Moorsoldaten: Empyrium mit Helrunar und Sun Of The Sleepless in Leipzig
In den 90ern begannen einige Bands, progrockige Elemente in verschiedene Extrem-Metal-Stile einzuflechten und dadurch ganz neuartige Kombinationen atmosphärischen Musizierens zu schaffen, ja neue Klangwelten zu eröffnen. Was im Doom und im Death Metal ging (man denke an Tiamats Wildhoney oder die Entwicklung von Amorphis), das muß auch im Black Metal gehen, glaubten diverse Vordenker, zu denen ein fränkischer Jugendlicher namens Markus Stock gehörte. Der entstieg der stilistischen Enge einer Death-Metal-Band namens Impurity und gründete mit einem weiteren von deren Ex-Mitgliedern Empyrium, deren erstes und einziges Demo ... der wie ein Blitz vom Himmel fiel im Metal-Untergrund genau das tat, was sein Titel versprach, und einen weiteren Jugendlichen zur Gründung des Labels Prophecy Productions animierte, die bald zu einer anerkannten Größe im Bereich atmosphärischer Musik nicht nur, aber auch metallischer Natur wurden, was sie bis heute sind. Meilensteine auf diesem Weg bildeten die beiden ersten Empyrium-Alben A Wintersunset und Songs Of Moors And Misty Fields, bevor Markus Stock einen radikalen Bruch vollzog, sich das Pseudonym Ulf Theodor Schwadorf zulegte, seine Rudimente des metallischen Faibles im Projekt Sun Of The Sleepless und kurz danach mit The Vision Bleak auszuleben begann, Empyrium aber in ein Akustikprojekt überführte, das nach zwei weiteren Alben ad acta gelegt wurde und erst ein knappes Jahrzehnt später revitalisiert wurde, diesmal auch als Liveband. Für die aktuelle Herbsttour nun war ein Spezialset mit Frühwerken angekündigt, was eine erkleckliche Zuhörerschaft in angespannte Neugier versetzte. Erster Act sind Sun Of The Sleepless, womit sich Schwadorf quasi selbst supportet, ergo zwei Gigs pro Abend spielen muß/darf. Mit den wenigen Erzeugnissen der Band hat sich der Rezensent bisher nie auseinandergesetzt, ergo ist der überwiegend recht zügig vorgetragene Post Black Metal, der da von der Bühne schallt, Neuland für ihn, wobei die Band, falls da Altmaterial aus der Zeit um die Jahrtausendwende dabeigewesen sein sollte, ziemlich fortschrittlich agiert hat, gab es den Post Black Metal als Subgenre weiland doch noch gar nicht. Drei Gitarristen sind aktiv und ergeben eine ziemliche Klangwand, die temporär im zweiten Song (das Frauengesang-plus-Folk-Intro nicht mitgerechnet) und dann erst gegen Setende etwas durchsichtiger wird und auch mal erahnen läßt, dass da auch noch Orchestersamples dahinterliegen. Die Entwicklungen der Klangflächen kann man aber ganz gut nachvollziehen, der Schlagzeuger übertönt auch in den nicht seltenen Blastbeats dankenswerterweise nicht alles, und der Gesang steht generell recht weit im akustischen Hintergrund, so dass man zwar erkennt, dass Schwadorf überwiegend kreischt und gelegentlich in Klargesang überwechselt, aber keine genaueren Analysen betreiben kann. Eine Rampensau wird der Bandkopf in diesem Leben auch nicht mehr – aber die braucht es in bestimmten Kontexten auch nicht: Hier genügen als Ansagen zweimal ein tief gemurmeltes „Danke schön, Leipzig“ und eine kurze Ankündigung des letzten Songs „Phoenix Rise“. Für die Bühnenshow sorgt der fleißig bangende Bassist quasi im Alleingang, dafür ist aber das Lichtdesign äußerst wirkungsvoll, das etwa gleich zu Beginn Schwadorf in eine