Barraqué, J. (Woodward, R.)
Klaviersonate (1952)
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Klavier
VÖ: 06.10.2014
Celestial Harmonies / Naxos / CD ADD (1972) / Best. Nr. 13325-2
Gesamtspielzeit: 47:51
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GEFRORENE KLÄNGE
Serieller Expressionismus - wenn es so etwas gibt, dann findet er sich in Jean Barraqués (1928-1973) einziger Klaviersonate, in der sich der Komponist 1952 als Serialist strenger Observanz und zugleich als mitunter geradezu zügelloser Ausdrucksmusiker präsentierte. Wobei der Ausdruck in hochkomplexe, abstrakte Strukturen hineingezwängt wurde, die unter dem Druck regelrecht auseinanderzufliegen scheinen. Als radikale Weiterentwicklung der Zwölftonmusik zeichnet sich die Serielle Musik durch einen punktuellen, fragmentierten Stil aus; in ihren frühen, auch extremsten Erscheinungen löste dieser den inneren, klang-logischen Zusammenhang praktisch auf. Was übrig blieb, waren mehr oder weniger dichte Felder von einzelnen Ereignissen. Dieses abstrakte Verfahren wurde von Barraqué für eine Musik genutzt, die den Hörer im ersten Teil wie ein Gewitter- oder Eissturm anspringt, um dann im zweiten Teil nach und nach in immer größeren Phasen von Stille und Vereinzelung zu ersterben (der Komponist war vom Thema Tod geradezu besessen). Nur gelegentlich bricht die Musik noch einmal in heftigen Gesten und wilden Attacken, zornigen Trillern und scharfen Spitzen aus, bevor sie endgültig verstummt. Die Klaviersonate wirkt vor allem in den langsamen, von immensen Pausen durchsetzen Abschnitten manchmal wie eine Komposition von John Cage, der ja zeitgleich damit begann, das musikalische Feld durch Zufallsoperationen aufzurollen und damit zu ähnlichen Ergebnissen wie die Serialisten kam. Barraqués Sonate hat aber einen ganz eigene, aggressive und tragische Atmosphäre und eine erkennbare inneren Dramaturgie.
Diese Musik kann man wegen ihrer Konsequenz und Neuartigkeit schätzen oder wegen ihrer unüberhörbaren Begrenzungen und Angestrengtheit verabscheuen: Es beeindruckt immer, wenn sich Pianisten einer solchen Herausforderung annehmen und versuchen, im chromatischen Grau-in-Grau den Klang, die Musik zu entdecken. Vor allem auf den ersten Seiten verlangt der Komponist bei höchster Ereignisdichte eine geradezu übermenschliche Geschwindigkeit. In der vorliegenden Aufnahme meistert Roger Woodward die Herausforderungen souverän. Unter Aufsicht des Komponisten hat er das Stück 1972 für LP eingespielt. Das Masterband wurde kürzlich wiederentdeckt und aufwändig restauriert, da mit der Zeit geisterhafte Vorechos entstanden waren, die jetzt weitgehend, aber nicht gänzlich getilgt sind. So liegt nun dieses legendäre Dokument auf CD vor; man kann verstehen, dass der Komponist seinerzeit begeistert war, sein Werk mit solch einer expressiven Kraft, mit derartigem virtuosen Feuer, aber auch mit diesem eindrücklichen Sinn für Klangfarben und Stille gespielt zu hören.
In seinem ausführlichen englischen Essay beschreibt Woodward seine langjährige Auseinandersetzung mit dem Werk und die ebenso schweißtreibende wie inspirierende Zusammenarbeit mit Barraqué. Dieser Text ist mindestens so interessant wie die Einspielung und beschwört die von radkialen, auch extremistischen künstlerischen Neuaufbrüchen bestimmte Nachkriegszeit herauf. Zum Zeitpunkt der Einspielung war der Serialismus eigentlich schon passé bzw. hatte sich stark gewandelt - dass er Gefahr lief, akademisch zu werden oder in eine Sackgasse zu führen, war für seine bedeutendsten Vertreter offenkundig geworden. Barraqués Klaviersonate wirkt heute, je nach Standpunkt, entweder immer noch aufregend (ärgerlich?) bilderstürmerisch oder wie das Zeugnis einer vergangenen, sehr kurzlebigen Phase der Avantgarde.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Première Partie | 19:36 |
2 |
Deuxième Partie | 28:15 |
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Besetzung |
Roger Woodward: Klavier
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