd Street
Im Sommer war Norbert aus seiner Review-Serie ausgestiegen, in der er sich die in dem 9-LP-Boxset enthaltenen Alben eins nach dem anderen angesehen hat. Das hatte technische und berufliche Gründe. Und wie es oft so ist, wenn man eine Routine einmal unterbrochen hat, hakt es manchmal mit dem Wiedereinstieg.
Und so ist es nun der goldene Oktober geworden, in dem Norbert den siebten Teil der Serie für die Novemberausgabe schreibt. Erst sah es so aus, als könne er die Vinyl-Review-Serie 2022 tatsächlich noch im Jahr 2022 beenden. Denn nach 52nd Street befindet sich in der LP-Box nur noch ein Live-Album, das den Schlusspunkt unter die Karriere Billy Joels in den 70er Jahren setzt.
Aber vor dieser Review wird Norbert noch einmal eine Pause in der Besprechung der LP-Box-Alben machen, denn bei ihm ist gerade die aktuelle 3-LP-Veröffentlichung eines Billy Joel-Konzertes von 1990 auf dem Schreibtisch gelandet, dass er als Bonus in die Review-Reihe einbaut. Und glaubt ja nicht, dass dann im Januar bereits alles vorbei ist.
Es ist nicht das erste Mal, das ich dieses Album bespreche. Die erste Besprechung ist im April 2013 im Rahmen der 13. Folge meiner monatlichen Kolumne erschienen – mit der vielleicht schönsten Story zur CD der ganzen Reihe. Später tauchte das Album noch einmal kurz als Teil eines 5-CD-Boxsets auf. Zusammen mit The Stranger stellt es den Doppelgipfel des Werkes von Billy Joel dar.
52nd Street gilt als das erste Album überhaupt, das kommerziell als CD veröffentlicht wurde. Am 1. Oktober 1982 erschien es gemeinsam mit 50 weiteren Alben in Japan. Die Pole Position wird ihm zugeschrieben, da es die niedrigste Bestellnummer hatte. Interessanter Weise war 52nd Street auch wieder das erste Album, das veröffentlicht wurde, als Sony 2018 die Vinyl-Produktion erneut aufnahm.
Dass Billy Joel das Kornett, das er auf sämtlichen Fotos des Albums in der Hand hält (Frontcover, Backcover, Innencover), wirklich selber spielt, davon ist in den Liner Notes nichts zu lesen. Aber es ist eine deutliche Ansage. So stark wie auf 52nd Street hat er Bläser bislang nicht eingesetzt. Damit verbunden ist eine deutliche Hinwendung zu jazzigen Elementen, die aber eher Verzierungen bleiben. Der New Yorker bleibt der gelegentlich kraftvoll rockende Songwriter und Piano Man.
Textlich unterscheiden sich die beiden LP-Seiten deutlich. Der „Big Shot“ im rockenden Opener mit seiner vertrackten Rhythmik ist eine beißende Kritik an einer Frau, die sich für einen Big Shot solchen hält, unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen ihre Rolle aber völlig überzieht. Zu Beginn des Songs ist sie die Glamour Queen, die mit teuren Klamotten und Champagner die Hot Spots besucht; am nächsten Morgen das heulende Elend. Das ist eine Umgebung, in der man das Raubein Billy Joel bislang so nicht erlebt hat. Zusammen mit den beiden folgenden Songs scheint er hier seine neue Rolle als Star im Spotlight zu reflektieren. In diesem Zusammenhang sehnt er sich in dem sanften „Honesty“ nach der wirklichen radikalen Ehrlichkeit, die er als kaum vorhanden bezeichnet, während er in „My Life“ dafür plädiert sein eigenes Leben zu leben, egal was die Welt dazu sagt. Auch hier klingen die Erfahrungen eines Menschen durch, der im Licht der Öffentlichkeit steht.
Mit „Zanzibar“ kehren wir wieder in Joels frühere Jahre zurück. Wie in einer Reihe seiner Klassiker führt er uns in eine Bar und beobachtet mit uns einen typischen Typen. Dieses Mal ist es ein junger Mann, der mit dem Wagen des Vaters in die Stadt gefahren ist und nun als No Name in einer Jazz-Bar sitzt in der Hoffnung auf ein Date mit der Kellnerin, die ihm ein „secret Smile" schenkt. Die Musik wechselt zwischen sehr ruhig und powervoll. Ein tolles Saxophon-Solo Cannatas wird von Doug Stegmeyers Bass unterlegt.
Die herrliche Romanze „Rosalinda’s Eyes“ knüpft da unmittelbar an. Ein von der Hand in den Mund lebender Musiker träumt von Havanna und Cuba während er zum Tariflohn in Latino- und Puertorikansichen Bars spielt. Aber er findet das, was er sucht, in Rosalindas Eyes, die allein erkennt, wie gut er eigentlich ist. Den romantischen Ton trifft nicht zuletzt die Blockflöte(!) von George Marge.