Art Lichtkathedrale stellt. Aus dem üblichen Schema brechen der eher doomige zweite Song und der im Stile eines Rock-Hits mit markantem Midtempo-Riffing anhebende dritte Song heraus, während besagtes „Phoenix Rise“ nach langer Hochgeschwindigkeit zu einem recht majestätischen Finale findet. Ein Enthusiast steht gute Teile des Gigs in Bühnennähe mit weit ausgebreiteten Armen da, als wolle er jeden Ton auffangen, und auch aus dem Rest des Publikums werden am Ende vereinzelte Zugaberufe geäußert, die jedoch keine Erfüllung finden. Statt dessen gibt es eine weitere Post-Band, nämlich Helrunar, die freilich in die Post-Pagan-Metal-Falle tappen: Sie walzen einige brauchbare Songideen derart aus, dass der Hörer in Morpheus‘ Arme abzugleiten droht. Das ist im Frühwerk nicht anders als auf dem neuen Album Vanitas Vanitatum, von dem während des Gros des Sets jeweils ein Song im Wechsel mit einer älteren Komposition gespielt wird. Die hübschen Akustikelemente im Opener versprechen eigentlich einiges, was dann aber nicht eingelöst wird, obwohl der Soundmensch nach eher mäßigem Beginn bald dafür sorgt, dass man die Einzelheiten besser wahrnehmen kann. Der bereits im fortgeschrittenen Alter befindliche Sänger artikuliert sich überwiegend kreischend und fast ausschließlich in Deutsch über Themen wie „Böse Blattern“ oder einen „Blutmond“, und es ist wohl besser so, dass er im kreischenden Idiom verbleibt, denn sein Klargesang in der uralten Viking-Metal-Nummer „Raune mit der Tiefe“ aus der Frühzeit der Band klingt derart schief, dass man an eine Parodie zu glauben geneigt wäre, die es gemäß der Ansage aber nicht zu sein scheint. Immerhin beherrscht er die Kunst der Publikumskommunikation und bringt selbst Fachtermini aus der Geschichtswissenschaft souverän unter (welche Metalband sonst würde eine Ansage bringen, im nächsten Song gehe es „um frühneuzeitliche Kriegführung“?). Wenn doch nur die Songs ähnliche Qualitäten hätten und nicht wie „Magdeburg brennt“ instrumental eine völlig andere Dynamik an den Tag legten als textlich bzw. im historischen Vorbild ... Helrunar agieren überwiegend so einschläfernd, dass der Rezensent sehr kämpfen muß, um wachzubleiben, wobei der Gerechtigkeit halber zu bemerken ist, dass die Münsteraner unter den Anwesenden doch etliche Anhänger zu besitzen scheinen. Kurioserweise unternimmt von diesen aber keiner Anstalten, nach dem letzten Song „Landsknecht“ eine Zugabe einzufordern, statt dessen ebbt der Applaus schnell ab, die Raucher beginnen bereits nach draußen zu strömen, und der Soundmensch will eben die Pausenmusik laut drehen, als die Band wieder auf der Bühne erscheint und noch ihren Mini-Hit „Älter als das Kreuz“ spielt, der freilich auch nicht wesentlich mitreißender ausfällt als der Rest des Sets, wobei die beschriebene Struktur des Nicht-Zugabe-Einforderns plus die anschließende Szenerie aber irgendwie bestens ins Gesamtbild paßt. Setlist Helrunar: Saturnus Devils Devils Everywhere! Als die Welt zur Nacht sich wandt Nebelspinne Blutmond Raune mit der Tiefe Da brachen aus böse Blattern, am Menschen und am Vieh Magdeburg brennt Landsknecht Älter als das Kreuz Empyrium hatten angekündigt, das komplette Songs Of Moors And Misty Fields-Album zu spielen. Dieses Versprechen lösen sie auch nahezu vollständig ein – lediglich auf den ersten Song, das Quasi-Intro „When Shadows Grow Longer“, verzichten sie. Der Kenner braucht freilich nur einen Moment, um festzustellen, dass „Komplettaufführung“ in diesem Falle nicht mit „Aufführung in originaler Reihenfolge“ gleichzusetzen ist, denn als Opener erklingt nicht „The Blue Mists Of Night“ oder eben das auf dem Album jenem vorgeschaltete Quasi-Intro, sondern das erst später auf dem Album plazierte „Mourners“. Dieser Umstand dürfte außer Authentizitätsfanatikern jedoch niemanden gestört haben, denn die fünf Hauptsongs des Albums gibt es tatsächlich alle zu hören, „Ode To Melancholy“ in den Zugabenteil ausgelagert. Nun stellt sich für alle, die die Band noch nie live gesehen haben (wie den Rezensenten), die Frage, ob das komplexe und vielschichtige Material adäquat auf die Bühne zu bringen ist. Die Antwort ist ein klares Ja: Ein wenig härter und druckvoller agierend, bleibt die verträumte Stimmung der Studiofassung doch erhalten, und da sich der Soundmensch weiter zu steigern weiß, lassen sich die komplexen Strukturen problemlos nachvollziehen. Empyrium agieren live als Quintett: zwei Gitarren (Schwadorf bzw. zur Entstehungszeit des Studiomaterials noch Stock bedient eine der beiden und singt zudem, diesmal aber in Umkehrung der Sun-Of-The-Sleepless-Relation weniger kreischend und dominierend klar), Baß, Drums plus eine Blondine an der Geige, während alle sonstigen, live nicht umsetzbaren Elemente vom Band kommen, allerdings nur recht hintergründig eingemischt sind. Trotz aller atmosphärischen Attitüde sind Empyrium in diesem Material immer noch primär eine Rockband – diesen Anspruch gaben sie erst nach dem Songs ...-Album auf, und aus dieser späteren Periode findet sich folgerichtig auch nichts in der Setlist. Statt dessen gibt es zwei Beiträge von A Wintersunset, grundsätzlich die spätere Entwicklung bereits erkennen lassend, aber hier und da noch etwas kerniger, sowie als Bonbon den auf keinem regulären Studioalbum enthaltenen Demotrack „My Nocturnal Queen“, dessen triumphaler Schluß zugleich einen perfekten Schluß für den regulären Set bildet, bevor noch die erwähnte Zugabe kommt, im Gegensatz zu Helrunar vom kundigen und bestens gelaunten Publikum auch wirklich eingefordert. Schwadorf geht in den Ansagen so weit aus sich heraus wie sonst nie, singt souverän, und auch der Rest der Band präsentiert sich in exzellenter Form – zusammen mit der Qualität des Songmaterials und dem Nostalgiefaktor ergibt sich somit also ein hervorragender Empyrium-Gig, der auch nicht unter Unterlänge leidet, wie der Nichtkenner bei einem Blick auf die Setlist mutmaßen könnte: Die Durchschnittsspielzeit pro Song liegt irgendwo um die 10 Minuten, und keine der vielen Sekunden wird langweilig. Bessere Gründe als einen solchen Gig gibt es wohl kaum, um auch die Studioversionen (vor zwei Dekaden oft gehört, bevor die Tonträgersammlung immer größer und die Anhörfrequenz vieler Alben immer geringer wurde ...) nach langer Zeit wieder einmal hervorzukramen – aber große Teile des Songs Of Moors And Misty Fields-Materials hat der Rezensent auch nach einmaligem Livehören oder während desselben sofort wieder präsent (und augenscheinlich nicht nur er). Fein! Setlist Empyrium: Mourners The Blue Mists Of Night The Franconian Woods In Winter‘s Silence Lover‘s Grief Under Dreamskies The Ensemble Of Silence My Nocturnal Queen -- Ode To Melancholy Roland Ludwig |
|
|
|