Und wir bleiben bei den eher kleinen Leuten und ihren kleinen Fluchten aus dem Alltag, der bei all den Tagträumen immer nur „Half a Mile away“ ist. Die Power, die Joel und die Lords of 52nd Street, wie er seine Band anlässlich dieses Albums nennt (eine Anspielung auf die E-Street Band?), in dem Stück erzeugen, macht sowohl die Wut darüber deutlich, dass die Träume immer nur Träume bleiben; zeigt aber auch, dass in den vielen kleinen Leben all dieser sehr menschlichen Menschen ganz einfach eben auch Leben steckt.
Und dann setzt Joel zu dem großen Epos von 52nd Street an, das nicht ganz mit denen, der vorangegangenen Alben mithalten kann, aber vielleicht das größte Gefühlskino ist, dass er bislang inszeniert hat. Mit viel Streichern begleiten wir einen Mann durch den Tag, der sich morgens von seiner Frau trennt, um in die tägliche Routine zu gehen. Der Tag, den er mit völlig Fremden verbringen muss (Vielleicht ist er ein Vertreter, der von Haus zu Haus geht?), scheint endlos zu sein. Die Liebe zu seiner Frau scheint meilenweit entfernt, so dass er sich fragt, ob sie überhaupt noch real ist – bis zum Abend, an dem er sie wieder sieht.
Übersprungen habe ich einen der musikalischen Stars des Albums. Denn für mein Gefühl gehört „Stiletto“ eigentlich nicht auf die zweite LP-Seite, sondern müsste mit „Zanzibar“ den Platz wechseln, obwohl das knackige Hammer-Piano zu Beginn musikalisch ein schöner Auftakt für die zweite Seite ist. Aber die Story passt eher in die zum Teil irreale Glitzerwelt, die bereits in „Big Shot“ beschrieben wird. Wieder steht eine Frau im Mittelpunkt.
Die Dame mit dem „Stiletto“ quält einem Mann, in dem sie ihm immer wieder Stiche mit dem Stilett versetzt. Sie ist dabei so flink und geschickt, dass man die Klinge nicht einmal sieht. Der Mann wiederum ist ihr so verfallen, dass er den Schmerz ignoriert und immer wieder zu ihr zurückkommt, um den nächsten Stich zu erhalten. Das Stück dürfte nicht wörtlich zu verstehen sein. Joel zeichnet hier die Karikatur einer grausam berechnenden kalten Schlange, die Männer, die ihr mit Haut und Haar verfallen sind, am langen Arm verhungern und leiden lässt. Es ist wohltuend, dass nach diesem Stück die Romanze „Rosalinda’s Eyes“ folgt.
Der Titelsong, mit dem das Album schließt, ist nicht viel mehr als ein kleiner Ausklang, der uns in die Nacht entlässt – hinaus in die 52ste Straße, wo jeder seine Rolle zu spielen hat, aus der man aber auch etwas machen kann.
52nd Street erscheint in der aktuellen Ausgabe mit bedrucktem Innencover. Auf der einen Seite erscheinen neben einem Bild von Billy die Credits; auf der anderen die Fotos der vier wichtigsten Musiker und des Produzenten Phil Ramone. Die Lyrics sind – ungewöhnlich – auf der Rückseite des Covers abgedruckt.
Norbert von Fransecky
Trackliste |
Seite 1
1 Big Shot (4:01)
2 Honesty (3:50)
3 My Life (4:43)
4 Zanzibar (5:10)
Seite 2
5 Stiletto (4:39)
6 Rosalinda's Eyes (4:40)
7 Half a Mile away (4:06)
8 Until the Night (6:35)
9 52nd Street (2:27) |
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Besetzung |
Doug Stegmeyer (B, Back Voc)
Liberty DeVitto (Dr)
Richie Cannata (Sax, Klarinette, Orgel)
Steve Khan (Git)
Billy Joel (Piano, Voc)
Freddie Hubbard (Trompete <4>)
Mike Mainieri (Vibraphon <4,6>, Marimba <4,6>)
David Spinozza (Ac. Git <2>)
Donnie Dacus (Back Voc <3>)
Peter Cetera (Back Voc <3>)
David Friedman (Glockenspiel <8>, Perc <8>)
Ralph MacDonald (Perc <6,7>)
Eric Gale (El. Git <7>)
Frank Floyd (Back Voc <7>)
Babi Floyd (Back Voc <7>)
Zack Sanders (Back Voc <7>)
Milt Grayson (Back Voc <7>)
Ray Simpson (Back Voc <7>)
George Marge (Blockflöte <6>)
Hugh McCracken (Git <6,8>)
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